Lesung im Münchner Prinzregententheater:Tief unter die Haut gestochen

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"Ich bin schnell, wenn ich mich tätowieren lasse", sagt Ben Becker, der auch den Schriftzug "Joseph Conrad" auf dem linken Arm trägt. (Foto: Daniela Pfeil)

Ben Becker inszeniert Joseph Conrads abgründiges Meisterwerk "Herz der Finsternis" als Ein-Mann-Apokalypse.

Von Michael Zirnstein, München

Beginnen wir nicht im Abgrund, sondern an der Oberfläche. Alle wollten es fotografieren bei den Pressekonferenzen, das Tattoo auf Ben Beckers linkem Arm: "JOSEPH CONRAD" steht da wie auf einem Saloon-Schild. Ein Zeugnis der Verehrung des Trägers für diesen in der Ukraine als Józef Teodor Nałęcz Konrad Korzeniowski geborenen, britischen Schriftsteller. Aus dessen einflussreichstem Werk, "Herz der Finsternis" von 1899, wird Becker im Münchner Prinzregententheater lesen. Warum hat er sich gleich den Autor für die Ewigkeit stechen lassen, nicht etwa die berühmtesten Worte aus dem Buch, "Das Grauen, das Grauen!", die Pop-Kultur geworden sind (eine Art-Rock-Band nennt sich The Horror ,The Horror)?

"Weiß auch nicht", sagt Becker beim Interview im Hotel Bayerischer Hof, "ich bin schnell, wenn ich mich tätowieren lasse. Ich habe da auch ,Made in Disneyworld' stehen." Das Zitat von Rutger Hauer aus dessen Highway-Killer-Film habe er sich in Salzburg stechen lassen, am nächsten Tag habe er es bei der Opern-Premiere gezeigt, "um die Leute zu ärgern". Jede Stichelei ist dem Berliner Schauspieler eine Herzensangelegenheit. Aber den Conrad, den habe er für sich selbst machen lassen, so vor 20 Jahren. Weil ihm "der Schriftzug aus der Fischerausgabe so gut gefiel". Und weil ihn Conrad nie losgelassen habe. Er sei kein Jack-London- oder Hemingway-Fan, und "leck mich am Arsch mit Bukowski", der sei ihm "zu amerikanisch, zu schmuddelig".

Seinen "Judas" würde Becker sehr gerne mal in der Frauenkirche erschallen lassen

"Da hat Conrad doch eine ganz andere Tiefe", findet Becker. Sein "Herz der Finsternis" sei "ein Stück Weltliteratur", konstatiert er bei einer kurzen Lesung für die Medien im Bayerischen Hof. Aber weil das Buch doch eher nur einer Kenner-Gemeinde bekannt sei, hat er für die Lesung den Titel "Apokalypse" gewählt. Das ist eine Anspielung an Francis Ford Coppolas Vietnam-Drama-Adaption "Apocalypse Now" von 1979, und weniger als Fortsetzung einer Religions-Reihe gemeint. Nach der Bibel, nach "Judas" (den er sehr gerne mal in der Münchner Frauenkirche erschallen ließe, ließen ihn die Bayern nur) wolle er ja auch nicht gleich den Koran machen, wonach viele von ihm verlangten, sagt Becker. Celan hat er gemacht, Kafka hat er vor - er stoße immer auf "philosophische, existenzielle Texte". Natürlich gibt es bei Konrad einen Bezug zur Offenbarung im Johannes-Evangelium, aber auch zu Dantes "Göttlicher Komödie", zu Vergil und in die griechische Mythologie. Große Geschichten, sagt Becker, mache immer die Frage aus: "Wie gehen wir miteinander um?" Wie schrecklich misshandelt Handelsagent Kurtz auf seinem Posten am Kongo-Fluss die Eingeborenen? Wie scheitert der Kapitän Marlow, den sich selbst zum Gott ernannten mit dem Flussdampfer "Nellie" zurück in die Zivilisation zu bringen?

Es geht los wie im Buch: "Jeder Mensch hat seinen Zerreißpunkt ..." Freilich, ein gefundenes Fressen für die Journalistenmeute, jeder will von Becker wissen, wo seiner ist. Jetzt schon, da ein Gast zu spät kommt, er ihn mit Blicken züchtigt? Oder wie er den ihm auf den Lesetisch gestellten Kaffee samt Sahnenäpfchen entsorgen lässt. Hier solle es nicht "gemütlich" zugehen, schimpft er, er habe extra eine Büchse Cola bestellt. Die passt zu seiner Vorstellung vom Bühnenbild: Ein Atombunker, in dem ein Prepper, also einer, der sich auf den Weltuntergang vorbereitet, zwischen Vorratsdosen ein Tonband mit seinen Erinnerungen bespricht. "Wer sich ein bisschen auskennt, sieht darin eine Anspielung an Becketts ,Das letzte Band'."

Ben Becker inszeniert sich am "Apokalypse"-Abend als Prepper, als einer, der sich in seinem Bunker auf den Weltuntergang vorbereitet. (Foto: Jens Wazel)

Aber das ist der heilige Becker-Zorn, Kinsky-haft, kein Zerreißen. Das "Herz der Finsternis" steigt viel tiefer hinab, in den schwarzen Dschungel der Seele - "das hier ist nicht der Englische Garten". Beckers "großer Zusammenbruch" war 2008, danach "war die Hölle los", sagt er. Keine Details. Damals machte er dann die Bibel. Die brachte ihn wieder auf Kurs. 25000 kamen zur Lesung auf dem Katholikentag, "das hat geknallt ohne Ende". Er predigte, zürnte und spie und gospelte "He's Alive" von Dolly Parton. Eine Offenbarung.

Welche Musik würde diesmal passen? Bei einem Versuch in Hamburg habe er "The End" von den Doors am Ende gesungen, oben ohne und voller Blut. "Davon bin ich vollkommen weg", sagt Becker, "das ist ja keine Rock'n'Roll-Veranstaltung". Leise nur lässt er nun vor Beginn die Rolling Stones laufen: "Gimme Shelter". Da heißt es: "War, children / It's just a shot away." Das gelte ja immer noch und gerade jetzt wieder, sagt er. "Wir sind nicht beim Topfschlagen, wir führen Krieg, und dazu habe ich keine Lust", sagt Becker. Er sorgt sich um die Ohnmächtigen, die vom Globalismus ausgebeuteten, und die kleinen Leute hier: "Wenn sich die allein erziehende Mutter mit dem Fiat Panda um den Baum wickelt, ist sie weg; wenn der Manager das mit seinem dicken SUV macht, wechselt er danach nur das Auto." Die Welt macht ihm Angst. Weniger die Flut im Aartal als die in Pakistan. Und wie wir hier an dem Leid der Welt mit Schuld haben. Das alles, das Kalkül, die Verrohrung, die Verwilderung, lese er bei Conrad, der das als Angestellter der britischen Handelsgesellschaft vorausgesehen habe. Diese Geschichte geht Becker nicht auf, sondern tief unter die Haut.

Ben Becker, "Apokalpypse" , Di., 11. Okt., 20 Uhr, Prinzregententheater, Prinzregentenplatz 12

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