Übergriff auf 15-Jährige:Drei Jahre Haft für Sexualstraftäter

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Wie betrunken der 31-Jährige in der Tatnacht war, bleibt unklar. Das Gericht ordnet Unterbringung in einer Entzugsklinik an.

Von Sophie Kobel, München/Dachau

Der Angeklagte sagt kaum etwas, sein Blick ist die meiste Zeit auf den Boden oder auf seine Dolmetscherin gerichtet. Es ist der zweite und letzte Tag des Gerichtsprozesses gegen den 31-Jährigen, der auch schon bei der ersten Sitzung zwei Tage zuvor nur so viel sagte: Es tue ihm leid, er könne sich nicht an die Tat erinnern. Er glaube nicht, dass sein Opfer gelogen habe, er hoffe, es gehe ihr gut.

An einem Freitagabend vor gut einem Jahr soll der damals in einem Asylheim im Landkreis Dachau lebende Mann aus Eritrea in der S-Bahn eine 15-Jährige aus dem Landkreis sexuell belästigt und bedroht haben. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft in der JVA München. An diesem Mittwoch wurde er vom Landgericht München II zu drei Jahren Haft verurteilt, das Gericht ordnete außerdem die Unterbringung des alkoholabhängigen Angeklagten in einer Entziehungsklinik an.

Es ist gegen 21 Uhr, als die Jugendliche am 27. März vergangenen Jahres in der S 2 vom Hauptbahnhof München nach Dachau fährt. Bereits in der Bahn fühlt sie sich nach eigenen Angaben von dem 31-Jährigen, den sie vom Sehen kannte, beobachtet. Die damals 15-Jährige fühlt sich schließlich so unwohl, dass sie die Bahn bei dem Halt in Dachau verlässt, um auf die nächste S-Bahn zu warten. Doch der Angeklagte steigt ebenfalls aus. Etwa 40 Minuten verbringen beide am Bahnhof; auf den Videoaufnahmen der Überwachungskameras ist zu sehen, wie die 15-Jährige zwischen Bahnsteigen, Treppe und Bahnhofsvorplatz hin und her geht. Der 31-Jährige folgt ihr immer wieder, zwei Mal spricht er sie in dieser Zeit an. Das Mädchen macht deutlich, dass sie keinen Kontakt will und steigt um kurz vor 22 Uhr in die nächste nach Petershausen fahrende S-Bahn. Der Angeklagte folgt ihr erneut, setzte sich ihr gegenüber, fasst ihre Oberschenkel an und versucht, das Mädchen zu küssen. Als sie sich wehrt, zieht der Mann sein Opfer nach vorne auf die Knie und greift ihr unter das T-Shirt und in die Hose. Während seines Handelns droht er dem Opfer damit, sie umzubringen, sollte sie schreien. Beim Halt in Röhrmoos fordert er sie auf, mit ihm auszusteigen.

"Es ist uns schwergefallen, Sie und die Tat zu verstehen"

Der zuständige Richter Martin Hofmann sagt ein Jahr später in seiner Urteilsverkündung, dass die Kammer berücksichtigen musste, dass sich zum einen die zweiminütige Tat für das Opfer unendlich in die Länge gezogen habe. Zum anderen hätte der Angeklagte jederzeit "sein Hirn anschalten können und sagen, ich gehe, ich lass es bleiben". Das habe er jedoch nicht getan. Erst als das Mädchen sich weigert, mit ihm die S-Bahn zu verlassen, und ihm auch nicht folgt, nachdem er sie am Arm packt und ihr das Handy entreißt, lässt er von der Jugendlichen ab und steigt alleine aus. Das Telefon wirft er zurück in die Bahn. Die Jugendliche flüchtet in den vorderen Zugteil, wo ihr schließlich ein 31-Jähriger aus Petershausen hilft, am Bahnhof Vierkirchen mit ihr aussteigt und die Polizei verständigt. In der Nähe des Bahnhofs Röhrmoos greift wenige Zeit später eine Streife der Polizeiinspektion Dachau den flüchtigen Täter auf.

Ob und wie betrunken der Mann zu diesem Zeitpunkt war, führt in der Gerichtsverhandlung ein Jahr später zu Diskussionen. Sicher wissen wird man es nie, denn die beiden Zivilpolizisten hatten vor Ort kein Alkoholmessgerät dabei. Es gibt also lediglich die Aussage des Mannes, der sagt, er habe Jägermeister und Bier getrunken. Einer der beiden Beamten ist am zweiten Prozesstag vorgeladen und sagt, er habe keinerlei alkoholbedingte Ausfallerscheinungen bei dem Angeklagten bemerkt. Zu dieser Erkenntnis kommt auch die Rechtsmedizinerin, die die Geschädigte nach der Tat untersucht und das Überwachungsvideo des S-Bahnhofes gesehen hat. Sie glaubt, die Enthemmungssituation sei nicht nur durch Alkoholisierung eingetreten. Ihr widerspricht die anwesende Gerichtspsychiaterin, die sich intensiver mit der Vergangenheit des 31-Jährigen befasst hat. Sieben Jahre Flucht, Folter, keine Eltern. Das seien Belastungssituationen, die zu einer Alkoholabhängigkeit geführt hätten, durch die der Angeklagte auch bei hohem Alkoholkonsum zwar wenig äußerlich sichtbare, dafür aber große psychosomatische Kontrollverluste haben könne.

Diese Einschätzung greift auch Richter Hofmann in seiner Urteilsbegründung auf: "Es ist uns schwergefallen, Sie und die Tat zu verstehen. Sie haben die Flucht überlebt. Ihr Asylantrag wurde positiv beschieden, Sie haben die deutsche Sprache einigermaßen gut gelernt und Arbeit gehabt. Und dann droht alles kaputtzugehen, weil sie nichts Besseres zu tun haben, als sich die Birne vollzuknallen."

© SZ vom 25.03.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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