Amtsgericht Dachau:38-Jähriger freigesprochen vom Vorwurf des sexuellen Missbrauchs

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Die Richterin nahm sich ausgiebig Zeit, um allen Beteiligten das Urteil anhand der betreffenden Passagen des Strafgesetzbuches zu erläutern. (Foto: David Young/dpa)

Für exhibitionistische Handlungen und das Verbreiten pornographischer Schriften wird der Mann aus dem südlichen Landkreis zu einer Geldstrafe in Höhe von 1350 Euro verurteilt.

Von Jacqueline Lang, Dachau

Dass der 38-jährige Angeklagte vor mehr als zwei Jahren eine damals gerade einmal Elfjährige am Dachauer Bahnhof sexuell missbraucht oder auch nur belästigt haben soll, dafür sieht das Schöffengericht unter Vorsitz von Richter Tobias Bauer nach drei Verhandlungstagen keine hinreichenden Beweise und spricht den Mann aus dem südlichen Landkreis von dem schwerwiegendsten der drei Anklagepunkte frei. Verurteilt wird der Angeklagte, der seit seinen Studientagen an einer hebephrenen Schizophrenie leidet und deshalb nur vermindert schuldfähig ist, wegen exhibitionistischer Handlungen in der Öffentlichkeit und des Verbreitens von pornographischen Bildern zu einer Geldstrafe von insgesamt 1350 Euro.

Am ersten Verhandlungstag hatte Richter Bauer zunächst eine heute 16-jährige Zeugin gehört und dann - weil diese sich kaum noch an den Vorfall vor der McDonalds-Filiale erinnern wollte - am zweiten Verhandlungstag auch noch jene 13-jährige Freundin, die bei der Polizei im Nachgang die Anzeige gegen den 38-Jährigen gestellt hatte. Doch die junge Karlsfelderin wollte sich vor Gericht plötzlich nicht einmal mehr daran erinnern, vor zwei Jahren bei der Polizei gewesen zu sein. Auch daran, dass sie dort damals ausgesagt hatte, von dem Angeklagten nach einem Blowjob gefragt, als "Nutte" beleidigt und zum gemeinsamen Rauchen eines Joints eingeladen worden zu sein, wollte sich die 13-Jährige trotz mehrfacher Nachfrage partout nicht erinnern.

Richter Bauer hatte daraufhin zum dritten Verhandlungstag auch noch den Vater der 13-Jährigen geladen, der seine Tochter damals zur Polizei begleitet hatte, sowie den Polizisten, der die Anzeige aufgenommen hatte. Diese konnten sich zumindest beide noch an den Vorfall erinnern, wenn auch der Vater nur noch in groben Zügen. Dass es seine Tochter gewesen sein soll, die sexuell belästigt wurde, weiß er, als Richter Bauer ihn dazu befragt, nicht mehr. Und wie seiner Tochter und seiner Ex-Frau ist auch ihm der Name der 16-jährigen Zeugin, die damals mit seiner Tochter am Bahnhof gewesen sein soll, nicht geläufig. Warum sich seine Tochter an so gar nichts mehr erinnern will, weiß er nicht: "Vielleicht hat sie's erfolgreich verdrängt."

Die Staatsanwaltschaft fordert eine Bewährungsstrafe

Der Polizeibeamte, dem das Mädchen 2021 den Vorfall geschildert hatte, hatte damals in den Akten vermerkt, dass die zum Zeitpunkt Elfjährige zwar "aufgeregt, aber glaubwürdig" gewesen sei. Ob der Angeklagte am Bahnhof auf Drogen durchsucht worden ist, weiß er nicht mehr. Auch daran, dass er vor Ort den Luftballon, der die Form eines Penis gehabt haben und mit dem der Angeklagte dem Mädchen hinterhergelaufen sein soll, gesehen hat, kann sich der Polizist auf Nachfrage von Richter Bauer nicht mehr erinnern. Der Angeklagte selbst hatte schon Anfang August zugegeben, dass er Mädchen am Bahnhof beleidigt und nach einem Blowjob gefragt habe. Allerdings habe er, so sagte er bei seiner Vernehmung, damit lediglich auf vorhergegangene Provokationen der Gruppe von Jugendlichen reagiert und nicht ernsthaft sexuelle Handlungen erfragt. Einen Joint habe er weder dabei gehabt noch irgendwem angeboten.

Für die Staatsanwaltschaft ergibt sich aus all diesen Aussagen eine "Symbiose", die die Schuld des Angeklagten in diesem Punkt zumindest teilweise bestätigt: Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs hält sie für zutreffend, für den Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz sieht sie indes keine Anhaltspunkte. Den Vorwurf der exhibitionistischen Handlung sowie des Verbreitens pornographischer Bilder sieht sie vollumfänglich bestätigt, woraus sich für sie eine Gesamtstrafe von einem Jahr und sieben Monaten ergibt, ausgesetzt zur Bewährung.

Weder Verteidiger Daniel Heilmeier noch das Schöffengericht teilen jedoch die Einschätzung der Staatsanwaltschaft im Hinblick auf den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs. Anwalt Heilmeier plädiert daher für eine insgesamt milde Strafe und dem kommt Richter Bauer auch nach: Er verurteilt den 38-Jährigen zu 90 Tagessätzen á 15 Euro. Nicht nur sei der Angeklagte nur vermindert schuldfähig, auch habe er sich vor den Taten, die nun schon mehr als zwei Jahre zurückliegen, und auch danach nie wieder etwas zu schulden kommen lassen. Für den Tatbestand des sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen, zumal nur verbal, seien weder die widersprüchlichen Aussagen der beiden Mädchen noch die Einlassung des Angeklagten selbst ausreichend, weil die Hürden für diesen Tatbestand recht hoch seien.

Für die anderen beiden Anklagepunkte - der 38-Jährige hatte an einer Bushaltestelle seinen Penis gezeigt und einer Kommunalpolitikerin ein Bild von einer Frau in sexueller Pose geschickt - kämen jeweils lediglich Geldstrafen in Betracht. Berücksichtige man dann noch die verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten, und wie lange die Taten schon zurückliegen, komme man auf 1350 Euro.

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