Kultur in Dachau:Beschauliche Gratwanderung

Lesezeit: 4 min

Ludwig Arnold genügen einige wenige breite Pinselstriche, um eine ganz Landschaft mit Wolke auf die Leinwand zu zaubern. (Foto: Toni Heigl)

Es ist bereits die vierte Ausstellung der Neuen Galerie zum Thema zeitgenössische Landschaftsmalerei, und einmal mehr wird offenkundig, dass die Bilder im Kopf manchmal wirkmächtiger sind als jene vor Augen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Groß wie eine Theaterkulisse ist dieses zweiteilige Ölgemälde, 1,60 Meter hoch und zusammengesetzt 2,70 Meter breit. Viel Fläche fürs Auge, das in diesen Schichtungen von Eisblau, Schneeweiß und zerkratztem Moosgrün erst einmal eine vertraute Form finden muss. Am unteren Rand des Bildes meint man, eine Wasserspiegelung auszumachen, alles ist ein bisschen verwischt, als würde man mit Raketenantrieb durchs Land zischen, und Bäume, Flüsse und Wolken würden zu einem einzigen bunten Wahrnehmungsbrei püriert. Andererseits hat dieses Bild auch etwas Flächiges, fast Statisches. Erinnern die Strukturen nicht auch an eine Plakatwand, an der Regen und gelangweilte Halbwüchsige sich mit vereinten Kräften abgearbeitet haben?

"Land-Scape" heißt dieses Diptychon von Kiki Stickl, und es ist das wohl sperrigste Ausstellungsstück in der insgesamt recht zugänglichen Schau zu zeitgenössischen Positionen der Landschaftsmalerei. Es ist die vierte Ausstellung dieser Art in der Neuen Galerie. Im Turnus von drei Jahren nimmt sie immer wieder die Landschaftsmalerei der Gegenwart in den Fokus; die Tradition der Künstlerkolonie mit ihrer Freilichtmalerei prädestiniert Dachau ja gerade zu für dieses Thema, wobei den besonderen Reiz gerade die extreme Diskrepanz der Ansätze ausmacht: Dort die mümmelnde Kuh unter stimmungsvollen Wolkengirlanden, hier Ansichten, die sich von ihrem Gegenstand oft bis zur Unkenntlichkeit distanzieren.

Im Diptychon "Land-Scape" von Kiki Stickl ist alles in Bewegung. (Foto: Toni Heigl)

Die in Brighton und München lebende Künstlerin Kiki Stickl darf man in dieser bunten Palette als Extrembeispiel sehen. Die Landschaft ist bei ihr nicht selbst Gegenstand ihrer Malerei, es ist eher die Idee des Landschaftlichen, ein Arbeiten mit Räumen, Schichten und Bewegung, in dem Farben und abgerissene Klebestreifen das Terraforming der Bilder besorgt. Hier werden die Grenzen des Genres bis zum Äußersten ausgelotet. Wie viel muss von Landschaft erkennbar sein, damit sie als solche noch wahrgenommen wird?

Wir sind von der Evolution darauf geeicht, Muster zu erkennen - den Säbelzahntiger im Gebüsch oder auch nur die harmlose Gruppe von Bäumen auf einer Bergkuppe. So glauben wir, solche Dinge selbst in abstrakten Bildern wieder zu erkennen. Um vor dem Auge Himmel und Erde zu erschaffen, genügt im Zweifelsfall schon ein einziger horizontaler Strich. Allerdings wäre das sowohl für den Betrachter wie für den Künstler doch ein wenig zu schlicht und allzu naheliegend.

Diesem Risiko entgeht der bei Augsburg lebende ungarische Künstler Szilard Huszank schon dadurch, dass er grundsätzlicher lieber auf die Vertikale setzt. Er malt Landschaftsausschnitte von Waldstücken. Greifbar erscheinen nur die mit viel pastosen Farben hingeklecksten Baumrinden. Im lichten Hintergrund sieht man schemenhafte Silhouetten, Tannen könnten es sein, der Vordergrund gleicht eher einem Rorschach-Test; hier kann jeder sehen, was er sehen mag. Die Farben transportieren Stimmungen und Emotionen, aber keine Information über den gemalten Gegenstand an sich. Huszanks Waldstück ist ein blässliches, fast impressionistisch anmutendes Pastellgewitter. Es gibt noch ein andere Variante des Waldmotivs, das in schreiendem Orangerot- und Gelb und kalt hineingeschüttetem Violett daherkommt. Kuratorin Jutta Mannes hat das Gemälde alleinstehend ganz ans Ende des Raums gehängt. "Das verträgt sich nicht mit anderen Bildern", sagt sie, und in diesem Fall ist auch ein gewisser Sicherheitsabstand des Betrachters nicht von Nachteil. Die Farben brennen sich sonst regelrecht in die Netzhaut.

