Dachau:Freie Fahrt in alle Richtungen

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Die Einbahnstraße in der Dachauer Altstadt ist Geschichte: Seit Mittwochvormittag sind die Schilder wie hier in der Augsburger Straße abmontiert. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Stadträte sehen sich gezwungen, die Einbahnstraße in der Dachauer Altstadt nach weniger als einem halben Jahr wieder aufzuheben. Doch es gibt bereits neue Ideen, um die Verkehrssituation in der Altstadt zu verbessern.

Von Thomas Radlmaier, Dachau

Um kurz vor 10 Uhr am Mittwochvormittag steigt ein Bauhof-Mitarbeiter in der Dachauer Altstadt auf eine Staffelei. Mit einem Akkuschrauber demontiert er ein rotes Einfahrt-verboten- Verkehrsschild an der Kreuzung Burgfriedenstraße/Augsburger Straße. Ratsch, ratsch, runter. Dann tragen der Bauhof-Mitarbeiter und sein Kollege die Staffelei zum nächsten Schild. Ratsch, Ratsch, weg. Nur der Rahmen bleibt. Währenddessen rattern bereits vereinzelt Autos über das Kopfsteinpflaster die Augsburger Straße in Richtung Karlsberg hinauf, andere Fahrzeuge kommen ihnen entgegen. Autoverkehr und -gegenverkehr. Die neue, alte Realität in der Altstadt.

Die Einbahnstraße in der Dachauer Altstadt und der inneren Brucker Straße ist Geschichte. Am Dienstagnachmittag beschlossen die Stadträte im Umwelt- und Verkehrsausschuss mehrheitlich, die Regelung unverzüglich aufzuheben. Die Geschwindigkeit, in der der Beschluss umgesetzt wurde, ist rekordverdächtig. Seit 1o Uhr am Mittwochvormittag, also weniger als 20 Stunden nach der Ausschusssitzung, fließt der Autoverkehr in der Altstadt wieder in beide Richtungen, seit 12.30 Uhr ist die innere Brucker Straße wieder stadteinwärts befahrbar. Insgesamt 60 Schilder haben die Bauhof-Mitarbeiter entfernt.

Wie gut dokumentiert muss eine Gefahr im Straßenverkehr sein?

Die Einbahnstraße in der Dachauer Altstadt war ein großes Verkehrsexperiment - und es ist krachend gescheitert. Seit Oktober 2021 durften Autos den Altstadtberg nur noch in eine Richtung befahren, von der Konrad-Adenauer-Straße zur Augsburger Straße. Die Stadt wollte damit die Aufenthaltsqualität und Schulwegsicherheit in der Altstadt verbessern und den lästigen Durchgangsverkehr vom Hinterland nach München über den Karlsberg verhindern. Die Stadträte hatten die Einbahnstraße erst einmal auf Probe eingeführt. Nach Ablauf der zwölfmonatigen Testphase hätten sie endgültig entschieden, ob die Einbahnstraße bleibt oder nicht. Doch der Juwelier Ludwig Stöckl, der sein Geschäft in der Augsburger Straße hat, klagte kurz nach dem Start der Einbahnstraße dagegen.

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Mitte Februar gab das Verwaltungsgericht München dem Juwelier Recht. Die Stadt habe im Vorfeld nicht ausreichend dokumentiert, warum eine Einbahnstraße notwendig sei. Es gebe keine "straßenrechtlich dokumentierte Gefahr", welche die Regelung rechtfertigen würde, so der Vorsitzende Richter. Anders formuliert: Es reicht nicht, eine Einbahnstraße politisch zu wollen, ihre Notwendigkeit muss sich aus erhobenen Daten ergeben.

Tatsächlich hatte die Stadt auf ein teures Verkehrsgutachten im Vorfeld verzichtet. Der Hinweis der Dachauer Polizei, dass der Durchgangsverkehr am Karlsberg in den Morgenstunden Kinder auf dem Weg zur Klosterschule gefährde, war dem Gericht als Begründung zu wenig.

