Bezirkstag:Das "S" in CSU

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Stephanie Burgmaier am Kinderhaus in Sulzemoos. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Stephanie Burgmaier hat in München und Berlin studiert, in Sulzemoos bei den Bezirkstagswahlen im Vorjahr einen Erdrutschsieg geholt und sitzt nun seit zwei Monaten für den Landkreis Dachau im Bezirkstag. Wie lautet ihr Erfolgsrezept?

Von Jonas Junack, Sulzemoos

Für die CSU ist der eigene Parteiname immer auch eine Messlatte. Das zeigt sich zum Beispiel, wenn Uwe Brandl, der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, ein ehemaliger CSU-Bürgermeister aus Abensberg, vorschlägt, man könne doch bei der Schulwegbegleitung von Kindern oder dem Pflegegeld kürzen. Sofort rufen Kritiker, die Partei möge das S für Soziales doch bitte aus ihrem Namen streichen. In so einem Moment erscheint Stephanie Burgmaier wie ein menschgewordenes Gegenargument. Eine CSU-Politikerin, die zur Ehrenrettung des Sozialen im Parteinamen antritt, den Spagat versucht, sozial und konservativ gleichermaßen zu sein - und damit offenbar erstaunliche Erfolge erzielt.

Burgmaier, Jahrgang 1981, mal akkurat im farbenfrohen Hosenanzug, mal in einen knöchellangen Daunenmantel gekleidet, hat in München und Berlin Politikwissenschaften studiert, Schwerpunkt internationale Beziehungen. Sie habe unter Kommilitonen und Politologen so etwas wie "Arroganz gegenüber der Kommunalpolitik" erlebt, sagt sie. Trotzdem oder gerade deshalb, geht sie nach dem Studium zurück nach Oberbayern, genauer nach Sulzemoos, landet im Kreisrat und holt schließlich bei der Bezirkswahl im vergangenen Oktober 35,7 Prozent aller Erststimmen im Landkreis Dachau. Seit der konstituierenden Sitzung Anfang November ist sie Bezirksrätin.

Working Mom und Politik Junkie

Wenn es so etwas gibt wie ein Erfolgsrezept der Politikerin Stephanie Burgmaier, dann ist es die größtmögliche Abgrenzung zu den Granden der CSU. Wenn sie spricht, blitzt die politikwissenschaftliche Ausbildung auf. Die Faszination für die Internationalen Beziehungen hat sie sich erhalten. Burgmaier pflegt Kontakte nach Israel, war in der Vergangenheit selbst in einem Kibbuz vor Ort und wirbt seit dem Ausbruch des Krieges im Nahen Osten massiv um Unterstützung für die israelische Seite.

Spricht man mit ihr über die Fragen der Innen- und Lokalpolitik, wägt sie ihre Antworten ab. Denkt einen Augenblick nach und sagt dann Dinge wie: "Das föderale System ist nicht mitgewachsen" oder "wir sind in Sulzemoos noch so etwas wie eine Volkspartei im Mikrokosmos". Keine Spur vom Bairischen färbt ihre Stimme. Das ist ein anderer Sound, als die Bierzeltreden ihrer Parteikollegen, die im Spätsommer über den Freistaat rollten. Überlegter, analytischer, vorsichtiger. Burgmaier selbst sagt, sie sei kein Fan von schrillen Tönen.

Auch ihr Auftreten ist inmitten einer Ansammlung von Männern vom klassischen CSU-Politiker-Typus ein Potpourri aus Distinktionsmerkmalen. Zum Interviewtermin in Sulzemoos erscheint sie auf dem Fahrrad. An ihrer Seite baumelt das Handy an einer modischen Berlin-Mitte-Gedenkschnur. CSU-Parteichefs geben gern Metaphern wie "Laptop und Lederhose" als ideologische Leitlinie der Partei aus. Könnte man diese diffuse Mischung aus lokalem Brauchtum und modernem Unternehmergeist mit einem Messgerät erfassen, würde der Zeiger bei Stephanie Burgmaier auf den ersten Blick vermutlich bemerkenswert hoch ausschlagen.

Im Internet weist sie sich selbst als Bezirks- und Kreisrätin, Working Mom, Vollzeitmama und Politik Junkie aus. Bei einer Kreistagssitzung im Dachauer Landratsamt im Herbst vergangenen Jahres sagt sie: "Einen solchen Schulstart habe ich noch nicht erlebt." Wegen Personalmangels fällt der Bus, der ihr Heimatdorf Sulzemoos mit dem Rest des Landkreises verbindet, immer wieder aus. Für die Schulkinder des Ortes eine Katastrophe, auch für ihre eigenen. Bei der Burgmaier melden sich damals reihenweise die frustrierten Eltern. Und sie trägt diesen Frust in den Kreistag. In Sulzemoos funktioniert so Wählerbindung, auch wenn die Personalfrage der Busunternehmen damit nicht gelöst ist. Trotz ihrer jüngsten Erfolge hat Burgmaiers Einfluss Grenzen.

