Amtsgericht Dachau:"Märchenstunde" vor Gericht

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30-Jährige zieht Anschuldigungen gegen gewalttätigen Ehemann zurück - er muss trotzdem für sechs Monate in Haft.

Matthias Pöls

Mit zitternden Händen kommt die Frau in die Toilette. Tränen kullern unter der dicken Sonnenbrille hervor, die kaum ihre Wunden im Gesicht verdeckt. Die 30-Jährige steckt der Putzfrau einen Zettel zu und fleht. "Helfen Sie mir. Rufen Sie die Polizei. Mein Mann schlägt mich", erzählt die Putzfrau vor dem Dachauer Amtsgericht am zweiten Verhandlungstag gegen den Mann auf der Anklagebank. Dort sitzt der 40-Jährige wegen Morddrohungen und gefährlicher Körperverletzung. Richter Lukas Neubeck verurteilt ihn zu sechs Monaten Freiheitsstrafe - ohne Bewährung.

Seit zehn Jahren gilt das Gewaltschutzgesetz, das Kontaktverbote für prügelnde Ehemänner ermöglicht. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Es geht um die Geschichte einer Frau, die einfach von ihrem Ehemann weg wollte, es aber nicht schaffte. Als die Polizisten zum Einsatz bei den Toiletten anrückten, erstattet die 30-Jährige Anzeige, in der steht: Sie suchte Zuflucht bei einem befreundeten Taxifahrer und schlüpfte bei ihm für eine Nacht unter. Doch ihr Mann bekommt Wind von der Sache und knöpft sich gleich den Taxifahrer vor: "Lass die Finger von meiner Frau, sonst knall ich dich ab." Das nimmt der 34-Jährige, nach eigener Aussage, natürlich ernst. Für die Frau geht das Leid nun laut Anklage erst richtig los: Zu Hause schlägt ihr der eigene Ehemann zweimal mit der Faust ins Gesicht. Droht ihr mehrfach mit Mord, sollte sie nicht treu sein, oder zur Polizei gehen; martert sie weiter. Das alles geschah im Januar 2011. Als es Anfang November endlich zur ersten Verhandlung kommt, will die 30-Jährige plötzlich keine Aussage mehr machen, nimmt ihr Zeugnisverweigerungsrecht in Anspruch. Am zweiten Verhandlungstag kommt ans Licht, dass sie zuletzt sogar eine Anzeige gegen sich selbst gestellt hat, wegen angeblicher Falschaussage. "Sie ist auf der Kellertreppe mit einem Wäschekorb ausgerutscht", sagt eine Zeugin, die der Verteidiger geladen hat. Wie sich herausstellt, ist sie außerdem eine Angestellte des Angeklagten. Richter Neubeck kommentiert diese Aussage bei der Urteilsbegründung als "reine Märchenstunde".

Kein Märchen ist, dass die 30-jährige Frau wieder bei ihrem Mann wohnt. Sie schaffte den Sprung in die Freiheit nicht. "Das ist typisch", erklärt Birgit van Gunsteren vom Dachauer Frauenhaus: Oft gehen Frauen, die Opfer von Gewalt in der Beziehung geworden sind, mehrmals wieder zu ihren Männern zurück. Sie haben Angst oder glauben nicht, dass sie allein zurecht kommen könnten; oder hoffen auf die Anerkennung, die ihnen vorenthalten wird. Die innere Welt befinde sich in einer tiefen Zerrissenheit. Sie finden den Ausweg nicht, trotz der körperlichen Gewalt.

Die Frau hatte ein geschwollenes Nasenbein", sagt die Polizistin. Die 26-Jährige nahm damals die Verletzungen auf. Neben der wohl gebrochenen Nase waren Hämatome am ganzen Körper sowie im Gesicht. Das getrocknete Blut am Ohr hatte auch die Putzfrau gesehen und sagt: "Der Frau musste man helfen."

Welcher Druck hier ausgeübt wurde", könne man nur vermuten, sagt Richter Neubeck. Bei der Anzeige habe die 30-Jährige umfangreiche Angaben gemacht und auf einmal ziehe sie diese zurück. Da der Angeklagte erst Mitte 2010 eine Bewährungsstrafe erhielt, sei es ein extrem schneller Rückfall. Daher: sechs Monate ohne Bewährung. Den Polizisten, die bis zum Schluss der Verhandlung geblieben sind, huscht ein Lächeln über das Gesicht.

© SZ vom 25.11.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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