Das Gericht fällte zwar kein Urteil, gab der Stadt aber deutlich zu verstehen, dass es die Einbahnstraße für unrechtmäßig erachtet. Die Stadt erhielt damit die Möglichkeit, die Regelung selbst aufzuheben und den Rechtsstreit zu beenden. Dafür brauchte es einen Beschluss des Stadtrates. Am Dienstagnachmittag kamen die Stadträte im Umwelt- und Verkehrsausschuss zusammen. Es war von vornherein klar, dass sie keine andere Wahl hatten, als die Einbahnstraße zu kippen. Hätten sie dafür gestimmt, die Regelung beizubehalten, hätte das Gericht deren Ende angeordnet. "Fazit: Die Einbahnstraßenregelung ist aufzuheben", so die unmissverständliche Empfehlung der Stadtverwaltung. Dieser folgten die Stadträte schließlich. Mit einer großen Mehrheit von 13 zu zwei Stimmen beendeten sie das Experiment Einbahnstraße nach weniger als einem halben Jahr.

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Dabei hätte die Einbahnstraße laut Stadtverwaltung eine Reihe von Verbesserungen bewirkt. Das Bauamt und Ordnungsamt verwiesen darauf, dass der Durchgangsverkehr unterbunden werden konnte und sich auch der Lärm reduziert habe. Radfahrer hätten mehr Platz gehabt. Die Gefahrenstelle am Karlsberg sei durch die Einbahnregelung "komplett verschwunden", so die Verwaltung. Am westlichen Altstadtberg habe sich das Verkehrsaufkommen halbiert, am Karlsberg seien um Zweidrittel weniger Fahrzeuge unterwegs gewesen als vor der Einbahnstraße. "Leider fiel der Probebetrieb in die Phase eines Corona-Lockdowns und in die kalte Jahreszeit, so dass es insbesondere im Einzelhandel und in der Gastronomie zu massiven Einschränkungen kam. Die unbestreitbaren Vorzüge der Einbahnstraßenregelung konnten sich somit nicht voll entfalten", so das Bauamt.

"Das Ende der Verkehrspolitik"

"Ich bin sehr frustriert, dass bei Gericht singuläre Interessen mehr zählen als das Gemeinwohl", sagte Verkehrsreferent Volker C. Koch (SPD). Er fragte: Müssten erst Unfälle passieren, bis das Gericht eine Gefahr erkenne? Koch sprach in Bezug auf diese und andere ähnliche Gerichtsentscheidungen vom "Ende der Verkehrspolitik". Es sei schlimm, "dass wir so ausgebremst werden". Der Gesetzgeber müsse aktiv werden. Auch die Anwältin Kerstin Funk, welche die Stadt in der Sache vertrat, sagte, die Rechtsprechung sei "wenig praxisgerecht und lebensfremd".

Für die Stadtverwaltung, aber auch den Stadtrat ist das Ende der Einbahnstraße eine heftige Watschen. Die Fraktionen hielten sich zwar zurück, einen Schuldigen für die Misere zu suchen. Gleichwohl war zwischen den Zeilen ein Murren zu hören. "Die Zeit der Schnellschüsse ist vorbei", sagte Peter Gampenrieder (ÜB) und fast wortgleich Peter Strauch (CSU). In Zukunft müsse die Verwaltung sorgfältiger arbeiten, "wenn wir so etwas vorhaben", so Gampenrieder.

Die Gerichtsentscheidung dürfte das Projekt Einbahnstraße in der Dachauer Altstadt endgültig begraben haben. Doch die meisten Stadträte sehen weiterhin die dringende Notwendigkeit, die Verkehrssituation in der Altstadt zu verbessern. Mehrere Fraktionen haben in den vergangenen Wochen bereits Anträge eingereicht. Das Bündnis für Dachau forderte die Prüfung einer Fußgängerzone, die Fraktionsgemeinschaft aus ÜB/FDP die Prüfung einer "verkehrsberuhigten Zone". Die CSU dagegen will erst einmal die Bürger umfassend befragen. Doch auch für die CSU ist klar: "Ein Zurück zum alten Zustand" löse die Herausforderungen nicht.

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