"Jedem, der meint, bei den Sozialausgaben könne man kürzen, würde ich einen Besuch empfehlen."

"Was man vielleicht gerne vergisst", schreibt die CSU-Politikerin auf ihrem durchaus aktiven Instagram-Profil, "nicht alle Menschen können Weihnachten bei ihren Familien sein, weil sie arbeiten müssen". Darüber ein Foto. Burgmaier, beladen mit Geschenken, umringt von Pflegerinnen und Pflegern des Amper-Klinikums. Im Bezirkstag, sagt sie, habe sie ihren Wunschausschuss bekommen: Soziales und Gesundheit. Mit 95 Prozent des Gesamthaushalts, verwaltet der Ausschuss den absoluten Großteil der Mittel des Bezirks. Außerdem ist sie in der Kommission Bezirkliche Kinder- und Jugendarbeit und in die Arbeitsgruppe "Arbeiter- und Industriekultur" sowie dem Aufsichtsrat der Baugesellschaft München-Land aktiv. Ihre Antrittsbesuche als Bezirksrätin und Sozialpolitikerin macht sie bei der Behindertenwerkstatt Schönbrunn, der Viktoria-von-Butler-Förderschule und der Wiege in Odelzhausen.

Burgmaier sagt: "Jedem, der meint, bei den Sozialausgaben könne man kürzen, würde ich einen Besuch empfehlen." Sie setzt sich dafür ein, dass mehr Geld in Einrichtungen der sozialen Daseinsvorsorge fließt. Wirbt für mehr Wertschätzung für das Personal im Pflegesektor. Sie macht keinen Hehl daraus, dass es an vielen Stellen, insbesondere in den Bereichen Inklusion mehr Geld bräuchte. Es gibt diese Momente, da klingt sie völlig anders als der Präsident des Städte- und Gemeindebundes, ihr Parteikollege Uwe Brandl. Fast wie eine Sozialdemokratin.

"Die Steffi! Die macht ihre Sache gut."

Also nachgefragt bei Paul Schmid, 73 Jahre alt, Rauschebart, Locken und SPD-Parteibuchbesitzer seit er denken kann. Ein Urgestein der Gemeinde Sulzemoos. Schmid war hier lange Dritter Bürgermeister, als SPDler wohlgemerkt. Wenn einer weiß, wie viel Sozialpolitik in der neuen Bezirksrätin von der CSU wirklich steckt, dann er. Im Wohnzimmer im Hause Schmid in Wiedenzhausen, etwa zwei Kilometer nordwestlich von Sulzemoos, wird Schwarztee mit Kandiszucker serviert. Wie sie denn so sei, die neue Bezirkstagsabgeordnete? "Die Steffi! Die macht ihre Sache gut, ist überall dabei", sagt Schmid. Konkurrenz oder Zwist mit der CSU habe er fast nie gehabt. Man arbeite gut zusammen.

Die Schulbusse aus Sulzemoos fahren immer wieder mal nicht, weil Buspersonal fehlt. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Kein Gegenwind von links also in der Gemeinde Sulzemoos für Stephanie Burgmaier. Dabei wäre durchaus Angriffsfläche da, denn es gibt auch solche Momente, in denen die sozialpolitischen Ideale der Bezirksrätin an innerparteiliche Grenzen stoßen. Das Bürgergeld zum Beispiel sieht sie kritisch, auch wenn das Bundesverfassungsgericht festgestellt hat, dass es das lebensnotwendige Existenzminimum sichert und somit indiskutabel ist. "Man muss Leistungen fordern von denen, die etwas leisten können", sagt Burgmaier.

Angesprochen auf die Kürzungsvorschläge ihres Parteikollegen aus Abensberg, weniger Geld für Schulwegbegleiter und Pflegebedürftige, kann sie sich nicht zu einem klaren Nein durchringen. Man könne nicht "pauschal irgendwo kürzen", sagt sie stattdessen, doch Einsparungen seien notwendig. Dass es, insbesondere im sozialen Sektor an allen Ecken und Enden am Geld fehlt, spüre sie in ihrer Arbeit als Bezirksrätin. Dass der Grund dafür politische Entscheidungen sind - etwa das Ja zur Schuldenbremse -, die auch ihre Partei mitträgt, ist für sie kein Widerspruch. Aber vermutlich macht genau dies den Spagat zwischen der sozialpolitischen und christlich konservativen Linie so schwierig. Angesichts der Tatsache, dass die Working Mom in ihrer Heimatgemeinde Sulzemoos damit mehr als 50 Prozent der Wählerinnen und Wähler für sich gewonnen hat, muss man sagen: Für sie funktioniert es.

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