2021 aus der Sicht Dachauer Politiker:Jahr des Stühlerückens

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Das Foto zeigt den Plenarsaal in der Corona-Pandemie. (Foto: Jens Jeske/Imago)

Wer wird CDU-Vorsitzender? Wie heißt der künftige Kanzler? Und welche Parteien bilden nach der Bundestagswahl eine Koalition? Die Dachauer Bundestagsabgeordneten Katrin Staffler (CSU), Beate Walter-Rosenheimer (Grüne) und Michael Schrodi (SPD) geben Antworten.

Von Helmut Zeller, Dachau

Eines hat die Bundestagsabgeordnete Katrin Staffler (CSU) in gut drei Jahren Berlin verinnerlicht: sich bloß nicht in kniffligen Personalfragen exponieren. Schon gar nicht in so einer angespannten Situation wie vor der Wahl des Vorsitzenden der Schwesterpartei. Die CSU, sagt Katrin Staffler, mische sich da nicht ein, das würde sie sich selbst auch verbitten. Aber: "Ich blicke mit Spannung auf diese Frage." Nicht nur sie. Die Blicke der Christsozialen im Landkreis Dachau sind auf die CDU gerichtet. Mit dem Kampf um die Parteispitze werden auch die Weichen für die Zeit nach Angela Merkel gestellt. Und in der K-Frage liegt Umfragen zufolge CSU-Chef und Ministerpräsident Markus Söder seit Monaten weit vorne.

Also Söder, den die CSU im Landkreis bei gelegentlichen Auftritten in der Vergangenheit fast schon wie einen Gott empfangen hat. Wird er oder wird er nicht antreten? Den Teufel wird Katrin Staffler tun, über die Ambitionen ihres Parteichefs auch nur ein Wort verlauten zu lassen. "Ich kann in Söder nicht hineinschauen", sagt sie. In die Brust der CSU schon. Dort würden zwei Herzen schlagen: Die einen meinten, er solle Kanzler machen, weil er sich auch in der Corona-Pandemie als guter Krisenmanager gezeigt habe. Die anderen wollten ihn schlicht in Bayern behalten. Zu welcher Gruppe Katrin Staffler gehört, das will sie auch nicht sagen; wobei sie nicht vergisst zu betonen, dass Markus Söder natürlich Kanzler könne. Das gebietet den Parteisoldaten, auch den Soldatinnen die Pflicht. Nur eine Ilse Aigner, Landtagspräsidentin, hat kürzlich Söders möglichen Ambitionen eine ziemlich deutliche Absage erteilt. Vielleicht muss man jedoch gar nicht so tief in den CSU-Chef hineinschauen - er wird halt abwarten, ob sich sein bundesweites Umfragehoch hält und wie sich der neue, am 16. Januar gewählte Vorsitzende in den kommenden Monaten macht. Deshalb vertagt er die K-Frage, und bis zur Entscheidung ist Söders Platz auf jeden Fall in Bayern. Und dass die CDU ihn wirklich ruft, das glaubt Ilse Aigner dann doch nicht.

"Die drei werden in der CSU sehr kontrovers diskutiert"

Das Rennen um den CDU-Chefposten ist noch ein, zwei Tage vor dem Online-Bundesparteitag völlig offen. Auch in der Schwesterpartei wird darüber gestritten. Katrin Staffler sagt: An der CSU-Basis, in den Ortsverbänden im Landkreis, gebe es kein eindeutiges Meinungsbild zu den drei Kandidaten Armin Laschet, Norbert Röttgen und Friedrich Merz. "Die drei werden in der CSU sehr kontrovers diskutiert." Das war schon mal anders. Beim Starkbierfest der CSU in Kaufbeuren schlug das Herz der Partei noch für Friedrich Merz. Aber das war im März 2020 - und seitdem hat die Corona-Krise und ihre Folgen das Land und die Politik fest im Griff. In parteiinternen Umfragen führt Merz vor Norbert Röttgen und Armin Laschet, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen.

Wen sie favorisiert, will die Abgeordnete Staffler eben nicht sagen. Aber bekannt ist von ihr, dass sie vom Machogehabe mancher Politiker nicht gerade amused ist. Vielleicht auch nicht von dem eines Friedrich Merz, der eine Frauenquote ablehnt und ein bisschen altväterlich von anderen Möglichkeiten "der Frauenförderung" redet. Der Bundesvorstand der Frauen Union kann auf diese Art Förderung jedenfalls gerne verzichten und hat schon mal eine Empfehlung für Laschet oder den Außenpolitiker Röttgen ausgesprochen. Und dann zeigt Markus Söder in jüngster Zeit eine auffällige Nähe zu Armin Laschet und dem größten CDU-Landesverband. Den würde er auch brauchen, wenn er denn wollte.

Auch die anderen Abgeordneten des Bundeswahlkreises Dachau-Fürstenfeldbruck, Beate Walter-Rosenheimer (Grüne) und Michael Schrodi (SPD), kandidieren wieder und werden den CDU-Parteitag am 16. Januar interessiert verfolgen. Sie scheuen vor eindeutigen Stellungnahmen nicht zurück - klar, sie führen ja auch Wahlkampf gegen die Union in diesem Superwahljahr, in dem neben dem Bundestag auch noch zwei Landtage gewählt werden. Für Schrodi ist Merz "aus der Zeit gefallen", als Parteivorsitzender und Kanzlerkandidat komme er deshalb nicht infrage. Auch von den beiden anderen hält der Sozialdemokrat rein gar nichts: "Armin Laschet kann alles, nur kein Land führen, und Norbert Röttgen ist ein unbeschriebenes Blatt." Das ist schon ein bisschen unfair. Aber einer Spiegel-Umfrage in der zweiten Januarwoche zufolge scheint Schrodi den Finger am Puls des Wählers zu haben. Die besten Chancen bei der Bundestagswahl räumten die Befragten der CDU/CSU mit, wen wundert es, einem Kanzlerkandidaten Markus Söder ein - 38 Prozent. Friedrich Merz brachte es dagegen nur auf 19, seine Rivalen Röttgen auf elf und Laschet auf noch weniger Prozent, übrigens auch die Nummer zwei im Team Laschet, Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dem Ambitionen aufs Kanzleramt nachgesagt werden.

Ob Merz, Laschet oder Röttgen - die Unionsparteien werden, da ist sich Schrodi sicher, den Abbau der Schuldenlast aus der Corona-Krise der breiten Bevölkerung aufbürden. Dann sind auch die Reste des Sozialstaats dahin. Egal wer komme, so Schrodi, die Union habe sich positioniert: Steuererleichterungen für Unternehmen und keine Vermögenssteuer für Millionen- und Milliardenvermögen sowie keine Erbschaftssteuer. Schrodi stellt klar: Es gehe nicht um das Häuschen der Oma, sondern gerade um eine Entlastung kleiner und mittlerer Einkommen sowie die Stärkung statt die Schwächung der Binnennachfrage. Die soziale Ungleichheit habe schon zugenommen. Gegen die Unionspläne gibt es - aus der Sicht des SPD-Politikers - nur ein Mittel, und das ist nicht schwer zu erraten: eine starke SPD und einen Kanzler Olaf Scholz.

Und Söder, schon wieder. Ein bisschen scheint das ständige Gerede um den CSU-Chef den SPD-Mann Schrodi zu nerven. Wenn er tatsächlich für das Kanzleramt antrete, dann wäre "die Schonzeit vorbei", dann werde sein angeblich gutes Krisenmanagement in der Pandemie auf den Prüfstand kommen, sagt Schrodi entschlossen. Bis jetzt sei Söder doch nur einer von 16 Ministerpräsidenten, vielleicht ein bisschen herausgehoben. Weil Bayern halt so schön und toll ist - und die CSU-Politiker das jedem stets unter die Nase reiben, bis man es in den anderen Bundesländern fast glauben möchte. Die Grünen-Abgeordnete Beate Walter-Rosenheimer ist Psychologin, sie hat deshalb ein geschultes Auge für narzisstische Erscheinungsformen in der Politik. Söder, sagt sie, werde wohl nicht als Kanzlerkandidat antreten, denn dann hätten er und die CSU ja keine Bundesregierung mehr, auf die sie so gerne schimpfen und sich dabei zu profilieren versuchten.

Für die Grünen-Politikerin wäre, wie sie sagt, ein CDU-Chef Friedrich Merz ein "No go" - und genau das befürchtet sie. Gerade jetzt sei dieser Mann brandgefährlich, weil er die Gesellschaft weiter spalte. Als Wirtschaftslobbyist, der zu den Sorgen der breiten Bevölkerung nun gar keinen Zugang hat, erweist sich Merz immer wieder; darüber hinaus hat er offenbar in seiner erzkonservativen Haltung, die an der CSU-Basis durchaus ankommt, auch offenbar Probleme mit einer pluralistischen Gesellschaft. Das spricht aber von den drei Bundestagsabgeordneten nur Beate Walter-Rosenheimer an - gerade in Dachau sollte nicht vergessen werden, was der CDU-Politiker am vergangenen Holocaust-Gedenktag am 27. Januar getwittert hatte: Der Antisemitismus, schrieb er, komme "überwiegend von rechts, aber auch durch die Einwanderung von 2015/16. Viele bringen Judenhass mit, der in ihren Heimatländern gepredigt wird". Das schien die CSU-Basis, auch im Schatten von Dachau, nicht weiter zu berühren, dass einer, der nach dem Kanzleramt strebt, die historische Verantwortung für den deutschen Vernichtungsantisemitismus wegdrängt, indem er mit dem Finger auf Randgruppen oder Muslime zeigt - ausgerechnet am Jahrestag der Befreiung von Auschwitz.

Für die Grünen-Politikerin wirft ein Friedrich Merz an der Spitze vielleicht noch weitere Fragen auf: Mit ihm dürfte der Preis für eine schwarz-grüne Regierungskoalition in großen Zugeständnissen liegen - vor allem in der Klimapolitik, darin ist Merz, wie Schrodi das diagnostiziert, auch nicht gerade auf der Höhe der Zeit. Laschet und Röttgen zeigen Sympathie für ein Bündnis mit den Grünen. Merz windet sich in dieser Frage und geht doch deutlicher auf Distanz zu den Grünen. Wirklich gehört hat den Weckruf wohl keiner der Kandidaten, auch Armin Laschet erklärte kürzlich, man dürfe vor lauter Klima-Zielen den Industriestandort nicht vergessen.

Der 16. Januar - er bewegt den Bundestagskandidaten und die Bundestagskandidatinnen des Wahlkreises, die sich alle um ihr Mandat allerdings keine Sorgen machen müssen. An diesem Samstag taucht am nicht so weit entfernten Horizont auch schon die Koalitionsfrage auf. Katrin Staffler hält das für obsolet, sich darüber jetzt schon Gedanken zu machen. Klar sei, dass die Union nicht mit der AfD und nicht mit der Linkspartei rechne, alles andere werde man nach der Wahl sehen, denn die Koalitionsfrage sei keine Frage von Träumereien, sondern eine Entscheidung des Wählers. Die Union werde mit dem Wahlergebnis verantwortungsvoll umgehen.

Die Grünen, jedenfalls Beate Walter-Rosenheimer, stehen einem Bündnis mit der SPD doch skeptisch gegenüber. "Mit der SPD würde es wohl auch nicht leicht werden." Aber leichter als mit der Union? "Ich bin da offen", sagt sie. Aber Vermögenssteuer, das Recht auf Wohnen, Klimapolitik - das ginge mit den Sozialdemokraten wohl einfacher. Die SPD, sagt Schrodi, strebe Bündnisse jenseits der Union an - "es würde ihr gut tun, einmal auf den Oppositionsbänken Platz zu nehmen". Andererseits will Schrodi die Union auch nicht völlig ausschließen, wie er sagt.

Also Hauptsache rein in die Regierung, was auch nicht so falsch ist. Kurzarbeitergeld, Erhöhung des Mindestlohns, alles von der SPD in der großen Koalition durchgeboxt. "Die Krise zeigt es deutlich: Wir brauchen einen starken Sozialstaat", sagt Michael Schrodi, Vorsitzender der Denkfabrik der SPD. Die Zeiten, als ausgerechnet die Sozialdemokratie - Stichwort Hartz IV - an seiner Zerstörung fleißig gewerkelt hat, bezeichnet der Abgeordnete als "schwierige Jahre der SPD, die hinter uns liegen". Aber dafür kann Schrodi nichts, er sitzt erst seit 2016 im Bundestag.

In der SPD wollen welche beim Bundesfinanzminister und Vizekanzler Olaf Scholz schon einen Linksruck ausgemacht haben. Aber warum soll sich nicht auch der Hanseat Scholz wandeln können, ein Mann, der Wolfgang Schäuble im Amt des Hohepriesters der schwarzen Null nicht nur nachgefolgt ist, sondern auch nachgeeifert hat - schließlich hat doch auch Markus Söder keine geringe Wandlung durchlaufen: vom Umwelt-Saulus zum Bienen-Paulus, könnte man sagen. Aus einem sich seit Jahrzehnten wiederholenden Fehler der Partei scheint der CSU-Chef gelernt zu haben: Wer ständig mit dem rechten Wählerrand liebäugelt, rhetorisch ihn einzufangen versucht, was so manchen CSU-Politiker nicht so schwerfiel, der hat am Ende verloren - wie in der Landtagswahl 2018. Dann stimmt man mit den Stimmen der rechtspopulistischen bis rechtsextremen AfD etwa gegen eine Meldepflicht für antisemitische Vorfälle an bayerischen Schulen. Damit macht Söder in seiner Rolle als Erneuerer Schluss. Für die steigende Zahl antisemitischer und antidemokratischer Übergriffe macht er die AfD verantwortlich und propagiert eine klare Abgrenzung. So ganz scheint das im Landkreis Dachau aber noch nicht an die Parteibasis durchgedrungen zu sein. Neulich hat doch gar der Bürgermeisterobmann Stefan Kolbe aus Karlsfeld den AfD-Kreisräten sinngemäß bescheinigt, dass sie nicht negativ aufgefallen seien - und das in der Diskussion über ein Schreiben an Landrat Stefan Löwl (CSU) und seine Kollegen in Bayern, in dem die bayerische AfD drohte, sie würden sich dereinst für die Schließung von Schulen in der Pandemie noch verantworten müssen.

Der Rechtsruck beschäftigt Katrin Staffler, wie sie sagt, "massiv": Sie stelle nach vier Jahren eine Radikalisierung der AfD fest, sie ziehe die politische Arbeit in den Schmutz und zeige keinen Respekt vor Ämtern. "Wir müssen stärker dagegen kämpfen." Das sehen auch Walter-Rosenheimer und Schrodi so. "Rechtsradikale gehören nicht ins Parlament", sagt der SPD-Politiker. Die Grünen-Abgeordnete hat bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte im Januar 2019 schon dazu aufgefordert, sich klar gegen die rechtspopulistische AfD zu positionieren. Beate Walter-Rosenheimer sieht, wie sie sagt, die Versuche von AfD-Politikern zur Umdeutung der Geschichte als gefährlich an, gerade jetzt, da die Zeitzeugen bald nicht mehr über die NS-Verbrechen aufklären könnten. Sie befürchtet mit Friedrich Merz an der Spitze eine konservative Öffnung der CDU nach rechts. Noch sind die drei Abgeordneten nicht richtig im Wahlkampfmodus - aber das Ergebnis 2017 hat sich eingeprägt. Die CSU kam im Landkreis bei der Zweitstimme nur noch auf 39,8 Prozent, hatte im Vergleich zu 2013 zehn Prozent verloren. Die AfD kam auf rund zwölf Prozent - und Odelzhausen, Pfaffenhofen oder Sulzemoos wurden zu ihren Hochburgen mit mehr als 13 und 14 Prozent der Wählerstimmen.

© SZ vom 14.01.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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