Atelierausstellung:Zwischen KI und Körperlichkeit

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Margot Krottenthalers sehr körperliches Bild "Fleischflüstern". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Krieg, Künstliche Intelligenz, Rassismus und digitale Bilderflut: Die aktuellen Problemlagen der Welt finden auch in den Werken der Künstler der Kleinen Moosschwaige Niederschlag. Am Wochenende kann man sie ansehen.

Von Gregor Schiegl, Dachau

Als die Mauern der Kleinen Moosschwaige 1802 hochgezogen wurden, gab in Europa noch Napoleon den Ton an. Seit 1940 ist das Gebäude im Besitz der Stadt, die es Dachauer Künstlern zur Verfügung stellt. Eine der prominentesten von ihnen war Paula Wimmer. Heute teilen sich acht Künstlerinnen und Künstler die fünf Ateliers. Einmal im Jahr, immer am ersten Adventswochenende, laden sie zur Atelierausstellung ein.

Gebhard und Martin Schmidl

Im Bildhauer-Atelier von Gebhard Schmidl sprießen keine Blumen aus den Töpfen, sondern Pinsel. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Gebhard Schmidls Atelier sieht genau so aus, wie man sich den Arbeitsort eines Künstlers vorstellt: ein hoher Raum, vollgestopft mit Kunst und alten Möbeln, im Fenster steht die "Eisesserin", ein dralles Riesenmädchen aus Holz mit einer Eistüte in der Hand, daneben eine ornamentale Steinskulptur mit Totenkopf. Nur den Künstler, der hier 1980 die Arbeit aufgenommen hat, wird man nicht mehr zu Gesicht bekommen. Gebhard Schmidl ist mittlerweile 92 Jahre alt, die Kräfte sind dahin. "Er hat immer wahnsinnig viel gearbeitet", erzählt seine Frau Ingrid.

Inzwischen hat sein Sohn Martin das Atelier übernommen. Für Kunstinteressierte dürfte er ein besonders interessanter Gesprächspartner sein. Martin Schmidl ist Professor für Kunstwissenschaft und seit 2021 Rektor der Kunsthochschule Kassel.

Florian Marschall

Der Zeichner Florian Marschall vor seiner persönlichen "Heldenwand". (Foto: Niels P. Jørgensen)
Bald auch in Ihrem Getränkemarkt: Zeichnung der Stadtpfarrkirche Sankt Jakob. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Die "Heldenwand", so nennt Florian Marschall jene Figuren des Kulturlebens, die er mit seinen punktgenauen, oft fotorealistisch wirkenden Grafiken aus Tusche neben- und übereinander gerahmt in seinem Atelier versammelt. Charles Bukowski gehört ebenso dazu wie Gustl Bayerhammer oder Tom Waits. Neu aufgenommen in Marschalls privaten Olymp wurde Elmar Wepper. Der Schauspieler, von einer ganzen Generation verehrt als Sepp Gruber aus der Kultserie "Irgendwie und Sowieso", ist vor zwei Monaten gestorben. Bei Marschall darf er weiterleben, ewig jung.

Neu ist auch eine Ansicht der Stadtpfarrkirche Sankt Jakob. Sie verdient schon allein deshalb Erwähnung, weil man das Motiv möglicherweise demnächst öfter auf Einkaufstaschen eines Dachauer Getränkehändlers zu sehen bekommen wird. Vielleicht wird daraus sogar eine richtige Serie und die Einkaufstasche zum begehrten Sammlerobjekt. Kunst nimmt manchmal sonderbare Wege. Seine Serie mit Zeichnungen abgebrannter Streichhölzer wollte er eigentlich nicht noch mal hervorholen, "doch angesichts der aktuellen Weltlage" habe er sich doch entschlossen, sie noch mal aufzuhängen.

Claudia Flach

Keramikerin Claudia Flach präsentierte eine Schale aus feinem Limoges-Porzellan. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Ein fröhliches Tier ziert den Deckel der Keksdose und scheint zu rufen: "Fütter mich!" (Foto: Niels P. Jørgensen)

Claudia Flach gibt einen Einblick, was man mit Keramik so alles machen kann: Teller und Tassen, schon klar, aber auch fein strukturierte Gefäße aus Limoges-Porzellan, strahlend weiß und so zart, dass das Licht einer Kerze durch die dünnsten Stellen scheint. "Architektonische Vasen" mit Fenstern und Balkonen inklusive Keramikbewohnern. Blumenvasen, deren Form knospenden Ästen nachempfunden sind. Winzige Kegelvulkane, die man mit Rauchwerk befüllen und gemütlich dampfen lassen kann.

In dem künstlerischen Biotop tummeln sich auch allerhand anrührende Tierfiguren: Da gibt es einen kunterbunten Elefanten mit langen Wimpern, aber auch eine nackte Frau, die auf ihrem "inneren Schweinehund" reitet. Die Zügel in der Hand hält sie nur lose.

Eine Besonderheit ist das schwarz glänzende Pferdchen im Schrank, es wurde im traditionellen japanischen Raku-Brand hergestellt. "Das ist Keramikbrennen extrem", sagt Claudia Flach. 1170 Grad hatte es im Ofen, das konnte sie nur im Freien machen. "Mir wäre sonst das Haus abgebrannt."

