Dobryy Den, Dachau:Chatgruppe einer Schicksalsgemeinschaft

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Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau. (Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der 17. Folge schreibt sie über eine nützliche und herausfordernde Dachauer Telegram-Gruppe.

Kolumne von Anna Huryn, Dachau

Als wir damals im Bus von Ushgorod nach Dachau saßen, auf der Flucht aus der Ukraine, fragte eine der freiwilligen Helferinnen, ob wir nicht alle eine Telegram-Gruppe starten wollten. Ich meldete mich freiwillig und legte die Gruppe für unsere kleine Schicksalsgemeinschaft an. Als wir endlich in Dachau ankamen, verteilten sich jedoch viele der anderen Mitfahrenden aus meinem Bus in alle möglichen Länder und zu Verwandten. Ukrainische Freiwillige, die schon länger in Dachau lebten, legten in der Zwischenzeit eine eigene Gruppe für Neuankömmlinge in der Gegend rund um Dachau an. Zunächst gab es diese Gruppe nur auf Whatsapp, weil das in Deutschland beliebter ist zum Chatten, aber bald zog die ganze Gruppe um zu Telegram. Wer Mitglied werden will, bekommt einfach den Link zugeschickt. Am Anfang waren vielleicht 70 Menschen aus der Ukraine in diesem Telegram-Chat. Inzwischen ist es eine richtig große Community mit 700 Mitgliedern geworden, die den Namen "Ukrainer: Dachau und Kreis" in ukrainischer Sprache trägt.

Wozu es diese Gruppe gibt? Zunächst einmal zur besseren Kommunikation und Hilfe für die Geflüchteten. Wir wussten nichts über Deutschland und jene Ukrainerinnen und Ukrainer, die schon seit zehn oder 20 Jahren hier lebten, halfen uns dabei, uns zurecht zu finden. Die Mitglieder stellten alle möglichen Fragen über das Leben in Deutschland. Von "Wo kann ich Buchweizen kaufen?" bis hin zu "Wie bewerbe ich mich für einen Integrationskurs?". Ein Riesenthema ist immer wieder die Kommunikation mit dem Jobcenter und die Frage, wie man eine eigene Wohnung findet. Meistens kommen so fünf bis zehn Nachrichten am Tag rein, manchmal auch 200 - je nachdem wie viel Information gerade jemand braucht. Sieben Administratoren pflegen die Gruppe und die haben auch ein sehr nützlichen Dokument erstellt, in dem alle Informationen gesammelt werden. Zwei, drei Mal hat jemand Spam gepostet, das wurde dann sofort gelöscht.

Als das 9-Euro-Ticket auslief, wurde es kompliziert

Mit der Unterstützung der Gruppe haben die meisten ihre Formulare beim Jobcenter ausgefüllt. Das fand ich schon ziemlich kompliziert. Aber dann kam der September und das 9-Euro-Ticket lief aus - und plötzlich mussten wir uns alle mit den Tarifzonen im öffentlichen Nahverkehr beschäftigen. Da wurde es dann erst richtig anstrengend.

Es ist dann wirklich hilfreich, diesen Chat mit den anderen zu haben. Nur manchmal gibt es Diskussionen - wie es wahrscheinlich immer irgendwann der Fall ist, wenn eine Gruppe so groß wird. Streit gibt es immer wieder darüber, wer welche Sprache daheim oder in der Öffentlichkeit spricht - Russisch oder Ukrainisch. Einmal fragte auch eine Frau in die Runde, wie man an das kostenlose Essen der Dachauer Tafel rankäme. Einige verstanden das sofort, weil sie gut nachvollziehen konnten, dass das Geld in letzter Zeit echt knapp geworden ist. Andere zeigten sich überrascht und fragten, warum die Person nicht genug bekommen könne, die staatliche Unterstützung müsse doch wohl zum Leben ausreichen. Dabei wussten diese Leute gar nichts über den Hintergrund der Fragestellerin.

Von einer Art Filterblase der Ukrainerinnen und Ukrainer im Landkreis Dachau in dieser Gruppe würde ich nicht sprechen. Aber es ist hilfreich in Kontakt miteinander zu sein. Nach sechs Monaten Hin- und Herschreiben auf Telegram kennt man sich so langsam. Und einige Leute erkennen sich inzwischen sogar gegenseitig auf der Straße.

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