Ausstellung in der KVD-Galerie:Wo die Reichsflugscheiben pfeifen

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Als wäre er selbst dabei gewesen: Herbert Nauderer zeigt in der KVD-Galerie seine Ausstellung "Sektorb32" über eine fiktive Expedition von 1958 mit Zeichnungen, Fotos, Filmen und Objekten. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Herbert Nauderer erzählt in seinen Bildern die haarsträubende Geschichte einer Expedition im südlichen Polarmeer aus dem Jahr 1958 - die nie stattgefunden hat. Subtil verwebt er in seinem Werk aktuelles Tagesgeschehen, deutsche Geschichte und Verschwörungsmythen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die Lage ist ernst, daran lassen die Aufzeichnungen keinen Zweifel: "Wir haben nur noch circa zwei Tage, um zu Sektor 3 vorzudringen. Unser Selbstvertrauen und die gemeinsame Arbeit halten uns am Leben." Von der Expedition, die am 19. November 1958 mit einem U-Boot in Richtung Südpolarmeer aufbrach, liegen heute zahlreiche Dokumente vor: Fotografien, Zeichnungen, Skizzen, sogar Filmmaterial. Durch einen Eintrag vom 10. Dezember 1958 weiß man, dass die 15 Mann starke Crew auf Parasite Island landete, einer von dichtem Urwald überwucherten und sonderbaren Mischwesen bevölkerten Landmasse. Dort stießen die Expeditionsteilnehmer auf eine fabrikähnliche Anlage. Offenbar wurden hier Menschenversuche gemacht. Was genau dort passierte, ist bis heute unklar: Von der Expedition kam nie jemand zurück.

Was klingt, wie der Plot einer neuen Netflix-Serie, ist in Wahrheit eine multimediale Installation mit dem Titel "Sektor b32 _ Die Expedition". Erschaffen hat sie der Künstler Herbert Nauderer. Wobei das, was man in der Dachauer KVD-Galerie zu sehen bekommt, eigentlich nur ein Ausschnitt seines viel größer angelegten Werkzyklus' "Das Haus des Erfinders" ist: Der Erfinder ist die Schlüsselfigur in diesem abenteuerlichen Verwirrspiel, aber seine Identität bleibt letztlich ein Rätsel: Ist er selber Künstler? Ist er Wissenschaftler? Schöpfer? Geisteskranker Sadist? Die Antwort ist irgendwo da draußen.

Aber zurück nach drinnen in die Galerie: Ein Diaprojektor wirft Fotos der 15 Expeditionsteilnehmer an die Wand, etwas unscharf, alles im historischen Sepiabraun der frühen Nachkriegsjahre. Aber es sind keine echten Personen, die man sieht. Die Köpfe sind Überblendungen von jeweils mindestens vier Gesichtern. Die felsige Küste vor Parasite Island hat Nauderer bei seinem Ferienhaus vor Elba aufgenommen. Das U-Boot der Crew, das dort vor Anker liegt, ist allerdings nur eine Fotomontage. Und all die dramatischen Logbucheinträge, die von einer sich verdichtenden Paranoia der Forscher zeugen: pure Erfindung, zusammengeklöppelt auf einer altersschwachen Schreibmaschine.

"Ich mag gute Geschichten", erklärt der Künstler sein Motiv

"Es ist alles erstunken und erlogen", sagt Nauderer und grinst. Selbst die abgelichteten Häuser sind teilweise gar keine echten Gebäude, sondern geschickt fotografierte Häuser aus Modellbausätzen für Eisenbahnlandschaften, kombiniert mit Landschaftsfotografien. Gerne stellt der Künstler Gegenstände und Informationen in neue Kontexte: Ein Raummodell der Städtischen Galerie Rosenheim, wo sein Werkzyklus bereits gezeigt wurde, wird in Dachau zum Grundriss des Hauses des Erfinders. Und dass die geheimnisvolle Expedition am 19. November 1958 startet, ist auch kein Zufall: Es ist das Geburtsdatum von Herbert Nauderer.

