Belarussisches Festival:Mit Kultur den Protest auflodern lassen

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Rot und Weiß, die Farben der belarussischen Opposition: Ina Valitskaya veranstaltet mit dem Verein Razam das erste belarussische Kulturfestival in München. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Als 20-Jährige wollte Ina Valitskaya die Welt sehen, ging zum Studium nach Deutschland. Inzwischen würde sie gerne nach Belarus heimkehren - könnte man dort nicht schon für das Tragen roter und weißer Socken verhaftet werden.

Von Clara Löffler, München

Drei Jahre ist es her, dass Ina Valitskaya nach Belarus gereist ist. Es war vielleicht der letzte Besuch in ihrem Heimatland für lange Zeit. Die 41-Jährige will nicht riskieren, eingesperrt zu werden. Es seien schon Leute verhaftet worden, weil sie rote und weiße Socken getragen haben, erzählt sie. Rot und Weiß sind die Farben der belarussischen Opposition. Sie waren bei den Massenprotesten im Land nach der gefälschten Präsidentschaftswahl 2020 allgegenwärtig.

Damals schwappte eine Welle der Solidarität durch die belarussische Diaspora hier in Deutschland, erzählt Valitskaya. Auch sie wurde davon erfasst und begann, für "Voice of Belarus" die Nachrichten unabhängiger Medien in Belarus ins Deutsche zu übersetzen. Dann schloss sie sich dem Verein Razam an - einer Demokratiebewegung von in Deutschland lebenden Menschen, die sich im selben Jahr gründete. Gerne hätte man Valitskaya persönlich getroffen, um über ihr Engagement zu sprechen. Aber sie ist nach Litauen gereist, um ihre Familie zu treffen. Nur so kann sie ihre Mutter sehen, die zu alt ist, um die lange Busfahrt nach München anzutreten. Das Gespräch findet daher über Zoom statt.

"Razam" ist belarussisch und bedeutet so viel wie "gemeinsam". "Am Anfang waren wir eine Gruppe von Menschen, die eine gemeinsame Herkunft hatten und etwas tun wollten. Diese Machtlosigkeit hat uns verrückt gemacht", sagt Valitskaya, die Sätze häufiger mit "wir" als mit "ich" beginnt. Wenn sie stolz von den vielen Projekten des Vereins zu erzählen beginnt, ist sie kaum zu unterbrechen. Dazu gehören Hilfe für Geflüchtete und Lobbyarbeit, genauso wie Sprachkurse und Sommercamps. Valitskaya selbst organisiert vom 9. bis 11. September das erste belarussische Kulturfestival in Bayern, "Minsk x Minga". Hauptveranstaltungsort wird das Backstage in München sein.

Einige Freunde, "Sowjetunion-Nostalgiker", hat sie verloren

Fragt man Valitskaya nach ihrem politischen Aktivismus, winkt sie ab. "Ich sehe mich nicht wirklich als politisch", sagt sie. Doch nur Sekunden später erhebt die sonst so ruhige und freundliche Person, die ihre Worte in diesem Gespräch immer mit Bedacht wählt, ihre Stimme und ruft wütend: "Was in Belarus geschieht, ist völlig ungerecht. Ich kann es nicht akzeptieren, dass Menschen, die nie zu einer bewaffneten Revolution aufgerufen haben, die gesagt haben, wir müssen uns an die Gesetze halten, für viele Jahre ins Gefängnis gehen." Als 2020 die Frauen in Belarus in weißen Kleidern und mit Blumen in den Händen auf die Straße gingen, tat sie das auch hier in München. Einige Freunde, "Sowjetunion-Nostalgiker", wie Valitskaya sie nennt, habe sie damals verloren. "All die Leute, die sagen, das gehe sie nichts an, oder sie seien zu klein, um das alles zu beurteilen, oder sie seien nicht gut informiert, suchen nur nach Ausreden", findet Valitskaya.

