SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 5:Bunte Klötze, grüne Kleckse

Lesezeit: 4 min

Auf dem Weg von der Altstadt über Dachau Ost stößt man immer wieder auf Architektur, die ihre Einfallslosigkeit durch Auffälligkeit zu kaschieren sucht. In den verdichteten Wohnquartieren von Dachau Süd erkennt man schnell, auf welche Farben und Gestaltungsformen es wirklich ankommt.

Von Gregor Schiegl, Dachau

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Bunte Schminke allein macht noch kein schönes Gesicht: Haus an der Erich-Ollenhauer-Straße in wildem Form- und Farbenmix.

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(Foto: Niels P. Joergensen)

Wohnturm hinter dem Stadtbahnhof, ...

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(Foto: Niels P. Joergensen)

... der denkmalgeschützte Abschnitt auf dem alten MD-Gelände ...

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(Foto: Niels P. Joergensen)

... und der postmoderne Ernst-Reuter-Platz.

Schaut man sich die Investorenarchitektur in Dachau an, findet man erschreckende Beispiele. Es gibt darin weder Spuren von Kenntnis noch von Könnerschaft. von Bau-Kunst kann kaum die Rede sein. In Hinblick auf das geplante neue Papierfabrikviertel mitten in der Stadt kann man Schlimmes befürchten. Paul Havermann fordert daher vehement die Fortführung der öffentlichen Debatte um die Gestaltung dieses neuen Quartiers, nicht nur in der Politik, sondern auch in der breiten Bevölkerung.

Auf dieser Rundtour per Fahrrad geht es diesmal von der Konrad-Adenauer-Straße am Fuß der Altstadt bis hinein in die Wohnquartiere von Dachau Süd und Dachau Ost, die von ihrer Struktur sehr unterschiedlich sind, die aber eines vereint: viel Grün auch bei verdichtetem Bauen. Daran könnte man sich ein Beispiel nehmen.

Ehemaliges MD-Gelände

Zunächst führt die Strecke hinunter zu den denkmalgeschützten Gebäuden der ehemaligen Papierfabrik. Bereits im Jahr 2007, unmittelbar nach Schließung der Papierfabrik, gab es einen städtebaulichen Ideenwettbewerb; auch die Bürger durften mitreden. Im Juni 2015 gaben die Dachauer mehr als 400 Anregungen und Vorschläge ab. Bebaut werden soll das Areal von der Isaria AG, die 2020 vom Konzern Deutsche Wohnen übernommen wurde.

"Was wird wohl aus den alten Fabrikgebäuden werden?", fragt sich Paul Havermann. "Man kann nur hoffen, dass diese Gebäude für kulturelle Zwecke erhalten, umgebaut und einer vielfältigen Nutzung für die Allgemeinheit zugeführt werden können. Sie würden zur Altstadt hin einen schönen Abschluss und gleichzeitigen Übergang in das völlig neu zu errichtende riesige Gelände der ehemaligen MD bilden. Hier bleibt zu hoffen, dass dieses für die Stadt Dachau so wichtige neue Stadtviertel nicht so einfältig und nur profitorientiert, mit möglichst vielen Wohnungen im Luxuspreissegment, die ja die höchste Rendite im entfesselten Immobilienmarkt versprechen, zugepflastert wird. Wird das Bauprojekt der Isaria nicht streng begleitet, immer wieder überprüft und hinterfragt, bekommt Dachau das gleiche dicht und einfältig bebaute und hochpreisige Modell, wie es am Diamaltgelände in München Allach gerade fertiggestellt wird."

Legohaus I, Basis-Set

2008 wurde die alte Molkerei hinter dem Stadtbahnhof abgerissen und das gesamte Areal überplant. Auffälligstes Gebäude ist dort ein Wohnturm mit sieben Geschoßen, der auf dem ehemaligen Baywa-Lagerhausgelände errichtet wurde. "Je näher man kommt, desto deutlicher wird die einfache Legohausarchitektur, die ich noch aus meiner frühen Kindheit in Erinnerung habe", sagt Havermann. "Die begrenzte Auswahl der Spielsteine gab oft einfach nicht mehr her, die Form und Farbauswahl, der Gestaltungsspielraum war sehr eingeschränkt. Sieben Etagen 'Wohntraum', die Fassaden mit den immer gleichen Fensterflächen, viele verdeckt mit herabgelassenen Jalousien, sogar bei trübem Wetter, was das Ganze noch trauriger macht. Die wenigen eingeschnittenen Loggien, die Dachterrassen im dritten und sechsten Stock lassen das in Weiß, Gelb und Blau gestrichene Bauwerk auch nicht zum Baukunstwerk werden. Den Genius Loci sucht man hier verzweifelt."

