Christian Ude:Wahlkampf der etwas anderen Art

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Sein Amt als Oberbürgermeister der Stadt München hat Christian Ude niedergelegt, doch auf Bühnen spricht er auch weiterhin - wenn auch mittlerweile als Kabarettist, und nicht mehr als Politiker. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Christian Ude ist ein begnadeter Geschichtenerzähler, der sagt, man könne stolz darauf sein, ein "Linker" zu sein und seinen Teil dazu beizutragen, dass ein Miteinander in einer demokratischen Welt gelingt

Von Renate Zauscher, Haimhausen

Von der politischen Bühne ist Christian Ude bereits vor geraumer Zeit abgetreten. Aber ein Mann wie der frühere Münchener Oberbürgermeisters zieht sich natürlich auch im Rentenalter nicht einfach ins Privatleben zurück: Er sucht sich andere, neue Bühnen. Ude hat das mit Bravour getan: Er wechselte ins kabarettistische Fach. Am vergangenen Samstag bewies er bei einer Veranstaltung des Haimhauser Kulturkreises, dass ihm diese Form des öffentlichen Auftritts genauso liegt wie früher das Amt an der Spitze einer Millionenstadt und dass sein Nimbus als charismatische Persönlichkeit nichts von seiner Wirkung eingebüßt hat: An die 200 Besucher waren in die Bavarian International School gekommen, um Ude reden und dazu die Haimhauser Dorfmusik spielen zu hören.

Auch wenn der legendäre Dieter Hildebrandt Ude als "einzigen Kabarettisten" bezeichnet hat, "der nebenbei noch eine Großstadt regiert" - im Grunde ist Ude weniger Kabarettist, als vielmehr ein begnadeter Geschichtenerzähler. Den Stoff seiner Geschichten bezieht er aus dem, was er im Laufe eines wechselvollen Lebens, erst als Student, dann Rechtsanwalt, schließlich als Politiker, alles gesehen und miterlebt hat. Der Höhepunkt aus Sicht eines Mannes mit scharfem Blick für die Komik vieler Lebenssituationen war für Ude sein erster Bieranstich auf dem Münchner Oktoberfest: ein Ereignis, für das intensive, geheim gehaltene Vorbereitung nötig waren und bei dem absolut nichts schiefgehen durfte, wollte der damals neu gewählte Oberbürgermeister nicht seine weitere berufliche Karriere aufs Spiel setzen.

Ude erzählt die Sache, die er erstmals bei einem Münchener Brauereitag zum Besten gegeben und später in einem seiner Bücher niedergeschrieben hat, mit einem sicheren Gespür für das, was zu einer guten Geschichte immer und überall dazugehört: ein Gespür für den Aufbau, für die Steigerung der Spannung und dafür, wie zuletzt eine wirklich gute Pointe aussehen muss. Ude aber, der zu Beginn seiner Laufbahn als Journalist auch für die Süddeutsche Zeitung gearbeitet hatte, erzählt nicht nur oder liest passagenweise vor: Er nutzt die Bühne, um mit großer Geste und beeindruckendem schauspielerischen Talent seinen Erinnerungen Lebendigkeit und zusätzliche Wirkungskraft zu verleihen.

Von München wechselte Ude dann in gänzlich andere geografische Gefilde, nach Ostanatolien, und vom Genre der humorvollen Anekdote hin zu einem Thema, das ihn heute mehr denn je beschäftigt: zur Frage, wie es in de Welt - im konkreten Fall in der Türkei - um die Demokratie und ihre Zukunftschancen steht. Die Geschichte, in der Ude diese Frage stellt, beginnt vor fast fünfzig Jahren, als er sich mit seinen Münchner WG-Freunden aufmacht, Wölfe für das SZ-Bildarchiv zu fotografieren. Ein Vorhaben, das ihm "so verrückt" erschienen sei, "dass ich sofort mitgemacht habe". In einem winzigen, tief verschneiten Gebirgsdorf treffen die Freunde auf eine Großfamilie, deren Oberhaupt sich als Mann entpuppt, der in der Münchener Maxvorstadt im Bereich der Straßenreinigung tätig ist. Aus der Begegnung entsteht eine Lebensfreundschaft, die bis heute Bestand hat, und aus dem damals etwa 12-jährigen Ali, den Ude dort kennengelernt hat, der heutige Bürgermeister des Istanbuler Stadtteils Maltepe Ali Kilic. Der ist ein enger Freund des Bürgermeisters von ganz Istanbul, Ekrem Imamoglu. Auf diese beiden Vertreter der Opposition in der Türkei setzt Ude große Hoffnungen. Ude hat Ali Kilic aber auch persönlich einiges zu verdanken: Seine Aufgabe nämlich als Berater für den Aufbau eines neuen, großen Messestandorts in Istanbul.

Udes Vorrat an komischen wie bewegenden Geschichten aus seinem Leben wäre vermutlich endlos. In Haimhausen blieb nur Zeit für einige wenige andere Erlebnisse: für den Besuch als "Fast-Bürgermeister" in den USA etwa, wo ihn in Cincinnati Ladies aller Altersklassen in roten Plastik-Lederhosen als Zeichen ihres Deutschtums begrüßten. Oder in Äthiopien, wo Ude als Vorsitzender der Karl-Böhm-Stiftung "Menschen für Menschen" seit Jahren als Vorsitzender tätig ist. Aber auch aus seiner Zeit als Rechtsanwalt in München, wo er einmal für einen damals stadtbekannten Tierschützer und Pfarrer in einer kuriosen Sache tätig wurde.

Bei all diesen Erinnerungen aber geht es Ude nicht nur um die persönliche Freude am Erzählen und den humorvollen Blick auf die Welt - es geht ihm um mehr. Um die Botschaft nämlich, dass man stolz darauf sein kann, ein "Linker" zu sein und seinen Teil dazu beizutragen, dass menschliches Miteinander in einer demokratischen Welt gelingt. So verstanden, könnte man Udes Auftritt in Haimhausen auch als Wahlkampfbeitrag verstehen - einen Beitrag aber, der, anders als solche Auftritte für gewöhnlich, enormen Unterhaltswert hatte und entsprechend viel Beifall bekam.

© SZ vom 13.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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