Ausstellungen:Alles in Bewegung

Die Welt in ihrer vibrierenden Unordnung: Zwei Münchner Galerien würdigen das Gesamtwerk der Künstlerin Katharina von Werz zu ihrem 80. Geburtstag. Zu Besuch bei einer Münchnerin, die einfach nicht aufhören kann zu malen

Von Christian Mayer

Ausstellungen: Das Werk "Unheimliches Haus" entstand 1985.

Das Werk "Unheimliches Haus" entstand 1985.

(Foto: Walter Bayer/Galerie Jahn und Jahn/Galerie Hasenclever)

Was man in diesem seltsamen Jahr sehr vermisst: das Tanzen. Dieses schöne Gefühl, sich selbst loszulassen und dadurch erst zum anderen zu finden, einen Rhythmus und eine gemeinsame Haltung zu entwickeln - aber wie soll das gehen in einer Zeit ohne Feiern, in der das Gebot der Stunde die maximale Distanz ist? In den Bildern von Katharina von Werz sieht man, was Tanzen noch alles sein kann: ein wildes Ringen um die Führung zwischen Mann und Frau, ein Rausch der Bewegung, eine Entfesselung. Alles scheint möglich: Liebe oder Hass, Vereinigung oder Entfremdung, Dominanz oder Unterwerfung.

Gerade steht sie vor ihrem großen Gemälde "Pax de deux", eines ihrer Tanzbilder, entstanden im Coronajahr 2020. Als Betrachter spürt man die Physis des Paares, die Drehung von Armen, Beinen und Rumpf, den intensiven Blickkontakt, das Verlangen, die Lebendigkeit. Auch die Künstlerin selbst vermittelt diese Energie, manchmal möchte man sie festhalten, wenn sie gerade wieder von Bild zu Bild, von Geschichte zu Geschichte eilt: "Durch die Bewegung entsteht ein Ausdruck von Nähe und Zugewandtheit. Das finde ich spannend", erzählt Katharina von Werz.

Im Oktober ist sie 80 geworden. Was man eigentlich nicht glauben möchte. Wo hat sie die Jahre nur hingesteckt? Die aktuelle Doppelausstellung zu ihrem Geburtstag in der Galerie Jahn und Jahn und der Galerie Michael Hasenclever unternimmt den Versuch einer Würdigung - die Räumlichkeiten im Hinterhof der Baaderstraße 56 sind eigentlich viel zu klein für diese enorm produktive Künstlerin.

In den benachbarten Galerien kann man nun also einen Rundgang durch ihr Werk machen. Abstrakte Farbkompositionen, Interpretationen biblischer und mythischer Geschichten ("Adam und Eva", "Geburt der Venus"), Münchner Szenen, Landschaftsbilder und Skulpturen zeigen "die Welt in ihrer vibrierenden Unordnung", wie es der Kunsthistoriker und Sammlungsleiter für Gegenwartskunst an der Pinakothek der Moderne, Bernhard Schwenk, formuliert hat.

Ausstellungen: "Pas de deux" zählt zu den neuesten Werken von Katharina von Werz.

"Pas de deux" zählt zu den neuesten Werken von Katharina von Werz.

(Foto: Walter Bayer/Galerie Jahn und Jahn/Galerie Hasenclever)

Inspirieren lässt sich Katharina von Werz einerseits von ihren Lieblingsmalern wie Veronese, Tizian, Delacroix, Willem de Kooning oder Frank Auerbach, andererseits von ihren Streifzügen durch die Natur. In der Nähe des Chiemsees, wo ihr Vater einst ein Haus gebaut hat, eine Art "japanisch-bayerischen Holzstadel" und zwar dort, "wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen", hat sie immer ihr Skizzenbuch dabei. Auch im Urlaub entstehen Zeichnungen, manchmal sogar heimlich am Strand auf ihrer Lieblingsinsel Korsika, wenn sie die Badenden beobachtet und später in Aktfiguren verwandelt: "Da kann man oft die besten Positionen erhaschen, ich muss nur aufpassen, dass die sich nicht beobachtet fühlen."

Zwei Tage später, ein Besuch bei ihr zu Hause. Seit bald einem halben Jahrhundert lebt sie in Bogenhausen mit ihrem Mann, dem Unternehmer Franz Moll. Es ist ein trüber, kalter Dezembertag, der Kamin sorgt für eine mollige Wärme, ihr "Franzi", der nicht selten auch als Modell herhalten muss, legt Holzscheite nach. Katharina von Werz serviert Kaffee und führt durch ihr Atelier, durch ihr Bilderreich, das jeden Tag ein Stückchen wächst. Morgens um acht, nach dem Frühstück, legt sie los. Arbeitet an zwei, drei Bildern gleichzeitig, wirft vieles wieder weg und vollendet das, was ihrer strengen Prüfung standhält. Kreative Pausen, Urlaub von der Kunst, pandemiebedingter Stillstand: Das ist nichts für sie. Die "vibrierende Unordnung" füllt auch hier die Räume, weshalb es sicher eine gute Idee war, dass der frühere Direktor des Münchner Lenbachhauses, Helmut Friedel, bei der Auswahl der Werke für die aktuellen Ausstellungen beteiligt war. "Ich hätte ja am liebsten dreimal so viele Bilder gezeigt", sagt die Hausherrin lachend.

