Hoftheater:Angriff auf die Lachmuskeln

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Eine lebendige Fundsache, ein Huhn (Lucca Rabenstein), bricht in Kiffs (Robert Gregor Kühn) geradezu mönchisches Leben ein. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Hoftheater Bergkirchen spielt die Komödie "Das Huhn" von Frank Geerk. Dem Publikum bereitet das Ensemble einen vergnüglichen Abend mit Tanz, mit viel Gefühl, Witz und Gegacker.

Von Dorothea Friedrich, Bergkirchen

Ein Gedicht des hintersinnigen Autors Christian Morgenstern (1871-1914) fängt so an: "In der Bahnhofhalle, nicht für es gebaut, geht ein Huhn hin und her ..." Nun ist das Hoftheater Bergkirchen bekanntlich weit von der Größe einer Bahnhofshalle entfernt. Aber ein Vogel spielt auch dort gerade eine Hauptrolle, nämlich in der Komödie "Das Huhn" von Frank Geerk (1946-2008).

Hoftheater-Regisseur Ansgar Wilk hat das 1986 uraufgeführte Stück bearbeitet - und wie er nach der Vorstellung sagte "ordentlich gekürzt und der heutigen Zeit angepasst". Man spürt nun deutlich Wilks Lust am Spiel mit den Worten. So hat Wilk das, was in den Achtzigerjahren in Sachen sexistischer, verbaler Unkultur noch gängig war, hörbar zu kleinen, amüsanten Anzüglichkeiten umgemodelt. Ebenso spür- und sichtbar ist die große Liebe zum Detail, wie etwa die zu einer gewissen Lektüre, von der noch die Rede sein wird.

Zwei Stunden allerbeste Unterhaltung

Ein wunderbar harmonierendes, sich wechselseitig befeuerndes Ensemble macht so aus "Das Huhn" zwei Stunden allerbeste Unterhaltung: mit Sinn für ganz viel Unsinn, mit herrlich übertriebenen Gefühlsausbrüchen, mit drei großartigen Darstellern, mit einem Huhn, etlichen Regenschirmen, Schuhen und Handtaschen, viel Witz und Tanzkunst sowie einer ziemlich überraschenden Bühnenmusik.

Für die Unterhaltung ist zunächst einmal Kiff zuständig, Leiter eines Fundbüros in New York. Robert Gregor Kühn spielt diesen auf den ersten Blick so grässlichen Pedanten und Misanthropen so pingelig-kleinkariert, dass es eine wahre Wonne ist. Kiff wird immer mal wieder von zwei Polizistinnen heimgesucht, die seltsame Fundstücke bei ihm abliefern. Eine von ihnen beschäftigt sich nur zu gerne mit dem schier endlosen Ausfüllen diverser Formulare. Das ist Sheila, fabelhaft gespielt und getanzt von Lucca Rabenstein. Hinter ihrer Polizistinnenfassade glüht sie ausgerechnet für den "schlimmsten Beamten in ganz New York", weiß aber nicht, wie sie diesen schweren Fall knacken kann. Findet doch keines ihrer erotischen Signale, die sie in Richtung Fundbüro-Leiter aussendet den gewünschten Widerhall.

Auch ihre gestrenge Freundin Anna (Verena Konietschke) ist erst einmal ratlos. Sie tritt mit dem Gehabe und Getue der weiblichen Entsprechung des "bösen Bullen" auf, inklusive einschüchternder Sprache, herrischer Gestik und dunkler Sonnenbrille. Anna kennt das Liebesgeheimnis ihrer Freundin Sheila - und steht ihr mit Rat und Tat zur Seite respektive hinter, vor und neben ihr. Denn die gefühlt 50 unterschiedlichen "Schwanensee"-Adaptionen aus dem Off, Tango inklusive, sind das musikalische Stichwort für diverse Tanz- und Balletteinlagen, die einer Bahnhofshallen-großen Bühne würdig wären.

Federfuchser Kiff widmet sich weiter dem Ausmessen von Regenschirmen und wanzt sich zur Erholung an seine große Liebe Vanessa ran. Er schenkt ihr einen Diamantring, den Vanessa jedoch kein bisschen goutiert. Was nicht weiter verwunderlich ist, denn Vanessa ist eine blaue Handtasche. Keine Bange, Kiff ist kein Fetischist. Er hat halt bloß eine ausgeprägte Macke, mag man erst einmal denken, bis man ins Grübeln kommt. Nicht, weil er ein eher bescheidenes Handtaschenmodell als seine Frau Trudi tituliert, sie anblafft und kujoniert wie ein Ehemann aus vergangenen Zeiten. Sondern weil er eine fast erschreckende Begründung für sein seltsames Verhalten liefert: "Ich bin gut zu den Dingen, die man mir anvertraut. Wenn nur die Menschen nicht wären", seufzt der einsame Fundbüromensch. "Ich mag Dinge. Wenn man sie pflegt, leben sie auf. Menschen mag ich nicht". Dieser Blick hinter die Fassade des armen Paragrafen-Würstchens mit seiner Sehnsucht nach Liebe, Respekt und Anerkennung weckt schon fast Mitgefühl. Aber nur fast.

Dann bricht das Huhn in Kiffs Leben ein

Bricht doch plötzlich eine lebendige Fundsache, ein Huhn, in Kiffs geradezu mönchisches Leben ein. Dieses Huhn (Lucca Rabenstein) - von Ausstatterin Ulrike Beckers prachtvoll kostümiert - kann mit dem Heben eines Flügels, einem Kopfnicken, wildem Herumgerenne oder lahmem Hin- und Hergewackele, mit Gegacker und Gezische, mit zutraulichem Gegurre oder mit zornigem Gekrakel mehr ausdrücken als so mancher Mensch. Es schleicht sich peu à peu ins Leben des Pedanten ein. Und es geht völlig überdreht zu.

Das Huhn und dessen Hüter tauschen sich verbal und nonverbal über das beste Hühnergericht aus - und konsultieren zur Klärung dieser für das Federvieh fundamentalen Frage ein real existierendes "Chicken Cook Book". Denn selbstredend verbirgt sich hinter diesem singulären Vogel die liebeshungrige Sheila. Es wird völlig überdreht, die Charaktere überholen sich ständig selbst. Die Lachmuskeln des begeisterten Publikums sind leicht strapaziert. Das Huhn könnte, so setzt es die hilfreiche Anna in die Bühnenwelt, die letzte Überlebende der Sui-Hung-Tung-Hühnerdynastie sein. Kiff träumt schon vom großen Geld und der Anerkennung der Polizeikollegen.

Zur Tango-Adaption von Schwanensee kommen sich Huhn und Mann sehr nahe, doch das ist noch nicht das Ende der Geschichte. Wird das wie in einem weiteren Morgenstern-Gedicht: "Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf." Die Frage bleibt an dieser Stelle unbeantwortet, statt dessen gibt es die Empfehlung, sich dieses herrliche Stück gepflegten Unsinns nicht entgehen zu lassen.

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