Ballett:Improvisation auf Spitzenniveau

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Zweieinhalb Quadratmeter groß ist die Fläche, auf der sich die Tänzerinnen und Tänzer des Bayerischen Staatsballetts derzeit fit halten. Die Spezialböden haben sie in ihren Wohnungen ausgelegt, das Training läuft über Video-Konferenzen. Die Situation ist für die Künstler dennoch ein schwieriger Balanceakt

Von Rita Argauer

Plié, Tendu, Jeté. Der Tag eines Balletttänzers beginnt mit Training. Jeden Tag das gleiche. Vor allem die erste Dreiviertelstunde an der Stange ist stark normiert. Das ist auch in Zeiten, in denen das Theater geschlossen ist, nicht anders. Und in Zeiten, in denen Yoga, Pilates und sogar Geburtsvorbereitungskurse über einschlägige Video-Konferenz-Apps stattfinden, ist es nicht so abwegig, dass auch eine Profi-Kompanie in Corona-Isolation übers Internet trainiert. Mittwoch, zehn Uhr morgens, die Tänzer des Bayerischen Staatsballetts wählen sich ein. Erste Solistin und Ballettmeisterin Ivy Amista erklärt die erste Übung, Pianist Simon Murray spielt und die Tänzer tanzen.

15 sind es an diesem Morgen, also weit weniger als eigentlich in der Kompanie engagiert sind. Es ist nicht verpflichtend hier mit zu trainieren. Und vielleicht schreckt einige die angekündigte virtuelle Anwesenheit der Presse ab. Denn der Blick, den man hier bekommt ist intim. Hier sieht man die Schlafzimmereinrichtung, den Blick aus dem Fenster und die Küchentische und Kommoden, die den Tänzern als Ballettstange dienen. Und einen Keller, den eine der Tänzerinnen als Probenraum nutzt. Ein richtiger Keller, dunkel und mit Holzverschlägen, kein Hobbykeller. Es ist voyeuristisch hier zuzusehen, keine Frage. Auch wenn man selbst versucht, mit zu tanzen. Denn will man wissen, wer sich von den Balletttänzern, die man normalerweise als eher außerweltliche Bühnenwesen wahrnimmt, mit Ikea einrichtet? Oder wer eher ordentlich ist und wer es mondän mag?

Neue Normalität: Rafael Vedra, Polina Bualova und Virna Toppi (von links) beim Training zu Hause. (Foto: Privat)

Eines aber eint die nun so individualistische Trainingsstätten. Der 160 mal 160 Zentimeter große Tanzteppich, der vom Theater ausgegeben wurde. Denn der richtige Boden ist wichtig. Sonst wird es gefährlich. Sonst rutscht man und verdreht sich die Knöchel. "Es ist gut für die Motivation", sagt Virna Toppi, Erste Solistin, nach dem Training über das Online-Format. Sich ganz alleine aufzuraffen, um zu Hause ein paar Übungen zu machen, sei schwieriger. Ivy Amista stimmt zu, ebenso Tänzer Florian Sollfrank. Doch insgesamt ist da kaum etwas Gutes daran zu finden. Selbst für Virna Toppi, die an sich ein recht fliegendes, leichtes Gemüt hat. Die Italienerin wechselte erst im vergangenen Herbst nach München, ihre erste Saison wurde nun jäh unterbrochen. Jetzt häkelt sie anstatt Repertoire zu proben. Es sei ja nicht einmal möglich, gescheit ein paar Pirouetten zu drehen hier zu Hause, wie soll man da eine klassische Variation tanzen, fragt Toppi. Und lacht. Nachmittags ruhe sie sich jetzt auch öfter mal aus, das habe sie nicht mehr getan, seit sie 16 war. Ballett ist ja etwas sehr Einnehmendes. Eigentlich. Florian Sollfrank etwa kann sich jetzt auf sein Studium der Kulturwissenschaft als zweites Standbein konzentrieren. Und geht spazieren.

Dass die Maßnahmen nötig sind, verstehen sie alle drei. Dass diese jetzige Pause aber nicht mit der normalen Sommerpause im Theater vergleichbar ist, darin sind sie sich auch einig. Im Sommer belegt man als Tänzer Summerclasses. Jetzt bemüht sich Virna Toppi eher einmal am Tag ihre Spitzenschuhe anzuziehen, damit die Füße daran gewöhnt bleiben und es nicht so schmerzhaft wird, wenn es wieder losgehen kann. Denn sie habe die Hoffnung, im Herbst wieder Vorstellungen geben zu können. Das ist gut. Bei ihrer alten Kompanie an der Scala in Mailand wüssten sie schon, dass es vor Januar 2021 nichts mehr werde mit dem Tanzen auf der Bühne.

Auch die Staatsballett-Tänzerinnen Chelsea Thronson und Ivy Amista (von links) haben den Spezialboden bei sich zu Hause und trainieren über Video-Konferenzen. (Foto: Privat)

Doch darum geht es beim Bühnentanz. Online ohne Bühne gibt es nur viel zu viel Privatheit. Der Sound der Live-Klaviermusik durch die Computer-Mikrofone und -Lautsprecher ist schlecht und man darf auf gar keinen Fall beim Tanzen gleichzeitig hinsehen, was die Ballettmeisterin Amista vormacht, denn das Video-Konferenz-Programm hat einen leichten Ton-Bild-Versatz - und wenn Musik und Tanz zeitversetzt sind, bringt einen das durcheinander. Aber sonst bekommt man hier eine durchaus effektive wenn auch recht unsinnliche Stangenarbeit.

In der Mitte ist es schwieriger: "Man darf nicht springen", sagt Amista. Der Boden in normalen Wohnungen schwingt nicht so wie der im Ballettsaal. Also kommt man härter auf und verletzt sich. Sonst aber ist diese Zeit für den Körper gut. "Man kann chronische Verletzungen auskurieren", sagt Amista. Während der normalen Spielzeit würde man immer zu früh wieder anfangen. Und man kann online mal kurz die Kompanie wechseln und etwa mit dem New York City Ballet trainieren. In München sind sie nicht die einzigen, die sich in der Lockdown-Zeit auf diese Weise fit halten. "Für Profis ist das ok", sagt Toppi, Ballett-Technik sei wie Fahrradfahren, wenn man einmal auf Spitzenniveau sei, zerstöre man nichts, auch wenn man online keine Korrekturen bekomme, so wie das in der normalen Klasse der Fall ist. Gerade wartet die Kompanie auf eine Überprüfung des Ministeriums, wann sie in ihre Probensäle zurückkehren dürfen. Für die aktuelle Woche heißt es jedoch noch: Morgens um zehn, Tanz vor dem Computer.

© SZ vom 05.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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