Margot Krottenthaler und Karin Schuff

Margot Krottenthaler und Karin Schuff (rechts) teilen sich das Atelier. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Margot Krottenthaler setzt in ihren wachsbeschichtete Miniaturen digitale Bilderschnipsel in Malerei um. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Margot Krottenthaler hat sich in den vergangenen Jahren viel mit Druckgrafik und Linolschnitt beschäftigt, kehrt nun aber kraftvoll zurück in die Malerei. Das Entree zu ihrer Ausstellung bilden Miniaturgemälde auf quadratischen Holzstücken, man kennt die Kachel-Optik von Instagram. Auch hier herrscht krudes Durcheinander: eine glückliche Kuh, ein rollender Panzer, oft sind es nur Ausschnitte, die den eigentlichen Gegenstand im Rätselhaften belassen. Sieht man gerade eine Kampfdrohne oder ein Stück Sahnetorte?

Anders als die leicht konsumierbaren Bilderschnipsel aus dem Netz, haben ihre kleinen Bildnisse physische Wirklichkeit, diese Bilder kann man anfassen, die Künstlerin fordert sogar dazu auf. Wie sonst sollte man die gewachste Oberfläche wahrnehmen, die sich fast so anfühlt wie menschliche Haut? "Wir haben einen Körper, und er ist vergänglich", sagt Margot Krottenthaler.

Diese Körperlichkeit ruft sie dem Betrachter in ihren bewusst großformatigen Gemälden drastisch zurück in Erinnerung. "Fleischflüstern" zeigt eine stehende Gestalt, deren organische Leibeskonstruktion durch ein Gewirr von Linien offenkundig wird. Man sieht Blut- und Nervenbahnen, Luft und Speiseröhre, dazwischen en gros und en détail Zähne und Organe und alles in den saftigen Farben einer Metzgereiauslage.

Eine Überraschung gibt es auch in Karin Schuffs abstrakten Bildern, die nun eine ungewohnte Farbigkeit zeigen. In ihrer Serie "Snöfall" (Schneefall) haben sich zum Schwarz und Blau auch Pastelltöne eingeschlichen, zartes Rosa, lichtes Gelb. "Für mich ist das der Geruch von Schnee", sagt die Künstlerin.

Alfred Ullrich und Anna Dietze

Alfred Ullrichs Kunst ist fast immer politisch, das gilt auch für seine Rußbilder. (Foto: Niels P. Jørgensen)
Christbaumschmuck mal anders: Anna Dietzes "Weihnachts-Vulva. Shining Bright." (Foto: Niels P. Jørgensen)

Alfred Ullrich bezeichnet sich selbst als "Außenseiter unter Außenseitern". Die ersten neun Jahre seines Lebens verbrachte er in einem Planwagen am Stadtrand Wiens, als Sinto sieht er sich immer wieder mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert. Diese Erfahrungen verarbeitet der Künstler in seinen Werken, von denen bis Jahresende auch einige im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg zu sehen sind.

In der Moosschwaige zeigt Alfred Ullrich Rußbilder, sie thematisieren die Gegenwärtigkeit historischer Traumata. "Wir schaufeln ein Grab in den Lüften", heißt es in Paul Celans berühmter "Todesfuge". Ullrich zeigt sich überzeugt, dass seine Angehörigen, die im KZ Auschwitz "durch den Kamin gingen", heute tatsächlich noch als Rußpartikel in der Atmosphäre schweben, dass sie jeden Tag von Lebenden eingeatmet werden.

Diese dunklen Schleier finden sich auf runden Leinwandstücken wieder, aber auch auf Mustern gewebter Tücher, die seine Mutter verkaufte. Sie sei "Hausiererin" gewesen, erzählt Ullrich, und habe die Textilien in die hintersten Winkel der Alpentäler gebracht. Ein lang erfolgreiches Modell wirtschaftlicher Kooperation, das der Rassenwahn der Nazis allerdings brutal beendete.

Seine Tochter Anna Dietze sorgt für ein munteres Kontrastprogramm. Mittels Künstlicher Intelligenz hat sie sich aus eigenen Kunst-Stücken Arrangements generieren lassen, die eine ganze Wand füllen. Sie erwecken den Anschein großer Bedeutsamkeit, hinterlassen aber letztlich nur Ratlosigkeit. Vielleicht ist ja ebendies das Verständnis einer KI von moderner Kunst.

Bewundern kann man bei dem Atelierbesuch auch exquisiten Weihnachtsschmuck. In goldenes Blech geprägt hat Anna Dietze variierende Modelle einer "Weihnachts-Vulva" aufgehängt. Garniert ist das festlich glänzende anatomische Motiv mit einem Stern. Schließlich geht es an Weihnachten um die Geburt Christi, und der ist, soweit bekannt, auch nicht vom Himmel gefallen.

Atelierausstellung Kleine Moosschwaige 2023. Eröffnung am Freitag, 1. Dezember ab 19 Uhr. Samstag und Sonntag, 2./3. Dezember jeweils von 14 bis 18 Uhr.

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