Servicenummer der Stadt:"Ich habe hier eine Leiche und weiß nicht, wohin damit?"

Lesezeit: 3 min

Marie Hofer, Mitarbeiterin im Servicezentrum, heißt anders. Sie will nicht erkannt werden. (Foto: Florian Peljak)

Marie Hofer ist eine der Telefonagentinnen bei der städtischen Behördennummer 115. Sie hilft weiter, wenn die Biotonne zum Himmel stinkt, sich jemand über Ameisen ärgert - oder ein Bestatter ratlos ist.

Von Sabine Buchwald

Ihr Job begann mit einer Knallerfrage: "Ich habe hier eine Leiche und weiß nicht, wohin damit?" Darauf war sie nicht vorbereitet. Die mehrwöchige Einarbeitung sah so eine Frage nicht vor. Irritiert habe sie bei ihrer Vorgesetzten angerufen, erzählt Marie Hofer. Die riet ihr, sich bei dem Anrufer nach Details zu erkundigen. Die weiteren Infos, die Hofer dann hörte, waren gar nicht so arg, wie sie zunächst vermutet hatte. Es war ein Bestattungsunternehmer, der die 115 gewählt hatte, um herauszufinden, wer denn die Kosten des Falles übernehmen würde, zu dem er gerufen worden war. Der Anruf war also kein Notfall oder tragisches Ereignis, kein Mord, für den die Polizei hätte eingeschaltet werden müssen.

Marie Hofer arbeitet bei der Münchner Behördennummer 115. Sie ist dort eine von gut 30 Telefonagentinnen und Telefonagenten, wie die Mitarbeiter dort genannt werden. Ihr Arbeitsplatz liegt zentral zwischen Sendlinger Tor und Marienplatz. Im Inneren der Büros dämpfen Verloursteppiche Schritte und andere Geräusche. An den Arbeitsplätzen stehen je zwei große Bildschirme. Es wird leise gesprochen, Trennwände zwischen den Agenten schlucken deren Worte.

Wie viele ihrer Kolleginnen und Kollegen meldet sich Hofer nicht mit ihrem richtigen Namen, sondern sagt: "Servicecenter der Landeshauptstadt München, mein Name ist Marie Hofer." Sie hat sich dieses neutrale Pseudonym selbst ausgesucht. Es offenbart weder Alter noch Herkunft, es ist ihr verbaler Schutz. Diese Sicherheit braucht es manchmal, um sich vor Unverschämtheiten und Beleidigungen zu wappnen. Wie etwa die einer Frau, die wüst auf Hofer drauflosschimpfte. Was sie zu hören bekam, möchte Hofer nicht wiederholen. Entsetzt habe sie damals nach einer entsprechenden Rückmeldung aufgelegt, erzählt sie.

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Beim nächsten Mal reagierte sie gelassener und entgegnete der zeternden Anruferin: "Wir haben uns länger nicht mehr gehört, schön, dass Sie sich melden." Da war dann Ruhe am anderen Ende der Leitung. Jeder Anruf addiert etwas zu ihrem Erfahrungsschatz. Hofer arbeitet jetzt dreieinhalb Jahre am städtischen Telefon. "Man weiß nie, wer anruft, die meisten Menschen aber sind nett", sagt sie.

Die Behördennummer 115 ist ein bundesweiter Service, dem sich mehr als 500 Kommunen angeschlossen haben. München ist seit 2012 dabei, wer von hier aus anruft, muss die 089 vorwählen. "Ziel der 115 ist es, Bürger*innen und Unternehmen mit einem Anruf bei der öffentlichen Verwaltung verlässliche Auskünfte zu bieten", schreibt die Stadt auf ihrer Webseite dazu. Yvonne Mylek formuliert es einfacher: "Ziel ist, dass der Bürger erfährt, was er wissen möchte." Mylek leitet das Servicecenter.