Abkühlen kann man sie beim Betrachten der Arbeiten von Anja Niedring, einer Schülerin von Rudi Tröger. Die meiste Zeit des Jahres lebt sie in Brighton, dort findet sie auch ihre Motive: Wind und Wellen und die imposanten Kreidefelsen von Südengland, gemalt auf kleine Sperrholzplatten. Wenn man das Glück hat, sie zufällig in der Ausstellung zu treffen, erklärt sie ganz bescheiden, diese kleinen Holzplatten seien nun mal praktischer als Leinwand, außerdem gefalle es ihr, dass die Textur des Bretts beim Malen durchscheine. Sie ist übrigens die einzige Künstlerin in dieser Ausstellung, die ihre Bilder unter freiem Himmel malt.

Ihre Landschaftsszenen sind stimmungsvolle Kompositionen, die zugleich bunt und immer auch ein wenig schmutzig wirken, das Meer ist bei ihre eine dampfige Farbsuppe, zugleich roh und poetisch. Niedring ist dem künstlerischen Ausdruck William Turners gar nicht so fern, auch wenn ihr Stil natürlicher moderner und freier ist als der des großen englischen Romantikers. "Ich arbeite ganz intuitiv", sagt sie selbst über sich.

Wie weniger aber geschickt eingesetzter Mittel es bedarf, um einen plastischen Eindruck einer Landschaft zu erzeugen, führt der ebenfalls bei Rudi Tröger ausgebildete Maler Ludwig Arnold vor Augen. Er lässt sich für seine Motive auf lang gestreckten Querformaten von Landschaftsfotos inspirieren, die er beispielsweise in der Süddeutschen Zeitung findet. Einige wenige horizontale Pinselstriche genügen ihm, um in der Weite einen Wald oder eine Hügelkette zu erschaffen, über der ein weißer Fleck schwebt als schmucke Wolke, die so heiter aussieht, als hätte der happy painter Bob Ross persönlich sie gemalt. Das alles wirkt in seiner Einfachheit unglaublich intensiv und kontemplativ. Das breite Format gibt dem Ganzen etwas Panoramahaftes.

Dem Münchner Künstler Felix Rehfeld geht es in seinen Arbeiten mindestens genauso viel um das Medium der Malerei selbst wie um ihren Gegenstand, die Landschaft. Manche Ansichten unterzieht er Bergansichten mithilfe gekrümmter Spiegelungen einer massiven Verfremdung. Während manche Elemente wie die Wolken noch leicht zu identifizieren sind, sind andere Teile so verzerrt, dass sie sich in abstrakten Strukturen auflösen. Rehfeld überträgt dies alles eins zu eins in Malerei.

Das Komplementär dazu findet man auf einem Panel mit 28 Bergbildern. Rehfeld präsentiert sie in Postkartengröße inklusive genretypischem Kitsch, wenn die Abendsonne den Schnee in einem rosa Farbton anhaucht. Aus mittlerer Distanz wirken die Bild wie Fotografien - wären da nicht die mit fettem Pinselstrich aufgetragenen Himmel, in die Rehfeld gerne noch ein paar "Fehler" einbatzelt. So viel Imperfektion ist nötig, um zu signalisieren, dass hier weder eine Fotokamera noch Photoshop am Werke waren.

Erst wenn man näher tritt und ganz genau hinschaut, erkennt man, dass diese Berge aus Ölfarbe gleichsam modelliert sind und das längst nicht so detailreich, wie man es zu sehen glaubt. Auf spielerische Weise wird man so darauf gestoßen, dass die Landschaften in unseren Köpfen noch wirkmächtiger sein können als die Bilder vor den Augen. So ist diese Ausstellung nicht nur eine hübsche Exkursion in eine interessante Sparte der zeitgenössischen Kunst, sondern auch ein Stück spielerischer Selbsterfahrung über die eigene Wahrnehmung.

Neue Galerie: Landschaftsmalerei. Zeitgenössische Positionen IV. Öffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag, feiertags 13 bis 17 Uhr. Noch zu sehen bis 27. März.

© SZ vom 05.01.2022 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Kultur in Dachau
:Das ABC der Druckkunst

Die KVD-Druckwerkstatt stellt ihre nunmehr zweite Mappe mit 24 Blättern vor. Sie illustriert anschaulich, was mit den alten Maschinen und Lettern technisch und künstlerisch alles möglich ist

Von Gregor Schiegl

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: