20 Jahre Dachauer Tafel:"Wenn sie helfen können, helfen sie "

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An der Warenausgabe bei der Dachauer Tafel in der Brunngartenstraße. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seit 20 Jahren unterstützen die ehrenamtlichen Helfer der Dachauer Tafel Menschen aus dem Landkreis, die in Not geraten sind. Ein langjähriger Kunde erzählt, wie wichtig dieses Engagement ist.

Von Paulo Plautz, Dachau

Damals, als er das erste Mal zur Dachauer Tafel gegangen ist, sei das "ein ganz komisches Gefühl" gewesen. "Wir haben lange gebraucht, bis wir überhaupt hingegangen sind", erinnert sich Nikolas Müller. "Eigentlich haben wir uns nie getraut, muss ich ganz ehrlich sagen." Eine Bekannte, die bei der Caritas arbeitet, konnte ihn und seine Frau schließlich doch dazu ermutigen hinzugehen. 2014 wurde Nikolas Müller Mitglied der Dachauer Tafel. Es gibt inzwischen Hunderte wie ihn, die dieses Angebot nutzen. Aber darauf angewiesen zu sein, ist den Betroffenen trotzdem oft unangenehm. Das erklärt, warum Müller, der in Wahrheit anders heißt, nur mit einem Pseudonym in der Zeitung stehen will.

Müller ist Frührentner, er hat zwei künstliche Kniegelenke und ein versteiftes Sprunggelenk. Früher war er Landschaftsgärtner, "das hab ich auch gerne gemacht". Er wurde dann aber "von heute auf morgen aus dem Beruf gerissen", wie er sagt. Das war 2005. Er bekam eine kleine Rente und Krankengeld. Anfangs wurde ihm über das Krankengeld noch der volle Lohn ersetzt. Die Summe verringerte sich allerdings mit der Zeit, Miete und Lebenshaltungskosten blieben gleich, inzwischen steigen sie sogar. Obwohl er sich unter anderem mit der Reinigung von Gebäuden etwas dazuverdient, würde es "ohne Tafel nicht gehen". Neben sich und seiner Frau muss er noch zwei Enkel mit ernähren. Eine seiner zwei Töchter war bei der Geburt der beiden 2006 "noch ziemlich jung", erklärt er. Somit standen Müller und seine Frau als Großeltern in der Verantwortung, "die Kinder irgendwie groß zu kriegen". Einige Jahre habe man sich noch "so durchgeschlagen". Doch dann musste die finanzielle Situation irgendwie aufgefangen werden. "Daher muss ich sagen, dass wir eigentlich nur froh sein können, dass es die Tafel gibt."

"Alles, was man für den täglichen Bedarf braucht"

Es ist Mittwochmorgen, kurz nach 10 Uhr, heute hat die Ausgabestelle der Dachauer Tafel in der Brunngartenstraße für ihre Kundschaft geöffnet. Nikolas Müller hat die Besorgungen bei der Tafel bereits erledigt. Aus Rücksicht vor den anderen beeilt er sich beim Tragen, auch wenn es ihm mit seinen künstlichen Kniegelenken schwerfällt. "Obst, Gemüse, Brot, eigentlich alles, was man für den täglichen Bedarf braucht" habe er bekommen, sagt der 66-Jährige.

Mittlerweile kommt Nikolas Müller alle zwei Wochen zur Tafel. "Sonst war es immer jede Woche. Aber dadurch, dass so viele Neue da sind, hat man das jetzt halt teilen müssen" erklärt er. Der Andrang sei im Moment riesig, gleichzeitig gebe es weniger Waren. Schon vor einem knappen Monat hatte der stellvertretende Leiter der Tafel, Albert Solleder, auf die schwierige Situation der Tafel hingewiesen. Für Menschen wie Nikolas Müller gibt es aber keine Alternativen dazu.

Schon im September 2021 war in einem Video vom BRK-Kreisverband auf Facebook von mehr als 700 Bedürftigen die Rede, die von der Dachauer Tafel versorgt werden. Das war aber noch vor dem Krieg in der Ukraine und den vielen Geflüchteten, von denen nun viele in die Brunngartenstraße kommen. Die Situation der Tafel spitzt sich weiter zu. Davon unterkriegen lassen sie sich dort nicht.

"Es ist wie eine Familie"

Auch heute sind wieder mehr als 20 ehrenamtliche Mitarbeiter im Einsatz, unter ihnen natürlich auch die Leiterin der Dachauer Tafel, Edda Drittenpreis, und Albert Solleder. Man könne mit jedem reden und sei mehr oder weniger schon per du, weil man sich ja schon so lange kenne, sagt Müller. Seine anfänglichen Hemmungen sind inzwischen verflogen. "Ich muss sagen, es ist wie eine Familie, und wenn sie helfen können, helfen sie. Dann sind sie wirklich da und machen und tun, was sie können."

Im Dachauer Zieglerbräu wird mit einigen Monaten Verspätung das 20 jährige Bestehen der Dachauer Tafel gefeiert. Von links: Edda Drittenpreis, Albert Solleder und der BRK-Kreisvorsitzende Bernhard Seidenath. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Grundsätzlich sei das Klientel weiterhin sehr vielfältig, deren Verhältnisse unterschiedlich, fügt Albert Solleder an. Es gibt ja jetzt auch noch die vielen Geflüchteten aus der Ukraine, die ebenfalls von der Tafel versorgt werden. Daher könne man auch von der Situation Müllers nicht pauschal auf die aller anderen schließen.

"Ich bin Opa und Papa in einer Person"

Der Kontakt zu seiner Tochter, deren Kinder er damals aufgenommen hat, sei kaum noch vorhanden, erzählt Müller, dafür sei zu viel vorgefallen. Sie habe nun schon das fünfte Kind und könne "hoffentlich" für die anderen drei sorgen. Seine beiden Enkel sind inzwischen 16 Jahre alt und gehen zur Schule in Altomünster. Zwei Jahre möchten Müller und seine Frau noch für sie sorgen. Mindestens. "Dann fangen sie erst so richtig mit der Lehre an, also bleiben sie uns noch ein paar Jahre. Und wir hoffen natürlich auch, dass wir die paar Jahre noch mit den Kindern leben können." Seine Enkel halten ihn jung: "Ich bin Opa und Papa in einer Person", erklärt Müller erfreut. Gleichzeitig bleibt die finanzielle Situation kompliziert.

Seit mehr als 20 Jahren unterstützt die Dachauer Tafel nun schon Menschen wie Nikolas Müller. Der 20. Geburtstag der Tafel war bereits am 16. Januar - Corona verhinderte damals große Feierlichkeiten. Doch auch davon ließ sich die Tafel nicht aus dem Konzept bringen. Und so wurde am vergangenen Freitag zum Empfang im Altstadthotel Zieglerbräu geladen, um die Erfolgsgeschichte zu feiern. Zu Recht findet auch Nikolas Müller: "Frau Drittenpreis ist einfach eine Frau, die muss man hoch leben lassen. Sie macht und tut wirklich, was sie kann."

"Immer das Beste daraus machen"

In die Zukunft schaut Müller mit gemischten Gefühlen. "Die Preise steigen, Nebenkosten steigen, Heizkosten steigen." Man könne eigentlich nur hoffen, dass man irgendeine Hilfe bekomme. Die 300 Euro für Rentner, die vom Bund als Energiepreispauschale in Aussicht gestellt wurden, könnte er gut gebrauchen. Aber wann kriegt er die?

Trotz aller Schwierigkeiten versucht er, die Situation positiv zu sehen: "Wir können froh sein, dass wir noch laufen können, wenn ich auch eingeschränkt laufe." Die Lebensmittel der Tafel hat er bereits in sein Auto geladen. "Immer das Beste daraus machen", fügt er hinzu. Dann steigt er ein und fährt los.

Spenden können dienstags zwischen 9 und 14 Uhr bei der Dachauer Tafel abgegeben werden. Gebraucht werden vor allem Lebensmittel für den täglichen Bedarf, sowie Hygieneartikel oder Waschpulver. Die Ausgabe der Lebensmittel für Bedürftige erfolgt mittwochs ab 10 Uhr in der Brunnengartenstraße 5.

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