Konzertreihe:Jobs in Schlüsselpositionen

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Der Pianist Jacob Karlzon denkt auf seinem neuen Album nach über die Kunst des Widerstands. (Foto: Mats Bäcker)

Beim "BMW Welt Jazz Award" steht in diesem Jahr das Klavier im Mittelpunkt.

Von Dirk Wagner

Beim "BMW Welt Jazz Award 2022" ist das Klavier Werkzeug eines Wettstreits. Dabei hat es durchaus einen verbindenden Charakter. Ja, das musikalische Zusammenwirken seiner 36 schwarzen und 52 weißen Tasten lässt das Instrument schon fast als die Visualisierung dessen erscheinen, für was der Jazz immerhin auch stehen kann: nämlich für die Überwindung und Ablehnung von Rassismen. Oder, um es mit dem legendären deutschen Veranstalter Fritz Rau zu sagen, der selbst zum Beispiel auf dem "American Folk Blues Festival" Anfang der Sechzigerjahre zahlreiche afro-amerikanische Musiker erstmals in Europa auftreten ließ: "Du kannst nicht die Musik von Louis Armstrong und Ella Fitzgerald lieben und gleichzeitig ein Rassist sein." Letztlich habe darum erst die Jazzmusik ihn, der als Kind hierzulande noch in der Hitlerjugend sozialisiert wurde, im Nachkriegsdeutschland "entnazifiziert". So hatte der 2013 verstorbene Fritz Rau es jedenfalls mal ausgedrückt.

Würde man nun aber seinem Gedanken folgend die Jazzmusik nur als afroamerikanische Musik begreifen, könnte man da durchaus auch von einer kulturellen Aneignung sprechen, als auch weiße Musiker wie Bix Beiderbecker, Benny Goodman oder Dave Brubeck mit diesem Musikstil Erfolge feierten. Doch ebenso wie zahlreiche europäische und asiatische Jazzer begaben sich jene weißen US-amerikanischen Musiker vielmehr in einen Dialog mit ihren zumeist dunkelhäutigen Vorbildern und Musikerkollegen. Aus diesem Dialog ging aber keine kulturelle Aneignung hervor, sondern eine weltweite gemeinsame Sprache, die letztlich auch in allen anderen gesellschaftlichen Belangen immer wieder die Freiheit einfordert. Frei von Grenzen, frei von Unterdrückung, und frei für Neues zum Beispiel. Weswegen der schwedische Pianist Jacob Karlzon auf seinem jüngst erschienenen Album "Wanderlust" sogar dann noch jazzmusikalische Freiräume als "Art of Resistance" schafft, wenn diese mitunter etwas popmusikalisch anmuten. Denn "Art of Resistance", wie das erste Stück des Albums auch heißt, ist zugleich sein Programm: die Kunst des Widerstands. Und also widersteht Karlzon auch musikalischen Zuordnungen.

Das Julia Hülsmann Trio eröffnet die Konzertreihe im Doppelkegel der BMW-Welt. (Foto: Arne Reimer)

Umgekehrt offenbart die deutsche Jazzpianistin Julia Hülsmann mit ihrer Fassung von David Bowies Pop-Schmonzette "This Is Not America", dass diese in Wahrheit schon immer auch Jazzmusik war. Ihr aktuelles, 2019 bei ECM erschienenes Album "Not Far From Here" wurde im vergangenen Jahr in der Kategorie "Album Instrumental des Jahres" mit dem deutschen Jazzpreis ausgezeichnet. Für dieses Album, auf welchem auch jener Bowie-Song enthalten ist, wird das Julia Hülsmann Trio dergestalt vom Saxofonisten Uli Kempendorff verstärkt, dass es nunmehr unter dem Namen Julia Hülsmann Quartett geführt wird. Weil aber ein Quartett eben nicht nur "ein Trio plus Gast" ist, wie Hülsmann selbst es mal beschrieben hatte, darf man gespannt sein, wieweit auch jenes preisgekrönte Album ins Konzert-Programm des Julia Hülsmann Trios einfließt.

Dieses eröffnet nämlich am heutigen Dienstag, 8. März, nach einer coronabedingten Zwangspause endlich wieder den ansonsten jährlich ausgetragenen "BMW Welt Jazz Award". Sechs von einer Fachjury vorab ermittelte Formationen treten hier zunächst an jeweils einem Dienstagabend im Doppelkegel der BMW-Welt auf. Die beiden Formationen, deren Auftritte von jener Fachjury sodann am besten bewertet werden, treten schließlich in einem Finale am 9. Juli gegeneinander an. Für dieses Finale können vom 8. März an Eintrittskarten über Münchenticket gekauft werden. Alle anderen Konzerte werden zum freien Eintritt angeboten. Weil die Zuschauerzahl allerdings trotzdem begrenzt ist, empfiehlt es sich um so mehr, sehr früh zu erscheinen, um mit Julia Hülsmann (8. März) und Jacob Karlzon (22. März), sowie mit der israelischen Pianistin und Komponistin Anat Fort (5. April), mit dem italienischen Jazzmusiker Giovanni Guidi (12. April), dem Spanier Marco Mezquida (19. April) und mit Ashley Henry (26. April) aus Großbritannien in die Welt der Klaviermusik einzutauchen.

Denn der "BMW Welt Jazz Award" richtet in seiner Sichtung einer aktuellen Jazzmusik den Fokus stets auf andere primäre Merkmale. Mal wurde zum Beispiel der Humor in der Jazzmusik gekürt, mal wurde dem Schlagzeug im Ensemble eine vorrangige Aufmerksamkeit beigemessen. Unter dem Motto "Key Position" wird heuer also die Schlüsselposition der Klavierspieler in ihren Ensembles geprüft. Wobei sie dem Wort nach, also laut Key in Keyboard oder laut dem lateinischen clavis in Klavier, ohnehin schon den Schlüssel selbst führen. Auf dass sie uns damit die Tür zu einer besseren Welt öffnen! Eine, in der man sich nicht gegenseitig ausgrenzt und bekriegt, sondern miteinander beispielsweise musiziert.

BMW Welt Jazz Award, ab 8. März, Dienstag-Konzerte, jeweils 19 Uhr, Einlass ab 18 Uhr, Doppelkegel der BMW-Welt, www.bmw-welt.com/de/experience/jazz-award-2022.html

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