Kultur in Dachau:Wirtschaftswunderwitz

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Die Galerie Lochner zeigt in ihrer neuen Ausstellung Werke von Sigmar Polke. Seine ironischen Arbeiten nehmen Anleihen an Optik und Sprache der Werbung. Das Resultat: der "Kapitalistische Realismus"

Von Felix von den Hoff, Dachau

Erst wenn man weit genug wegtritt von dem Meer aus schwarzen Punkten, lässt sich das wahre Motiv des Bildes erkennen. Es folgt der Idee einer russischen Matrjoschka. Die seitlich stehende Frau mit blondem Haar und rosafarbenen Kleid wird ummantelt von einem nur umrisshaft dargestellten Körper einer madonnenähnlichen Gestalt. Die ineinander geschachtelten Frauen sind in dem für Sigmar Polke typischen Rastermuster gemalt. Diese Punkte sind es, die sich durch das Werk Polkes ziehen. Sie finden sich bei Siebdrucken genauso wieder wie bei Farbklecksen oder Schablonen-Figuren. Sich dieser Struktur immer weiter hingebend, geht Polke spielerisch damit um, er variiert Größe und Form. Im Hintergrund der verschachtelten Frauen vergrößert er die Punkte zu unförmigen Flecken, in denen sich die Konturen von tierischen und menschlichen Antlitzen entdecken lassen. Das durchlöcherte Bild lässt dem Betrachter Spielraum für abschweifendes Sehen. "Hallucie" nennt der Künstler den Siebdruck - vielleicht eine Verweis auf das Spiel mit der Wahrnehmung, das zu Polkes Markenzeichen wurde.

Alles, was der Künstler dazu braucht, ist Material. Material, das er verändern, transformieren, stören und damit umkodieren kann. Motive aus Zeitungen vergrößert er mit einem Projektor, bis das Punktraster des Drucks zu erkennen ist, überträgt dann die großen und kleinen Punkte auf die Leinwand. In Drucken verwendet er Motive aus Fotoalben, Zeitungen, Comics und Magazinen. Fotografien bearbeitet er mit unzähligen Effekten. Mit einem Kopierer verzerrt er Objekte, kommentiert sie mit Zitaten oder ironischen Anspielungen. Das Ergebnis sind Bilder, die durch Leichtigkeit, Humor und zugleich durch ihre Vielschichtigkeit faszinieren. Es ist ein unermüdliches Spiel mit dem, was man zu sehen glaubt - das sich jedoch selbst nie allzu ernst nimmt.

Einige seiner Werke sind nun in der Galerie Lochner zu sehen. Kuratiert haben den kleinen Ausstellungsraum Gerhard Niedermair und der Galerist Josef Lochner. Das sei bei der Vielfältigkeit der Malereien, Fotografien und grafischen Arbeiten gar nicht so einfach gewesen", sagt Lochner. "Wir haben versucht, Polkes Themenschwerpunkte zu zeigen." Und so sind neben den Rasterbildern vor allem seine die Konsum- und Warenwelt des Wirtschaftswunders karikierenden Drucke im Galerieraum zu finden. "Kapitalistischer Realismus" - diesen Stilbegriff prägte Sigmar Polke in den 1960er Jahren. Zusammen mit den Malern Gerhard Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner, die er an der Kunstakademie Düsseldorf kennenlernte, gab er damit seine Antwort auf den Sozialistischen Realismus der DDR. In "Spargeld" lässt er den Schriftzug einer Zeitschriftenwerbung in die Konturen einer Frau einfließen: "Sofort Bargeld". Weitaus spöttischer als die amerikanischen Pop-Art-Künstler setzt er sich so mit seiner Faszination für die banale Sprache der Werbung auseinander. Einen roten abstürzenden Grafen betitelt er mit "Unerwünschte Geschenke" und treibt die Selbstironie so schonungslos auf die Spitze.

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Daneben sticht das wohl beeindruckteste Ausstellungsstück ins Auge. Es ist ein Triptychon, eine dreiteilige Fotografie, die bei der Belichtung über dem Kopierer bewegt wurde. Das Motiv eines Eisbergs verschwimmt in weiße, graue und schwarze Schlieren, wird verzerrt, verschoben. Doch auch Farben sind zu finden. Rote und gelbe Flächen fließen in die faszinierende schwarz-weiße Welt ein und geben dem Druck die für Polke typische Verspieltheit und Leichtigkeit. Eine ähnliche Kombination aus Farben findet sich in drei weiteren Siebdrucken, die untereinander angeordnet sind. Durch den kreativen Umgang entlockt Polke dem Fotokopierer auch hier eine Vielzahl an neuartigen Bildfindungen. Nicht als zusammenhängendes Werk hergestellt geben doch allein die Titel einen thematischen Zusammenhang vor.

"Der erste Schritt" zeigt eine weiße Strichfigur, die verloren in einem verzerrten Meer aus schwarzen Punkten und Strichen steht. "Der zweite Fall" ist da schon etwas klarer. Zu sehen ist das Schattenbild eines Menschen, der sich durch einen Sprung ins Nichts einer nach ihm greifenden Menschenmenge entzieht. Dem Raster entfliehen - ein Motiv, dass Polke auch in weiteren Werken thematisiert. Auch durch das dritte Bild zieht sich eine Reihe farbiger Balken. Wieder stärker mit Rastermotiven in unterschiedlicher Größe und Form spielend, skizziert "Der dritte Stand" die nachrevolutionäre Situation in Frankreich, wo das Bürgertum - nach Klerus und Adel der dritte Stand - für eine ständelose Verfassung kämpfte.

Mit der Edition "Kölner Bettler" sind auch Offsetdrucke einiger Fotografien Polkes zu sehen. Doch auch hier dominiert die Veränderung des Materials und schafft so eine Koinzidenz zwischen formaler Bearbeitung und Inhalt des Sujets. Mit Hilfe verschiedener Effekten treten Schatten stärker in den Fokus, Kontraste werden umgekehrt. Ein ganz und gar trostloses Bild der Personen, die von der Gesellschaft abgehängt wurden, entsteht. Noch deutlicher gelingt das in "New Yorker Bettler". Aufnahmen von vier Personen unterlegt Polke mit einer Schwarzweiß-Reproduktion der Freiheitsstatue und illustriert so die Dichotomie zwischen dem groß tönenden Glücksversprechen und dem realen Elend.

Sigmar Polke. Ausstellung in der Galerie Lochner, Konrad-Adenauer-Straße 7 in Dachau. Noch zu sehen bis 13. März 2022. Öffnungszeiten: Donnerstag 16 bis 19 Uhr, Samstag 12 bis 15 Uhr, Sonn- und Feiertage 14 bis 17 Uhr oder nach Vereinbarung unter 08131/66 78 18 oder 0162/45 596 99.

© SZ vom 24.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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