Umstrittene Kunst:Wo Politiker unter einem Nazi-Wandteppich tagen

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Der Wandteppich des Nazi-Künstlers Bruno Goldschmitt hängt im Sitzungssaal des Pasinger Rathauses. (Foto: Alessandra Schellnegger)
  • Im Pasinger Rathaus tagen Lokalpolitiker unter einem Wandteppich des Nazi-Künstlers Bruno Goldschmitt.
  • Kritiker halten das für eine Zumutung, abgehängt wird der Gobelin aber nicht. Der Ältestenrat der Stadt ist dagegen.

Von Jutta Czeguhn

Mühelos ließe sich der Teppich von der Wand lösen. Er wird nur von einem Klettband auf einer schlichten Holzplatte gehalten. Freimut Scholz hat den Hausmeister in den Sitzungssaal des Pasinger Rathauses gebeten, damit er für ihn den alten Gobelin lüpft. Scholz will wissen, ob sich dahinter womöglich immer noch diese Nische befindet, in der einst eine Hitler-Büste stand.

Aber da ist nur die Holzplatte, tapeziert mit dem Wandteppich des Künstlers Bruno Goldschmitt aus dem Jahr 1938. Auch das Nazi-Kunst, die in einem Ratssaal nichts verloren habe, sagt Freimut Scholz. Der 79-Jährige will, dass die Tapisserie abgehängt wird. Darüber zu entscheiden hat Münchens Ältestenrat, und der ist dagegen.

Der Gobelin erzählt die Münchner Gründungslegende

Der Gobelin fasst sich an wie ein riesiger Staubfänger, die Farben sind verblasst. Man muss schon genau hinsehen, um zu erkennen, was da auf 4,20 mal 5,25 Metern erzählt wird: Es ist die Münchner Gründungslegende. Welfen-Herzog Heinrich der Löwe lässt 1158 die Marktbrücke des Bischofs von Freising bei Oberföhring zerstören. Der lukrative Salzhandel führt fortan über einen Flussübergang isaraufwärts, "Munichen" entwickelt sich zum blühenden Ort.

Freimut Scholz will, dass der Teppich verschwindet. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Freimut Scholz, ehemaliger Kunsterzieher, Museumspädagoge und promovierter Philosoph, hat 2008 ein Buch über diese Gründungsgeschichte veröffentlicht. Bei den Recherchen stieß er auf eine alte Fotografie von Goldschmitts Gobelin. Je mehr er über den Teppich und den Künstler herausfand, desto unbegreiflicher wurde ihm, dass dieses Werk "heute noch im Ratssaal eines demokratischen Gemeinwesens hängt".

Überdies in unmittelbarer Nähe zu einem Mahnmal, das an die Vertreibung und Ermordung der Pasinger Juden erinnert. Scholz meint die Stahlskulptur "Leerer Stuhl" der Künstlerinnen Marlies Poss und Blanka Wilchfort, die seit Januar vergangenen Jahres am Pasinger Rathaus steht.

Die Brücke erinnert an ein liegendes Hakenkreuz

Für Scholz ist Goldschmitts Gobelin ein "charakteristisches Werk propagandistischer NS-Kunst", das den Bildkonventionen der Zeit folgt. Im Zentrum steht überlebensgroß in Rüstung Heinrich der Löwe, ein Furcht einflößender Kraftlackl. "Sein Blick ist weit in die Ferne nach Osten gerichtet", interpretiert Scholz, für den sich hier der Überfall auf Polen andeutet. Einiges mehr an NS-Symbolik lasse sich entdecken: Die Brücke etwa, die gerade zusammengezimmert wird, erinnert ihn an ein liegendes Hakenkreuz.

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(Foto: Pasinger Archiv)

1937 wurde der Sitzungssaal in Pasing eingeweiht. Wo damals eine Büste von Adolf Hitler stand,...

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(Foto: Alessandra Schellnegger)

...hängt heute ein Gobelin aus dem Jahr 1938.