Aber wozu der ganze Aufwand, wozu all die falschen Fährten? Nur um die Leute aufs Glatteis zu führen? Nauderer lächelt: "Ich mag gute Geschichten." Und seine Geschichten, so abenteuerlich, phantastisch und bizarr sie auch erscheinen mögen, sind nicht nur haarsträubende Fiktion, sie haben auch augenfällige Bezüge zur Realität: Der Klimawandel ist auf Parasite Island schon vorweggenommen durch die dschungelartige Vegetation, neue Erreger bedrohen die Menschheit, auch das ist eine Tatsache; und der ominöse Erfinder, der sich in seinen geheimen Experimenten eines wissenschaftlichen "Spezialisten" bedient, lässt an die grauenhaften Menschenversuche des KZ-Arztes Josef Mengele denken. Auch den gab es wirklich.

Traue keinem Beweisfoto, das du nicht selbst gefälscht hast: die Crew der Expedition von 1958 in Einzelporträts zeigt ein Diaprojektor. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Schwindendes Profil: Büste des Erfinders aus weißem Kerzenwachs, dessen Züge mit fortschreitender Zeit immer unschärfer werden. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Menschen, Tiere, Mischwesen: Auf Parasite Island ist in der Schöpfung einiges durcheinander geraten, wie diese Zeichnungen dokumentieren. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Selbst auf dem Foto bleibt der "Erfinder" ein Phantom. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Das fabrikähnliche Versuchsgelände des "Erfinders" als Diorama. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Großes Schaustück dieser Ausstellung ist ein Holzkasten, in dem das Gelände des "Erfinders" mit Versuchslaboren, Lagerhallen und einem Turm in Stahlbauweise als Holzmodell nachgebaut ist. "Schon als Kind habe ich die Dioramen im Deutschen Museum geliebt", sagt Herbert Nauderer. Und natürlich wirken diese Gebäude noch realer, wenn sie sich gegenseitig beglaubigen, auf Fotos, Modellen und Zeichnungen, seinem eigentlichen Metier. In expressivem Schwarz-Weiß, mit schnellem Strich und kombiniert mit handschriftlichen Notizen wirken sie oft ebenso überzeugend wie gut gefälschte Fotos.

Nauderer hat schon erlebt, dass sich Besucher bei ihm vergewissern wollten, dass die Expedition nach Parasite Island tatsächlich stattgefunden habe. "Ich bin immer wieder erstaunt, was die Leute alles glauben", sagt der Starnberger Künstler, und es schwingt eine gewisse Fassungslosigkeit in seinen Worten mit. Parasite Island ist auf der fingierten Weltkarte eine Insel von der Größe Großbritanniens, allerdings in der Form einer riesigen Amöbe. Und ist nicht schon der Name "Parasite Island" eine offenkundige Parodie auf sagenhafte, vermeintlich paradiesische Inseln, irgendwo in der Südsee?

Grüße aus Neu-Schwabenland

Mit unübersehbarem Vergnügen verwurstet der Künstler auch reichsdeutsche Verschwörungserzählungen: Wenn die Expeditionsteilnehmer von merkwürdigen, surrenden Geräuschen berichten oder einem hohen Pfeifton, weiß der gut informierte Reichsbürger: Das können nur die "Reichsflugscheiben" sein, jene sagenhaften UFO-Wunderwaffen der Nazis, mit denen sich die militärische Reichselite nach dem Krieg nach "Neu-Schwabenland" in der Antarktis gerettet haben soll. Liegt ja quasi gleich ums Eck. Quod erat demonstrandum.

Für seine Kunstinstallationen nutzt Herbert Nauderer Mechanismen von Verschwörungserzählungen, die schon immer funktioniert haben und wohl auch immer verfangen werden: Dunkle Mächte, die - eben weil sie so mächtig sind, nicht näher identifizierbar sind - verfolgen schreckliche Pläne, von denen die meisten Leute da draußen nicht mal etwas ahnen und es in ihrer kleingeistigen Verblendung auch gar nicht so genau wissen wollen. Nur eine kleine Gruppe unerschrockener Eingeweihter wagt es, den Spuren zu folgen zur schrecklichen Wahrheit.

Man sollte dabei nicht vergessen, den kurzen Film anzusehen, der in der Ausstellung über die Wände flackert. Er klärt darüber auf, woran die Expedition letztlich gescheitert ist: Ein Mann mit Papiertüte über dem Kopf stolpert blind über steiniges Gelände, die Arme tastend vorgestreckt. Eine fabelhafte Ausstellung, die ebenso amüsant ist wie verstörend.

Herbert Nauderer: "Sektor b32 _ Die Expedition", Öffnungszeiten: Donnerstag bis Samstag 16 bis 19 Uhr, Sonntag 14 bis 18 Uhr. Zu sehen bis 13. November.

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