Sie ist fast schon so lange wie Hofer dabei, hat die Corona-Krise mit geschickten Einsatzplänen gemanagt. "Wir sind systemrelevant, wir waren im Büro", sagt sie. Die 115 ist die unkomplizierte Kontaktmöglichkeit zur Stadtverwaltung. "Der kurze Draht ins Amt. Montag bis Freitag von acht bis 18 Uhr. Die Wartezeit solle möglichst nicht länger als 60 Sekunden dauern, sagt Mylek. Das ist nicht immer zu schaffen. Vor allem an Montag- und Dienstagvormittagen kann es etwas länger dauern, da klingeln die Telefone am häufigsten. "Weil den Leuten oft am Wochenende einfällt, was sie wissen möchten." 20 000 bis 28 000 Anrufe kommen im Monat rein. Zur Reisezeit geht die Statistikkurve hoch, ebenso wenn eine Wahl ansteht oder zur Oktoberfestzeit.

20 000 bis 28 000 Anrufe pro Monat gehen bei Münchens Behördennummer 089/115 ein. (Foto: privat)

"Wir sind grundsätzlich für alle Referate der Stadtverwaltung zuständig und entlasten damit die Kolleginnen und Kollegen vor Ort", sagt Mylek. Man fragt nach Fallbeispielen. Mylek überlegt. Selbst sitzt sie nicht am Telefon nach draußen, kümmert sich aber um alles, was die "Agents" betrifft und kennt deren Aufgabenbereich. Den Haustürschlüssel verloren? "Wir helfen den Bürgern, indem wir sie über das Fundbüro informieren, ihnen Wege zeigen, wie sie möglichst wieder zu ihrem Schlüssel kommen", sagt Mylek. Ameisen auf dem Spielplatz? "Wir freuen uns, wenn so etwas gemeldet wird und informieren den zuständigen Fachbereich." Ein kaputter Mülleimer im Englischen Garten? "Dafür ist zwar die Bayerische Schlösser- und Seenverwaltung zuständig, aber wir informieren, wie dies gemeldet werden kann." Im Sommer die stinkende Biotonne nicht abgeholt? "Das ist ein Fall für den Abfallwirtschaftsbetrieb München (AWM)." Ein Parkausweis nötig? "Wir übernehmen hier das Servicetelefon und haben Zugriff auf Details." Manche Leute wollen auch nur etwas loswerden, was sie ärgert oder was ihnen auffällt. "Man kann jedes Thema bei uns abgeben", sagt Mylek. "Wir lieben Fragen" ist der Slogan des 115-Servicecenters.

Sie hat Zugriff auf Datenbanken der Stadt

Marie Hofer, 61, liebt ihren Job. Früher hat sie in der Kundenbetreuung eines Konzerns gearbeitet und auch mal in einem Callcenter. Ende 1996 ist sie von Schleswig-Holstein in den Süden gezogen. München sei ihre Traumstadt, erzählt sie. Hofer mag den Dialekt und das Draußensitzen in den Cafés. Sie hat gerne Kontakt zu Leuten, es fällt ihr nicht schwer, ein Gespräch zu führen. Wer aber die 115 wählt und nur ratschen möchte, den weist sie sanft in die Schranken.

Und über Politik lässt sie sich auch nicht aus. Dann sagt sie Sätze wie: "Das ist jetzt nicht der richtige Rahmen hier, darüber zu sprechen." Manchmal dauere es eine Weile, bis klar ist, was die Leute wirklich brauchen, sagt Hofer. Sie hat inzwischen gelernt, präzise nachzufragen. Denn rausfinden kann sie vieles für die Anrufer, sie hat Zugriff zu Datenbanken der Stadt. Es gehört mit zu ihrer Arbeit, immer über aktuelle Ereignisse in der Stadt informiert zu sein. "Am Ende möchte ich, dass die Anrufer sagen: Ich bin zufrieden mit der Auskunft, damit kann ich was anfangen."

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