Dobryy Den, Dachau:Leben ohne Plan

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Anna Huryn aus Kiew schreibt die wöchentliche Kolumne "Dobryy Den, Dachau" für die SZ Dachau. (Foto: Illustration: Bernd Schifferdecker)

Anna Huryn ist aus der Ukraine nach Dachau geflohen. Die 21-Jährige berichtet wöchentlich über ihr Ankommen im Landkreis. In der 15. Folge schreibt sie über das Ende aller ihrer Pläne.

Kolumne von Anna Huryn

Zurzeit komme ich bei den Ereignissen in meinem Leben nicht mehr ganz hinterher. Alles ändert sich mit rasender Geschwindigkeit, und das macht mich manchmal richtig nervös. Ich kann nicht vorhersagen, was ich im kommenden Jahr tun werde - alles ist so instabil geworden.

Als ich im März in Dachau ankam, sollte ich im Landratsamt in ein Formular eintragen, wie lange ich bleiben würde. Ich gab an, dass ich voraussichtlich bis zum 1. Juni in Dachau sein würde - also nur maximal drei Monate. Ich habe das damals ernsthaft geglaubt und war mir sicher, dass der Krieg in der Ukraine bis dahin vorbei sein würde.

Als ich das Formular dann im Juli im Landratsamt abgab, hatte ich meine Angaben schon korrigiert: Statt drei Monaten plante ich maximal ein Jahr zu bleiben. In diesem Moment begriff ich, was für ein naives Mädchen ich noch im März gewesen war. Inzwischen habe ich verstanden, dass ich nicht einmal in diesem Jahr in die Ukraine zurückkehren werde. Es ist noch immer furchteinflößend und gefährlich dort.

Früher war ich immer jemand, der Pläne fürs Leben schmiedete. Bis zum 24. Februar hatte ich mein Leben im Vorfeld durchgetaktet und folgte diesem Plan genauestens. So wie ich es vorgehabt hatte, hatte ich mein Jurastudium nach drei Jahren mit einem Bachelor abgeschlossen und plante, in zwei weiteren Jahren den Masterabschluss in der Tasche zu haben und als Juristin zu arbeiten.

Inzwischen habe ich angefangen, das Wort "Plan" zu hassen. Ich vermeide es. Der längste Zeitraum, für den ich mir unter den aktuellen Umständen etwas vornehme, ist ein Monat. Warum? Ich kann in Deutschland keine Wohnung mieten, weil ich keinen stabilen Vollzeitjob habe. Warum habe ich den nicht? Weil ich noch nicht ausreichend gut Deutsch spreche und weil meine ukrainischen Abschlüsse hier nicht anerkannt werden. Es ist eine Kette von Gründen, die alle miteinander zusammenhängen, die mich in die Planlosigkeit zwingen.

Für meinen Seelenfrieden ist es sehr schwierig, ohne Plan zu leben. Eine deutsche Freundin sagte neulich zu mir, ich solle nicht fürs Morgen leben, ich solle einfach jeden Moment eines Tages genießen. Der einzige Plan, an dem ich momentan festhalte, ist dass ich weiter Deutsch lernen will.

So geht es wohl den meisten Ukrainerinnen und Ukrainern hier jetzt. Manche geben auch ihre Pläne auf und ändern wieder alles. So ist zum Beispiel eine ukrainische Freundin von mir aus dem Landkreis Dachau jetzt nach Norddeutschland gezogen. Sie hat sich verliebt, hat eine Entscheidung getroffen - und spontan ihre Sachen gepackt und war drei Tage später nicht mehr in Bayern. Sie hatte ein Lächeln im Gesicht, es fiel ihr ganz leicht, ihre Pläne über Bord zu werfen - ich bin mir sicher, mit dieser inneren Haltung wird sie glücklich werden an jedem neuen Ort.

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