Legohaus II, Erweiterungssatz

Weiter geht es Richtung Dachau Ost, die Erich-Ollenhauerstraße entlang über die Amperbrücke. An der Einmündung der Friedenstraße steht ein Gebäude, das schon bei seiner Fertigstellung 2014 heftige Kontroversen bei den Dachauern auslöste. "Plötzlich ein Déjà-vu! Noch ein Legohaus, aber diesmal gebaut von zwei Kindern, die sich nicht einigen konnten, wie man das Haus noch absurder hochziehen kann. Schieben wir den einen Stein mehr nach rechts oder doch nach links? Ein bisschen schräg gestellte Stützen, einfach genial! Ein gebauter Albtraum! Und dazu die sieben willkürlich ausgewählten Farben, die weder in ihrer Anordnung noch im Farbklang zusammenpassen. Als Radfahrer tut man sich leicht und fährt schnell weiter. Die staugeplagten Autofahrer genießen den Ausblick notgedrungen oft etwas länger, da der Weg zum Schwarzen Graben, so hieß vor 25 Jahren die Erweiterung zum Einkaufsparadies im Dachauer Industriegebiet, zur ewigen Staufalle wurde. Ein Bevölkerungszuwachs von 35 Prozent, wie von manchen Politikern und Baulöwen als erträglich gesehen und gewünscht -, die Infrastruktur und die Anwohner wären endgültig am Ende."

Ernst-Reuter-Platz

Lange Jahre hat die Nachbargemeinde Karlsfeld um eine Gestaltung für ein Ortszentrum gerungen - mit mäßigem Erfolg, wie man heute feststellen muss. Der erhoffte lebendige Treffpunkt ist die "Neue Mitte" nicht geworden, der Platz ist identitätslos und nach Geschäftsschluss verödet, er bietet wenig Aufenthaltsqualität und ist auch kaum begrünt. In Dachau Ost kann man sehen, wie es besser geht.

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(Foto: SZ)

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"Angekommen im Zentrum von Dachau Ost über die Berliner Straße wird man am Ernst-Reuter-Platz von einem Ort mit sehr hoher Aufenthaltsqualität empfangen. Die vier Gebäude, benannt nach dem bekannten Maler und Wegbereiter der Abstraktion, Adolf Hölzel, die den Platz an einer Seite im Halbkreis begrenzen, sind ein typisches Beispiel für Architektur der Achtzigerjahre. Damals war gerade der Begriff der Postmoderne in der Architektur eingeführt. Abstrahierte Architekturbauteile werden als Zitate von historischer Architektur oft als Schmuckelemente, Giebel, Erker, Rundbögen, Halbsäulen und Säulen eingesetzt. Die Neue Pinakothek in München oder die Neue Staatsgalerie in Stuttgart sind bezeichnende Beispiele. Zuerst wurden die vier Gebäude skeptisch auch als 'Eisenbahnwagons' bezeichnet, heute ist das Ensemble bei vielen akzeptiert und bildet einen Rahmen für den mit verschiedenen Bodenbelägen und einem Brunnen gestalteten Platz. Je zwei der vier Gebäude sind mit transparenten Glaszwischenbauten verbunden, insgesamt steht man vor einer feingliedrigen und farblich wohlüberlegten Architektur. Der Platz und die ganze Umgebung, mit inzwischen vielen hochgewachsenen Bäumen, in Grün gefasst und mit dem in die Umgebung ausgebreiteten Bodenbelag bietet auch die Möglichkeit für Wochenmärkte und viele andere Veranstaltungen. Die drei hohen Häuserblöcke und die restliche, schon aus den Sechzigerjahren stammende dichte Bebauung, mit Wohnungen, Geschäften und Gastronomie bilden auch durch die seit Anfang an geplanten Grünschneisen, die bis heute gepflegt und erhalten blieben, ein Gebiet mit hoher Lebens- und Aufenthaltsqualität."

In Folge 6 geht es um Bauträgerpoesie, Marketingversprechen und der Missbrauch von Mansardendächern zur Gewinnoptimierung.

© SZ vom 24.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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SZ-Serie: Bauen in Dachau, Folge 4
:Mehr Mut zur Lücke

Wo das Baurecht bis zum Äußersten ausgereizt wird, schrumpfen Gärtchen zusammen zum handtuchgroßen Restgrün. In der Unteren Stadt gibt es aber auch gelungene Beispiele von Nachverdichtung, die Freiräume bewahren. Ohne dichtere Bebauung gäbe es auch kaum genug Platz für Dachaus innerstädtische Oasen.

Von Gregor Schiegl

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