Hebertshausener Dorfgeschichte:Anarchie in Ampermoching

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Das kleine Dorf ist in den Achtzigerjahren ein beliebter Treffpunkt der Punk-Szene. Eine Doku ruft diese wilde Episode in Erinnerung.

Von Gregor Schiegl, Hebertshausen

Wenn man heute durch das aufgeräumte Straßendörfchen Ampermoching fährt mit seinen verschlafenen Wohnhäusern, kann man sich kaum vorstellen, dass hier vor 40 Jahren der Punk abging. In den Achtzigerjahren war der Gasthof zur Post ein beliebter Treffpunkt für die Punk-Szene rund um München, ein Mekka der Subkultur mitten im Dorf. Von weit her, bis aus Berlin, Brüssel oder New York, kamen Bands und ihre Fans in den Landkreis. Legendäre Bands wie The Exploited ließen in Ampermoching die Gitarren jaulen und Lustfinger aus München, die heute zu den ältesten noch aktiven Punkbands im Lande zählen, brachten die Menge auf den abgewetzten Holzdielen zum Pogen. Nach den Konzerten legten sich die erschöpften Besucher gerne mal zum Schlafen in die Gärten der braven Ampermochinger Bürger nieder. Bis zur S-Bahn-Haltestelle hätte man drei Kilometer laufen müssen.

Diese wilde Episode der Ampermochinger Dorfgeschichte ist bestens dokumentiert durch ein Feature des Bayerischen Fernsehens aus den Achtzigerjahren. Damals galt der BR als "verlängerter Arm der Staatsregierung", wie BR-Musikjournalist Karl Bruckmaier berichtet, aber Bruckmaiers lockere Art und eigene Affinität zur Szene brach das Eis. Nun hat der BR noch einmal einen mehr als achtminütigen Beitrag gesendet, der die Geschichte noch einmal Revue passieren lässt. Alteingesessene Ampermochinger kommen dabei ebenso zu Wort wie der auch schon angegraute Punk Erich Zander und schlussendlich auch die Filmemacher.

"Kulturell war für das für die voll das Assitum"

Bäcker Thomas Polz kann sich noch gut erinnern an die Kommune, die den Gasthof zur Post übernahm. "Vollbärtig und langhaarert" seien die gewesen, erzählt er, gut essen habe man da auch können. Aber die Nostalgie zeichnete vieles weicher, die Kluft zwischen Punks und Landbevölkerung war riesig. Die jungen Leute mit ihren bunten Irokesenkämmen, ihren wild auftoupierten Haaren und ihr Scheiß-drauf-Attitüde waren vielen nicht geheuer. "Kulturell war für das für die voll das Assitum", sagt Alt-Punk Erich Zander. "Für die Punks war's super." Zander lacht.

Das Gasthaus zur Post wurde 2013 abgerissen. Zu Ende war die wilde Zeit in Ampermoching aber schon 1983. Die Kommune dachte herrschaftsfrei, antikapitalistisch und auch ein bisschen unstrukturiert, was bald zu einer wirtschaftlichen Schieflage führte. Die "Langhaarerten" saßen am Ende auf einem Schuldenberg von 10 000 Mark und einem Berg unverkäuflicher Würstchen.

Der Beitrag wirft auch ein Schlaglicht auf die aktuelle Identitätsdebatte: Es sei erstaunlich, wie heterogen die Szene damals gewesen sei, sagt Bruckmaier. "Damals wurde mit Identitäten gespielt, heute ist alles todernst. Man definiert sich über die Identität: über seine Hautfarbe, über seine sexuelle Präferenz, über seine politische Zugehörigkeit, und was außerhalb ist, wird mit großer Aggression abgestoßen oder zumindest kritisch beäugt."

Früher war nicht alles besser, aber einiges war doch einfacher.

Den Film kann man bestellen unter www.ettlich-film.de/produkt/die-post-in-ampermoching oder in der Mediathek sehen: https://www.ardmediathek.de/video/schwaben-altbayern/subkultur-im-ampermoching-der-70er/br-fernsehen/Y3JpZDovL2JyLmRlL3ZpZGVvLzU3ZjlkNDUzLWQ4ZDktNDk5NC05NDIwLTU4ZjFhMTQ2NTVjYQ

© SZ vom 08.04.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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