Kinobranche:Ein bisschen Spaß muss sein

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In der vergangenen Woche feierte der Action-Film "Tenet" Premiere, seitdem kommen auch in das Dachauer Kino wieder mehr Besucher als bislang. Aufgrund der Corona-Auflagen bedeutet ein ausverkaufter Saal manchmal aber trotzdem, dass nur 30 Personen Platz finden. (Foto: Toni Heigl)

Drei Monate lang hatte das Dachauer Cinema wegen der Corona-Pandemie geschlossen, im Juni kam das Publikum auch nur zögerlich. Kino-Chefin Nicole Lutz denkt dennoch nicht ans Aufgeben. Der Neubau des Multiplexkinos bleibt ihr Traum

Von Thomas Balbierer, Dachau

Ein Kinosaal ohne Kinderlachen, Popcornduft und erwartungsvolles Flüstern ist ein toter Kinosaal. Die fünf Vorführräume des Dachauer Cinemas lagen während der Corona-Krise drei Monate lang im Koma. Der Staub und die Ruhe waren in dieser Zeit die einzigen Gäste - keine schöne Erinnerung, sagt Cinema-Chefin Nicole Lutz heute. Am 18. Juni holte sie das Kino - ausgestattet mit Desinfektionsmittel und neuen Hygieneregeln - zurück ins Leben. Seitdem gibt es in Dachau wieder spektakuläre Bilder im Großformat. Zu alter Form hat das Kino aber nicht zurückgefunden, wie Lutz zugibt. Standen die Besucher früher Schlange, um ja keine Sekunde der Werbung zu verpassen, erinnert die Auslastung der Säle zahlenmäßig aktuell eher an einen gemütlichen Filmnachmittag für Senioren. Und wenn ein Film dann mal ausverkauft ist, komme es unter den Corona-Auflagen schon mal vor, dass nicht mehr als 30 Zuschauer in den weichen Kinosesseln sitzen - "corona-ausverkauft" nennt Lutz das.

Den Filmtheatern in Deutschland geht es schlecht, das Wort vom Kinosterben geistert nicht erst seit der Pandemie wie ein Schreckgespenst durch die Medien - aber das Risiko war wohl selten so groß wie jetzt. Christine Berg, Chefin des Hauptverbandes Deutscher Filmtheater (HDF), warnte kürzlich im dpa-Interview: "Wenn unsere Auslastungsmöglichkeiten durch die Abstandsregelungen auf dem Niveau bleiben und die publikumsstarken Filme dadurch weiter fehlen, werden wir einen erheblichen Anteil der Kinos verlieren." Die Reserven seien aufgebraucht, Kredite ausgereizt. Im Vergleich zu 2019 gebe es einen Besuchereinbruch von 85 Prozent, so Berg.

Ins Dachauer Cinema dürfen derzeit maximal hundert Zuschauer pro Saal - weil die Besucher zu fremden Gästen aber zu allen Seiten einen Platz Abstand halten müssen, kann eine Vorführung schon mit weniger als der Hälfte "ausverkauft" sein. Das mache sie als Unternehmerin und leidenschaftlichen Kinofan "schon sehr traurig", sagt Nicole Lutz. Wobei es derzeit ohnehin nicht die Regel im Cinema sei, dass Vorstellungen ausverkauft sind. Viele Menschen hätten sich nach dem Corona-Lockdown noch gar nicht zurück ins Kino getraut. Dabei sei es dort, so Lutz, "sicherer als im Büro". Das zumindest ist das Ergebnis einer Atemluftstudie der TU Berlin, wonach die Aerosolkonzentration in einem Kinosaal geringer ist als im Umfeld eines Arbeitsplatzes. Der Hauptverband Deutscher Filmtheater forderte daher schon im Juli die Reduzierung des Mindestabstands im Saal. Erreicht hat die Branche dieses Ziel noch nicht, aber es war schon schlimmer: Als die Kinos öffneten, galt sogar während des Films eine Maskenpflicht - diese wurde jedoch schnell aufgehoben.

Die Hygieneauflagen, die auch im Dachauer Cinema auf Hinweisschildern allgegenwärtig sind, hält Nicole Lutz nur für einen Teil des Problems. Ebenso wichtig sei, dass nun endlich wieder neue Blockbuster aus Hollywood kämen. Als das Coronavirus im Frühjahr die halbe Welt lahmlegte, legten die Filmverleiher zahlreiche Neuerscheinungen auf Eis. Internationale Produktionen wie der mit Spannung erwartete neue "James Bond"-Film wurden um viele Monate verschoben. Auch heimische Kassenschlager wie der neue Eberhofer-Krimi sollten nicht während der Corona-Krise vor fast leeren Zuschauerreihen verheizt werden. Deshalb mussten die Kinos, selbst als sie wieder geöffnet hatten, alte Filme zeigen. Dass im Juni nicht der große Kino-Boom ausbrach, ist daher verständlich, zumal das Wetter in den vergangenen Wochen eher an den See als in ein dunkles Kino lockte.

Es gibt aber Hoffnung, nicht nur wegen des trüben Wetters der letzten Tage: In der vergangenen Woche feierte das Action-Spektakel "Tenet" des Ausnahmeregisseurs Christopher Nolan Premiere. Und siehe da: Plötzlich sei das Interesse am Kino wieder gewachsen, berichtet Lutz. Während kurz nach Ende des Lockdowns vor allem Familien mit Kindern ins Kino kamen, sei das Publikum jetzt wieder vielfältiger. Auch die ältere Zielgruppe traue sich wieder in die Vorstellungen. In den ersten vier Tagen des Hollywood-Blockbusters hätten in Dachau mehr als 500 Zuschauer "Tenet" gesehen, sagt die Cinema-Inhaberin - das seien laut Statistik fast doppelt so viele wie durchschnittlich in Kinos vergleichbarer Städte. "Am Wochenende hatte ich das Gefühl, dass es wie vor Corona war", schwärmt Lutz.

Doch selbst wenn die Besucherzahlen sich nun erholen, das Corona-Jahr 2020 wird auch fürs Dachauer Kino finanzielle Folgen haben. "Dieses Jahr ist eigentlich gelaufen, da kommen wir nicht mehr auf einen grünen Zweig", so Lutz. Ein dreimonatiges Umsatzloch und den zaghaften Start im Juni gleiche man so schnell nicht aus. "Wir haben zum Glück einen mitfühlenden und kulanten Vermieter", sagt sie. Auch die Soforthilfe vom Staat sowie Geld aus einem speziellen Programm für Kinos seien wichtig gewesen. Ob das Virus den geplanten Neubau eines Multiplexkinos mit acht Sälen bedroht? "Das ist immer noch mein großer Traum", sagt die Unternehmerin. Doch wie es mit dem Projekt weitergeht, sei unklar. Sie warte noch immer auf eine Reaktion der Stadt, nachdem sich die ursprünglichen Pläne samt Parkhausneubau in Bahnhofsnähe im vergangenen Jahr zerschlagen hatten. Gerade sei es für das kleine Familienunternehmen ohnehin wichtiger, sich auf die nahe Zukunft zu konzentrieren, sagt Lutz. Spätestens im Herbst soll das Kino wieder an alte Zeiten anknüpfen. Mit Neustarts wie der Romanze "After Truth", der Neuverfilmung von Jim Knopf, dem Animationsfilm "Drachenreiter" und dem neuen "James Bond" hofft Nicole Lutz auf ein starkes Comeback. Schließlich findet die Unternehmerin: "Wir sollten uns von dem Virus nicht den Spaß am Leben verderben lassen."

© SZ vom 02.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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