Bürgerdialog:Überforderte Politiker, frustrierte Helfer

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Beim Bürgerdialog zum Thema Migration und Integration diskutiert Landrat Löwl unter anderem mit Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat und Bettina Nickel von der Härtefallkommission. (Foto: Toni Heigl)

Beim dreistündigen Bürgerdialog zu Integration und Migration im Landkreis sollte es auch um Erfolge und Chancen bei der Aufnahme von Geflüchteten gehen. Doch der Fall der aus Karlsfeld abgeschobenen Familie Esiovwa nährt die Kritik der Helferkreise an der Rolle der Dachauer Ausländerbehörde.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Es dauert knapp drei Stunden bis der Name Esiovwa zum ersten Mal fällt. Es ist Julie Richardson, die ihn ausspricht. Sie ist die Kinderpsychologin, die Gabriel Esiovwa bis zu seiner nächtlichen Abschiebung aus Karlsfeld nach Nigeria betreut hat. Beim Bürgerdialog zum Thema "Integration und Migration - Chancen und Herausforderung bei uns im Landkreis Dachau" im Adolf-Hölzl-Haus ist ab diesem Zeitpunkt klar, dass der Abend nicht zu einem versöhnlichen Ende kommen wird. Denn Richardson sorgt sich um das Wohl der drei Kinder, wie sie sagt.

Seit Monaten müssen sie mit zwei schwerkranken Eltern in einem für sie fremden Land leben, und sie ist mit dieser Sorge nicht alleine. Es sind vor allem Menschen gekommen, die Geflüchteten helfen, und einige Bürgermeister; sie müssen es aushalten, dass das Schicksal dieser Familie praktisch für besiegelt erklärt wird.

Der Einzelfall Esiovwa ist symptomatisch

Man mag das als Einzelfall abtun, aber er steht doch symptomatisch für ein überlastetes System, bei dem sich die Helfenden oft allein gelassen fühlen von der Politik und Kommunalpolitiker von Land und Bund. Stephan Dünnwald vom Bayerischen Flüchtlingsrat sagt, um ein humanitäres Visum zu erwirken, brauche es vermutlich mindestens den Einsatz des bayerischen Innenministers und dass dieser sich für die Familie Esiovwa stark machen werde, halte er für "unrealistisch". Die im vergangenen Jahr gesammelten Spendengelder seien endlich, man könne letztlich nur noch versuchen, die Familie so lange wie irgend möglich "an einem künstlichen Tropf" zu halten. Irgendwann aber, so seine düstere Prognose, sei eben auch hier Schluss. Ergo: Betroffenheit ja, Chancen auf Rückholung nein.

Mit den Worten, es sei ja "ein bisschen deutsch, alles immer so negativ zu sehen", startet die Moderatorin Stefanie Schrader noch einen Versuch, den Fokus auf das Positive zu lenken - doch so recht mag es nicht gelingen.

Immerhin in der Problemanalyse herrscht Einigkeit zwischen Dünnwald, Joachim Jacob, Sprecher der Helferkreise im Landkreis, Doris Langer, am Helios Amper-Klinikum seit Februar für betriebsinternes Anerkennungsmanagement zuständig, Bettina Nickel von der Bayerischen Härtefallkommission, Landrat Stefan Löwl (CSU) und dem Petershausener Bürgermeister Marcel Fath (FW): Es fehlt an Wohnraum, an Perspektiven, an Ehrenamtlichen, an Geld. Das neue Chancenaufenthaltsgesetz (CAG) mag ein Schritt in die richtige Richtung sein, die Lösung für alles und jeden ist es wohl eher nicht.

"Hört auf zu klagen", fordert Marcel Fath

Bei allem Konsens an diesem Abend zeigt nicht zuletzt ein Redebeitrag von Marcel Fath (FW), dass es selbst auf kommunaler Ebene sehr unterschiedliche Perspektiven auf dasselbe Problem gibt: jene der Politik und jene der Helferkreise. Aussagen wie jene von Karin Beittel aus Bergkirchen und Renate Zauscher aus Odelzhausen, die sich mehr Unterstützung und mehr Werbung für das Ehrenamt wünschen, quittiert Fath mit einem brüsken: "Hört auf zu klagen." Es brauche wieder mehr Begeisterung für ehrenamtliches Engagement - sonst sei es ja kein Wunder, dass niemand Lust darauf habe. Buhrufe werden laut, jemand raunt: "Das ist das Allerletzte." Auch Beittel widerspricht: "Wir jammern nicht", vielmehr gehe es ihr darum, gemeinsam an einem Strang zu ziehen.

