Amtsgericht Dachau:Letzte Chance

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Überfall, Autodiebstahl, Körperverletzung, Sachbeschädigung: Ein 19-Jähriger entgeht haarscharf noch einmal dem Knast. Sofern die Staatsanwaltschaft mitspielt.

Gregor Schiegl

Zwei Jahre, das ist die höchste Freiheitsstrafe, die ein Gericht noch zur Bewährung aussetzen kann. Und genau das hat das Schöffengericht des Amtsgerichts Dachau am Montag bei einem erst 19-jährigen Intensivstraftäter getan - mit der Auflage, 180 Sozialstunden abzuleisten. "Das war kurz vor knapp", sagt Amtsrichterin Petra Nolte. Dabei ist noch nicht einmal sicher, ob der Heranwachsende nicht doch noch in den Knast wandert. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Staatsanwaltschaft München II könnte noch Berufung einlegen.

Wegen heimtückischen Mordes an seiner früheren Ehefrau muss sich der Dachdecker Muharrem A., 62, aus Petershausen seit Dienstag vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II verantworten. (Foto: dpa)

Die Nachhaltigkeit und Beharrlichkeit, mit der Sie Gesetze übertreten, ist unglaublich", sagt die Staatsanwältin. Sie fordert zwei Jahre Jugendstrafe ohne Bewährung - das heißt Knast. Die Jugendgerichtshelferin sagt, wegsperren bringe nichts. Aber auch sie muss einräumen, "dass wir am Ende unserer Möglichkeiten stehen".

Der arbeitssuchende Angeklagte ist in einem Förderprogramm der Agentur für Arbeit, er hat eine Betreuerin. Und eine Bewährungshelferin. Mehr geht eigentlich nicht. Es geht um einen schwierigen - womöglich hoffnungslosen Fall: Mit 15 lauert der Angeklagte gemeinsam mit einem Freund Passanten in Dachau auf. An der Schleißheimer Straße überfallen sie einen Mann, schlagen ihm ins Gesicht und hauen mit rund 700 Euro Beute ab. Im Jahr darauf steht er wegen Beleidigung vor Gericht, weil er einen Betreuer mit Schimpfworten wie "Nazi-Spasti" belegt hat. Kurz darauf stiehlt er mit einem Kompagnon einen Transporter von einem Dachauer Autohof, kurvt damit durch die Umgebung, bis er in einem Acker landet. Als sie das Auto nicht aus dem Schlamm befreien können, schlagen sie es mit Eisenstangen zu Schrott.

Dafür wurde er im vergangenen Jahr zu einer Gesamtjugendstrafe von 18 Monaten auf Bewährung verurteilt. Und weil diese Bewährung noch offen ist, fallen die neuen Taten nun so ins Gewicht. Einem Jugendlichen, der ihn mit Ravioli-Sauce bespritzt haben soll, schlägt der Angeklagte mit der Faust gegen den Kopf. Ein andermal beschmiert er, gemeinsam mit anderen, ein Heimzimmer mit Fensterfarben. 500 Euro Schaden verursachten die Schmierereien. Der Angeklagte räumt es unumwunden ein.

Tatort ist eine Betreuungseinrichtung. Einer der unzähligen, in denen der Angeklagte schon gewesen ist. Aber überall gibt es Ärger. Mal kommt er zu spät nach Hause, mal kommt er mit den Betreuern nicht zurecht, mal schwänzt er die Arbeit, versäumt Termine. Ein jugendpsychiatrisches Gutachten bescheinigt ihm eine "knapp durchschnittliche Intelligenz", aber auch "Störungen im sozialen Bereich": Der Junge habe nie gelernt, wie man eine Beziehung aufbaut.

Wer die Familiengeschichte hört, kann sich darüber kaum wundern. Der Vater kam als Gastarbeiter aus Südostasien nach Deutschland; mit seinem Sohn hatte er nur Streit. Die Mutter machte sich aus dem Staub, als der Junge noch ein Kleinkind war. Sie blieb 15 Jahre spurlos verschwunden. Erst seit ein paar Monaten haben die beiden wieder Kontakt.

Er braucht eine Form, am sozialen Leben teilhaben zu können", sagt die Jugendgerichtshelferin. Wie die genau aussehen soll, weiß sie aber auch nicht so recht. "Da fällt mir nicht mehr viel ein."

© SZ vom 19.10.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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