Katharina von Werz stammt aus einer Münchner Künstlerfamilie. Der Großvater mütterlicherseits, der 1866 geborene Max Obermayer, ein Schwager der Künstler-Architekten Gabriel und Emanuel von Seidl, zählte zu den bekannteren Salonmalern und Porträtisten der Residenzstadt; sein Bruder führte in dritter Generation das Hotel Vier Jahreszeiten. Wer so gut vernetzt war und den Geschmack der Zeit traf, konnte auf ein solides Einkommen hoffen, aber keinesfalls auf Reichtümer. Noch immer klingt ihr der Satz des Großvaters im Ohr: "Wie soll ich nur meine Familie ernähren?" Das von ihm gemalte Kinderbild der jungen Katharina hängt jedenfalls als Andenken im Haus. Ihr Vater Helmut von Werz wiederum war der Sohn eines österreichischen Feldmarschall-Leutnants und stammte aus Kronstadt in Siebenbürgen. Nach dem Zweiten Weltkrieg machte er sich als Architekt einen Namen, die St.-Anna-Grundschule im Lehel, die Nazarethkirche in Bogenhausen oder die Prähistorische Staatssammlung am Englischen Garten zählen zu seinen Hauptwerken.

Ausstellungen: Im Oktober ist Katharina Werz 80 geworden.

Im Oktober ist Katharina Werz 80 geworden.

(Foto: privat)

Die Kunst war also immer präsent in ihrer Familie. Die junge Katharina sollte aber erst mal etwas Anständiges lernen, deshalb besuchte sie die Akademie für das Graphische Gewerbe in München, von 1963 bis 1966 dann die École des beaux-arts in Genf. Mit ihren drei Kindern und ihrem Mann blieb sie an München gebunden, was ihre Karriere als Künstlerin nicht unbedingt so voranbrachte, wie es ihren Wünschen entsprochen hätte. "Ich wäre damals gerne etwas mehr herumgereist", sagt sie über diese Zeit. Wie andere Künstlerinnen ihrer Generation musste sie erleben, wie die Preise ihrer männlichen Kollegen in den Achtzigerjahren durch die Decke gingen, während weibliche Talente eher selten im Rampenlicht standen. Kunst und Kindererziehung zu vereinbaren, war jedenfalls nie leicht, aber darüber wird nicht gejammert. Katharina von Werz erinnert sich lieber daran, wie sie ihre Staffelei im Laufstall aufstellte - so waren beide zufrieden, die malende Mutter und die Tochter, die auf einmal ganz ruhig war.

In ihrem Werk spürt man diese Lebenslust: Wer Katharina von Werz als Tänzerin auf einem der großen Münchner Faschingsfeste oder als Skifahrerin auf Tiroler Pisten erlebt hat, kennt auch ihr Bedürfnis nach Bewegung. Gelegentlich schleicht sich aber auch das Düstere in ihre Bilder, eine Ahnung von Einsamkeit und Abschiedsschmerz, etwa in "Unheimliches Haus", das in seiner morbiden Erscheinung die perfekte Illustration für das Gesamtwerk von Edgar Allen Poe wäre. Und in ihren vereinzelten Selbstporträts, die melancholische Ruhe ausstrahlen, ist sie ganz bei sich.

Seit den Neunzigerjahren ist sie in vielen Ausstellungen präsent. In St. Petersburg, immer wieder in München, Zürich, aber auch in San Francisco, wo sie mit dem Galeristen Koichi Hara einen Vermittler ihres Werks mit besten Kontakten zu Kunstsammlern im Silicon Valley gefunden hat. Das Lenbachhaus hat 2019 vier Werke von ihr gekauft, darauf ist sie stolz. Und für 2021 ist wieder eine Einzelausstellung geplant, im Buchheim-Museum in Bernried am Starnberger See.

"Das Alter bremst mich nicht mehr als frühere Hindernisse": Diesen schönen Satz lässt sie am Ende des Gesprächs beiläufig fallen. Malen will sie weiter, immer weiter, das ist ihr Leben, "weil ich nichts anderes kann und ich es so gerne tu".

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