Dabei sei sie viel mehr an Kultur als an Politik interessiert. "Ich finde die Antworten auf die wichtigen Fragen des Lebens eher in der Kultur", sagt Valitskaya. Dass sich Protest und Kultur gut verbinden lassen, zeigen auch die Künstler des belarussischen Kulturfestivals. Wenn Valitskaya über sie spricht, schwingt tiefe Bewunderung in ihrer Stimme mit. "Verglichen mit diesen großen Stars bin ich sehr klein", sagt sie und lacht verlegen. Zu den Großen gehört Xisha Angelova, die Porträts von politischen Gefangenen malt. Etwa 1300 sind derzeit offiziell von Menschenrechtsorganisationen als solche eingestuft, und täglich kommen weitere hinzu. Die Künstlerin selbst lebt in Warschau. Andere werden nach dem Festival nach Belarus zurückkehren. Dementsprechend werden sie sich mit ihrer Kritik an der Regierung zurückhalten müssen.

Ina Valitskaya lebt seit 2003 in Deutschland. Nach ihrem Diplom in modernen Fremdsprachen an der Universität Minsk ging sie für ihr Masterstudium nach Berlin und zog 2011 nach München. Sie war als Übersetzerin und Dolmetscherin tätig, jetzt arbeitet sie in einer Patentanwaltskanzlei. "Als ich 20 war, wollte ich die Welt sehen, ich wollte in Europa leben, ich wollte studieren. Erst nach und nach bin ich zu meinen Wurzeln zurückgekehrt", sagt sie. Valitskaya versucht, mit ihrer siebenjährigen Tochter öfter Belarussisch zu sprechen - in ihrer Heimat werden allein dafür Menschen verhaftet.

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Auch Menschen aus ihrem Bekanntenkreis sind von den zunehmenden Repressalien betroffen: Eine Dozentin aus Minsk zum Beispiel sei hinter Gittern gewesen, weil sie einen Propagandisten auf der Straße geohrfeigt hatte. Es sind Momente wie diese, in denen man merkt, wie nahe Valitskaya das alles noch immer geht. Dann legt sie die Hände an die Schläfen, atmet tief ein und aus und schluckt schwer, bevor sie weiterspricht.

Die Proteste gegen Lukaschenkos Regime machen ihr Hoffnung

Dennoch gaben ihr die Proteste vor zwei Jahren Hoffnung: "Hätte es diese Stimmung, die wir 2020 erlebt haben, schon 2003 gegeben, hätte ich einen guten Grund gehabt zu bleiben." Auch hier in Deutschland war Belarus damals in den Medien stark präsent. Seitdem hat das Interesse wieder abgenommen - auch an den Aktivitäten von Razam, wie Valitskaya erzählt. Mit dem belarussischen Kulturfestival soll dem entgegengewirkt werden. Für die meisten Deutschen sei Belarus "terra incognita", also ein unbekanntes Land, stellt Valitskaya fest. "Dabei ist Belarus nur 1300 Kilometer von München entfernt. Das ist näher als Madrid", fügt sie hinzu. Mit dem Festival wolle sie zeigen, "dass dort etwas anderes existiert als das rückwärts gewandte Regime".

Zuletzt war Belarus in den Medien vor allem dann Thema, wenn es um die Unterstützung Putins durch den Präsidenten Lukaschenko im Ukraine-Krieg ging. Ihre Tochter habe deshalb Schikanen durch Mitschülerinnen und Mitschüler über sich ergehen lassen müssen, erzählt Ina Valitskaya. Dabei habe die Familie seit dem ersten Tag Geflüchteten aus der Ukraine geholfen und zeitweilig ihre gesamte Wohnung zur Verfügung gestellt. Zahlreiche Diskussionen mit russischen Freundinnen und Freunden habe sie bereits geführt, sagt die 41-Jährige. Die Solidarität mit der Ukraine soll auch beim belarussischen Kulturfestival zum Ausdruck kommen. Ukrainische Lieder stehen auf dem Programm des klassischen Konzerts der Opernsängerin Margarita Levchuk am 9. September in der Allerheiligen-Hofkirche der Münchner Residenz.

Weil Levchuk die Wahlkampagne der demokratischen Kandidatin Sviatlana Tsikhanouskaya im Jahr 2020 unterstützte, musste auch sie aus Belarus fliehen und kämpft von Litauen aus weiter. Sie ist nur eine von mehr als 100 000 Menschen, die das Land in den vergangenen zwei Jahren verlassen haben. Auf den Straßen ist es ruhig geworden. Dennoch gibt Ina Valitskaya die Hoffnung nicht auf, eines Tages in ein demokratisches Belarus zurückkehren zu können. "Viele sind mundtot gemacht worden, aber der Protest lodert weiter. Aus den Köpfen der Menschen kann man ihn nicht vertreiben."

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