In der Studie "Die Tapisserie im Nationalsozialismus" von Anja Prölß-Kammerer (2000), auf die sich Freimut Scholz stützt, wird Goldschmitt als eifriger Parteigenosse beschrieben. Der Künstler, Jahrgang 1881, Stuck-Schüler, Hermann-Hesse-Freund, galt zu seiner Zeit als arrivierter Künstler.

Von ihm stammen auch die Fresken am Polizeipräsidium. 1932 bereits wurde er Mitglied der NSDAP. In einem Brief aus dem Jahr 1935 dienert sich Goldschmitt als Vorstand der "Deutschen Kunstgesellschaft" bei Hitlers Chef-Ideologen Alfred Rosenberg an. Juden und Kommunisten, geifert er da, seien ein "eingeschleppter Fäulnisschwamm", der aus der Kunst des "erwachten Deutschlands" entfernt werden müsse.

Der Gobelin war Auftakt eines zwölfteiligen Zyklus', 1934 von der Stadt in Auftrag gegeben zur Ausschmückung des großen Saals im renovierten Alten Münchner Rathaus. Die Teppichserie, die Weberinnen der "Münchener Gobelin-Manufaktur" nach Goldschmitts Entwürfen fertigen, sollte einen Bogen spannen von der Gründung Münchens bis zur "Hauptstadt der Bewegung".

Im Münchner Ratssaal hing das finstere Werk nur von 1938 bis 1942, dann wurde es wegen der Luftangriffe im Stadtmuseum eingelagert. Er ist der einzige von insgesamt vier fertiggestellten Teppichen der Serie, der erhalten blieb. Wie er seinen Weg ausgerechnet ins Pasinger Rathaus fand, das in der NS-Zeit eingeweiht wurde, ist nicht zu erfahren. Womöglich hat ihn Münchens Oberbürgermeister Thomas Wimmer als Gastgeschenk mitgebracht, als 1952 die Wiederinstandsetzung des im Krieg schwer zerstörten Pasinger Rathauses gefeiert wurde.

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Jene, die den Gobelin häufig vor Augen beziehungsweise im Rücken haben, die Mitglieder des Bezirksausschusses, reagierten teils amüsiert auf Scholz' Thesen von den ideologischen Webfehlern. Im September vergangenen Jahres stimmten sie dafür, dass der Teppich bleibt, jedoch mit einer Hinweistafel versehen wird, welche die geschichtlichen Zusammenhänge erklärt.

Auch der Ältestenrat der Stadt, der in solchen Fragen das letzte Wort hat, will diesen Weg nun gehen. Wie der Text lauten wird, hat Freimut Scholz im November aus einem Brief von Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) persönlich erfahren. "Die Bildfindungen konfrontieren den Betrachter mit den damals gängigen monumentalen, heroischen und völkischen Darstellungsformen", liest sich in dem Schreiben unter anderem.

"Zumutung für alle, die das verbrecherische Deutsche Reich durchlebt haben"

Freimut Scholz steht mit seinem dicken Akt Korrespondenz etwas verloren im Pasinger Sitzungssaal und blickt auf den Gobelin. Er ist enttäuscht. Der Kommentar der Ältesten erscheint ihm unzulänglich, zumal auf die ideologischen Verstrickungen Goldschmitts mit dem NS-Regime nicht eingegangen werde. Er hatte sein Anliegen bei allen möglichen städtischen Stellen und Persönlichkeiten vorgebracht.

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Unter anderem bei Winfried Nerdinger, den Gründungsdirektor des NS-Dokuzentrums, der ihm beipflichtet: "Aus meiner Sicht ist eine derartige Dekoration völlig unpassend im Sitzungssaal einer demokratischen Einrichtung." Künstlerin Blanka Wilchfort, selbst aus einer Familie von NS-Verfolgten, spricht von einer "Zumutung für alle, die das verbrecherische Deutsche Reich durchlebt haben, und für deren Nachkommen".

Freimut Scholz hofft nun, dass der Ältestenrat seine Entscheidung noch einmal überdenkt oder zumindest den Text auf der Hinweistafel ergänzt. Doch seitens der Stadt sind die Signale eindeutig: Man werde sich nicht noch einmal mit der Angelegenheit befassen.

© SZ vom 21.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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