Dobryy Den, Dachau:Der Nikolaus kommt erst noch

Dobryy Den, Dachau: Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau.

(Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der 19. Folge beschreibt sie, warum sie den riesigen Christbaum von Kiew vermisst.

Von Anna Huryn, Dachau

In wenigen Wochen stehen Weihnachten und Silvester im Kalender und dann - in weniger als drei Monaten - der Jahrestag zum Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Wie soll es da möglich sein, ein friedliches Fest zu feiern?

Wenn ich durch Dachau spaziere, sehe ich die Lichter in den Gärten und auf Balkonen leuchten, in den Supermärkten liegen Weihnachtsnaschereien zum Verkauf. Der Christkindlmarkt am Rathaus ist eröffnet, und eigentlich sollte jetzt festliche Stimmung aufkommen - aber mir ist nicht danach.

Ich denke oft an den enorm großen, wundervoll beleuchteten Weihnachtsbaum im Zentrum Kiews im Winter 2021. Ich erinnere mich an diese unglaubliche Stimmung in der Hauptstadt meines Landes und wie herrlich es war, die Feiertage mit Familie und Freunden zu verbringen.

Ganz offensichtlich wird die Weihnachtszeit in der Ukraine dieses Jahr eine andere sein. Viele Familien können nicht zusammen feiern. Manch einer kämpft an der Front, andere helfen als Freiwillige und wieder andere sind im Ausland, wie ich. Außerdem gibt zur Zeit täglich Stromausfälle im Land. Mein Vater, der schon lange von meiner Mutter getrennt lebt, witzelt am Telefon, dass er wieder einen romantischen Tag habe, weil er so viele Kerzen angezündet habe, um etwas zu sehen. Er hat sich daran gewöhnt, dass es kein Licht mehr gibt. Er sagte zu mir: "Lieber ein schwieriger Winter in der Ukraine als ein ganzes Leben mit Russland."

Ein Weihnachtsfest mit ukrainischen und deutschen Traditionen

Wegen all dieser Umstände war ich überrascht, dass die Kiewer Stadtregierung sich in diesem Jahr trotzdem dafür entschieden hat, den großen Christbaum wieder aufzustellen. Es hieß, es solle kein großer lauter Massen-Event werden, aber gleichzeitig wolle auch keiner Weihnachten und das Neujahrsfest ausfallen lassen. Die Ukrainer dürfen Putin nicht erlauben, ihnen auch noch das Weihnachtsfest zu stehlen.

Früher habe ich immer Geschenke zu Neujahr gekauft, aber in Deutschland gehört es zur Tradition, dass man sich an Weihnachten etwas schenkt. Eine deutsche Freundin zum Beispiel schenkte mir einen Adventskalender. So etwas scheint hier ziemlich beliebt zu sein, aus der Ukraine kenne ich so etwas nicht. Auch der Nikolaus kommt bei uns erst noch - wir feiern, wie viele Orthodoxe, den Nikolaustag erst am 19. Dezember.

Meine deutsche Freundin hatte auch die Idee, dass wir am 25. Dezember ein ukrainisches Weihnachten hier in Dachau feiern könnten, mit allen ukrainischen Freunden. Da huschte mir das erste Mal ein Lächeln über das Gesicht bei der Vorstellung, traditionelle Gerichte zu kochen und heimische Lieder zu singen. Ich werde also etwas Ukrainisches kochen wie den Salat namens "Schuba" mit Heringen und Roten Beten. Traditionell gibt es bei uns auch immer ein süßes Gericht aus Mehl, Honig, Nüssen, Rosinen und Mohn. Jedes Familienmitglied muss mindestens zwei Löffel davon essen. Deshalb freue ich mich nun doch auf dieses Weihnachtsfest - in der Hoffnung, dass wir das Beste aus ukrainischen und deutschen Traditionen zusammenbringen können.

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