Kultur in Dachau:Die Antwort liegt in der Musik

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Das Chorkonzert findet in der St. Jakob Kirche statt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das renommierte Vokal Ensemble München spielt in der Dachauer Pfarrkirche St. Jakob ein berührendes Konzert und bringt so ein wenig Frieden in die Herzen der Zuhörer.

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Wer jetzt eine Kirche betritt, sieht mit lila Stoff verhüllte Altarbilder und Kruzifixe. Seit dem fünften Fastensonntag ist das so. Der Tag heißt schon seit langem auch Passionssonntag und erinnert gläubige Christen an Leiden und Tod Christi. Doch wie mit einem fernen Geschehen aus biblischen Zeiten umgehen, wenn gerade in der Ukraine unschuldige Menschen leiden und sterben müssen? Das renommierte Vokal Ensemble München hat darauf eine Antwort gefunden - in einer Musik, die schon seit vielen Jahrhunderten Mahnung und Trost zugleich ist.

Sie war am vergangenen Sonntag in der Dachauer Pfarrkirche Sankt Jakob in einem berührenden Konzert unter dem Titel "Retire my soul" (Setze dich zur Ruhe, meine Seele) zu hören. Das ist der Anfang eines Lieds des englischen Komponisten William Byrd (1540 - 1623). Der Text stammt vom wortgewaltigen Propheten Jeremia und mag in heutigen Ohren geradezu brutal klingen. Fordert doch Jeremia in harten Worten zur Rückschau auf's eigene sündige Leben auf. Dem setzt Byrd eine meditative Musik entgegen, die dem Text die gnadenlose Schärfe nimmt.

"Retire my soul" ist sinnbildlich für das gesamte Programm, das das Vokal Ensemble München und sein Leiter Viktor Töpelmann zusammengestellt haben. Mit nur 15 Sängerinnen und Sängern gelingt es diesem Chor mühelos, den Kirchenraum zu füllen, die für ein solch hochkarätiges Konzert viel zu wenigen Zuhörer in seinen Bann zu ziehen, sich ganz dem Sog der Musik hinzugeben - und am Ende zuzustimmen, als eine ältere Dame sagte: "Des hat's jetzt braucht." Eingerahmt von Werken Felix Mendelssohn Bartholdys (1809 - 1847) sang das fein aufeinander abgestimmte Ensemble Stücke von William Sterndale Bennett (1816 - 1875), einem großen Verehrer Mendelssohns, von Peter Philips (1560 - 1628), Robert White (1538 - 1575), und eben William Byrd.

Die biblischen Texte wirken im Angesicht des Krieges brandaktuell

Dirigent Töpelmann leitete nicht nur bravourös seinen Chor, er ist auch ein ausgezeichneter Instrumentalist und Alte-Musik-Kenner. Mit "A Pavin für Viola da gamba solo" von Tobias Hume (1569 -1645) und der tänzerischen Allemande & Saraband für Viola da gamba solo von Federick Steffkins (1646 - 1709) spannte er einen weiten Bogen vom elisabethanischen bis zum Barockzeitalter. Felix Mendelssohn Bartholdys "Aus tiefer Not" gab als Konzertauftakt gewissermaßen den Takt vor. Sein "Lord have mercy upon us" (Herr, sei gnädig unserem Flehen) betete wohl jeder im Stillen mit. Konnte sich doch angesichts der unfassbaren Schrecken des Kriegs gegen die Ukraine wohl kaum jemand den plötzlich so brandaktuellen biblischen Texten entziehen.

Damit hat das Vokal Ensemble München einen Nerv getroffen, zumal es in den Mittelpunkt seines Konzerts ein zornglühendes Werk gestellt hat: die Lamentationes von Robert White. Im Programmheft ist nachzulesen, dass diese Klagelieder des Propheten Jeremia Teil der Gründonnerstagsliturgie sind. Den an Deutlichkeit nicht zu überbietenden Klagen über den moralischen und materiellen Niedergang der "Tochter Zion" - gemeint sind die Bewohner des irdischen Jerusalem - ist jeweils ein hebräischer Buchstabe vorangestellt - ein wunderbar ausgesungener Hoffnungsschimmer, dass sich die irdische Tochter Zion besinnt und aus ihr wieder das verheißene himmlische Jerusalem wird.

Und dann das ganz schlichte, aber umso wirkmächtigere "Mulieres sedentes" (Die Frauen sitzen am Grabe) von Peter Philips. Man möchte in diesem Moment einfach nur losheulen. Wie schön, dass die kluge Programmauswahl "Richte mich Gott" und das ungemein friedvolle "Lord now lettest thou" (Herr nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren), das fester Bestandteil der angelikanischen Liturgie ist, von Felix Mendelssohn Bartholdy als Konzertabschluss gewählt hat. So haben die Musik und die feinen Stimmen des Vokal Ensemble München wieder einmal ein kleines Wunder bewirkt: Ein wenig Frieden ist in die Herzen der Zuhörer eingekehrt.

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