Dünnwald stellt sich ebenfalls hinter die Helferkreise im Landkreis: Er halte es nicht "für angezeigt", den verbliebenen Ehrenamtlichen - laut Jacob sind es aktuell nur noch 160 - zu unterstellen, sie würden "nur lamentieren", immerhin würden sie seit Jahren eine hohe Frustrationstoleranz beweisen. Den Wunsch von Landrat Löwl nach einer "europäischen Lösung" sieht Dünnwald mit Blick auf erstarkende rechte Kräfte in Ländern wie Italien, Polen und Ungarn ebenfalls kritisch: "Überall werden Zäune gebaut." Er wirbt stattdessen dafür, sich auf das "Machbare zu konzentrieren".

Von langer Hand geplant: Das Thema für den ersten wieder in Präsenz stattfindenden Bürgerdialog stand schon im Dezember fest. (Foto: Toni Heigl)

Das Problem ist nur: Auch die Meinungen dazu, was in Bayern und nicht zuletzt dem Landkreis Dachau in Sachen Migration und vor allem Integration machbar ist, gehen auseinander. Dünnwald wirbt mit Beispielen aus München dafür, dass Kommunen als Mieter auftreten können, um Geflüchtete aus den Unterkünften raus und rein in richtige Wohnungen zu bringen, Jacob fordert, endlich Abstand von realitätsfernen Stichtagsregelungen zu nehmen. Fath und Landrat Löwl betonen dagegen, dass es nicht nur grundsätzlich an Wohnraum und bebaubaren Flächen fehle, sondern auch die vielen Regularien es unmöglich machten, ausreichend bezahlbare Wohnungen zu schaffen und unregulierte Einwanderung eben nicht gehe, Fachkräftemangel hin oder her.

Löwl gibt aber auch zu, dass die hohen Standards manchmal mehr schadeten als nützten. Das fange beim Koch an, der wegen schlechter Noten in Sozialkunde durch die Prüfung falle, das höre beim Architekten, der zigtausend Standards zu erfüllen habe, noch lange nicht auf. Nicht zuletzt deshalb kündigt Landrat Löwl an, sei für Juni ein Bürgerdialog zum Thema "Billigeres Bauen" geplant.

"Die Behörden finden Schlupflöcher, um gut gemeinte Gesetze auf den Kopf zu stellen"

Georg Weigl vom Indersdorfer Helferkreis ist nur einer von vielen, die sich an diesem Abend aus dem Publikum melden. Er lenkt die Diskussion noch einmal auf das CAG. Er könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Dachauer Ausländerbehörde ausgerechnet jetzt, wo Menschen mit einer Duldung eine neue Bleibeperspektive gegeben werde, Strafbefehle beantrage, die eine Berücksichtigung nach dem CAG unmöglich mache. "Die Behörden finden Schlupflöcher, um gut gemeinte Gesetze auf den Kopf zu stellen", sagt er, hörbar wütend. Landrat Löwl verspricht, dem Vorwurf nachzugehen, betont aber auch, dass seine Behörde grundsätzlich gezwungen sei, Verstöße zu melden. Und er sagt, was er immer wieder in solchen Diskussionen sagt: Er sei als Landrat an Recht und Gesetz gebunden, selbst wenn er persönlich in einzelnen Fällen anders entscheiden würde. Auch im Fall der Familie Esiovwa hatte er sich darauf immer wieder berufen.

Aus Sicht von Bettina Nickel von der Härtefallkommission hätte die Familie aus Karlsfeld womöglich sogar gute Chancen gehabt, als Härtefall durchzugehen - nur seien eben die erforderlichen Unterlagen vor der Abschiebung nie vollständig bei der Kommission eingegangen.

Am Ende des Abends können dann selbst die beiden Positivbeispiele für "gelungene Integration" - der Syrer Osama Kezzo und die Mauritierin Dorethane Agathina - nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Bereich der Migration und Integration aktuell mehr Probleme als Lösungsansätze gibt.

Menschen mit ausländischem Pass

Die Zahl der Menschen mit einem ausländischen Pass steigt seit Jahren kontinuierlich an - auch im Landkreis Dachau. Im Jahr 2022 waren es Personen 29 494, was 18,8 Prozent der Gesamtbevölkerung im Landkreis ausmacht. Davon kommt jedoch der Großteil - 16 152 Personen - aus dem EU-Ausland. Weitere 12 538 Menschen haben einen Aufenthaltstitel, darunter 1379 Geflüchtete aus der Ukraine. Mit 2,7 Prozent stellen die 804 Personen im laufenden Asylverfahren oder mit abgelehnten Asylantrag die kleinste Gruppe der Menschen mit ausländischem Pass. Und noch einmal weniger kommen aus Sicht der Ausländerbehörde für eine Berücksichtigung nach dem neuen Chancenaufenthaltsgesetz in Betracht: Es sind nach aktuellem Stand lediglich 132.

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