Ausstellung:Für eine gute Figur

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Das Museum Fünf Kontinente vereint traditionelle Kunstobjekte aus der Südsee mit den Werken Bernd Zimmers. Gemeinsames Thema sind die Tikis: Skulpturen, die in ganz Polynesien verbreitet sind und denen sich der Künstler obsessiv widmete

Von Sabine Reithmaier

Mythen und Missverständnisse prägen den europäischen Traum von der Südsee. Doch die Sehnsucht nach einem unberührten Paradies hat schon viele Reisende auf die Marquesas-Inseln geführt: den Maler Paul Gauguin, den Naturkundler Georg Heinrich von Langsdorff, den Schriftsteller Hermann Melville, den Chansonnier Jacques Brel oder, in der Gegenwart, den Maler Bernd Zimmer. Von deren Begeisterung für die polynesische Kultur und Landschaft erzählt die Sonderausstellung "Tikimania" im Museum Fünf Kontinente, die traditionelle Kunstobjekte mit der Kunst Bernd Zimmers vereint.

Das funktioniert gut, da die Exponate aus der Südsee und Bernd Zimmers Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen ein gemeinsames Thema haben: die Tikis. Die aus Holz, Knochen oder Zahn geschnitzte oder aus Stein gehauene Skulpturen sind in ganz Polynesien verbreitet, ob freistehend, als Hauspfosten oder als Verzierung. Der menschenähnlichen Figur mit übergroßem Kopf, weit aufgerissenen Augen und offenem Mund schreiben die Inselbewohner übernatürliche Kräfte zu, es kann sich um einen Ahnen der ersten Menschen oder um eine Gottheit handeln.

Das Museum besitzt 30 historische Objekte von den Marquesas-Inseln, 29 wurden für die Präsentation ausgewählt. Direkt miteinander konfrontiert werden traditionelle und zeitgenössische Tikis aber nur in der ersten großen Stellwand. Dort stehen die Plastiken in Maueraussparungen nebeneinander, es ist vergnüglich herumzurätseln, wer der Schöpfer der jeweiligen Figur ist. Doch dann zerfällt die Ausstellung in zwei Teile. Links die farbintensive, sinnliche Welt Bernd Zimmers mit den fabelhaften großformatigen und ungeheuer präsenten Tiki-Wächter-Holzschnitten, den leuchtenden Landschaftsaquarellen sowie den archaisch anmutenden, ebenfalls Tiki-beherrschten Acrylgemälden. Wer sich nach rechts wendet, landet bei den ethnologischen Objekten, deren Geschichte spannend erzählt wird entlang der ersten Forschungsreisen, denen das Museum die Objekte verdankt.

Als sich der 1948 in Planegg geborene Zimmer in die Südsee aufmachte, war er längst ein international anerkannter Vertreter der Heftigen Malerei. Von Tahiti aus flog er 1995 nach Nuku Hiva und schiffte sich auf einem Frachter ein, der die Inseln mit Nahrungsmitteln versorgte. Er reiste von Hiva Oa, jener Insel, auf der Gauguin seine letzten Lebensjahre verbrachte, nach Fatu Hiva und Ua Huka. Obwohl er meist nur wenige Stunden auf den Inseln war, beeindruckte ihn der Aufenthalt nachhaltig. Zurück im Atelier begann er seine Erinnerung in Bilder umzusetzen. Die Tikis animierten ihn auch dazu, zum ersten Mal in seinem Leben mit Ton zu arbeiten: Von 2003 an hat er Scharen von freundlichen Tiki-Skulpturen geschaffen, in allen Farben, Formen und Größen, Fragende, Traurige und vor allem skeptisch Blickende. Angesichts der obsessiven Leidenschaft, mit der er sich mit den Figuren auseinandersetzte, ist "Tikimania" wirklich ein gelungener Ausstellungstitel.

Die aus Holz, Knochen oder Zahn geschnitzten oder aus Stein gehauenen Skulpturen sind in ganz Polynesien verbreitet. (Foto: MFK, Nicolai Kästner)

Seine Neugierde auf die Inseln habe er dem Lesevergnügen seiner Jugend zu verdanken, schreibt Zimmer im Katalog, nennt die Autoren Robert Louis Stevenson, Jack London oder Herman Melville, dem in der Schau ein eher kritischer Exkurs gewidmet ist. Der amerikanische Schriftsteller landete im Juli 1842 auf der Insel Nuku Hiva. Er hatte auf einem Walfänger angeheuert, fand aber alles so schrecklich, dass er bei der ersten Möglichkeit von Bord flüchtete. Drei Wochen später verließ er Nuku Hiva wieder auf einem anderen Walfänger. Seine Beobachtungen verarbeitete er 1846 in dem Buch "Typee", das bereits 1847 ins Deutsche übersetzt wurde. Melville verlängert darin seinen Aufenthalt auf vier Monate, reichert die eigenen Erinnerungen mit Versatzstücken aus anderen Berichten über die Marquesas an, die er aber, wie er später behauptete, nie gelesen hatte. Bis heute ist nicht gesichert, ob er den beschriebene Ort Taipivai jemals betreten hat. Doch die Schilderung seines Lebens unter Kannibalen prägte die europäische Rezeption nachhaltig, wirkte sich, so dokumentiert es die Ausstellung, sogar noch auf die Berichterstattung über die Ermordung des deutschen Seglers Stefan Ramin 2011 aus, hinter der manche Medien sofort Menschenfresser vermuteten.

Eine von Melvilles Quellen war ein Buch des deutschen Naturkundlers Georg Heinrich von Langsdorff (1774-1852), Mitglied der ersten Russischen Weltumsegelungsexpedition (1803-1806). Zwölf Tage ankerten deren Schiffe im Mai 1804 auf Nuku Hiva. Langsdorff schenkte die dort eingetauschten Artefakte 1821 der Königlich Ethnographischen Sammlung, der Vorläuferin des Museums: fein geschnitzter Kopf- und Ohrenschmuck, Fächer und Stelztritte, die an eine Stange gebunden, bei Wettkämpfen von Stelzenläufern verwendet wurden. Darunter auch jener dynamische "Kletter-Tiki", der nicht auf der Stelze steht, sondern über seine Schulter blickend an ihr hinaufklettert. Wassily Kandinsky gefiel das Stück so gut, dass er es im Almanach des "Blauen Reiter" abbildete.

Ein anderer Forschungsreisender war Karl von den Steinen (1855-1929), der die Marquesas 1897/98 bereiste. Er dokumentierte die Tatauierungen, die traditionellen Tätowierungen der Polynesier, interviewte einheimische Fachleute zu verschiedenen Aspekten der Kultur, zeichnete Erzählungen auf und hielt alles in einem dreibändigen Werk fest, bis heute eine Quelle für die zeitgenössischen Künstler der Inseln.

Paul Gauguin, eine Leitfigur Bernd Zimmers, war bereits Südsee-erfahren, als er sich 1901 auf der Suche nach neuen künstlerischen Inspirationen und einem "reineren", weniger von der französischen Kultur beeinflussten Polynesien in Atu'ona auf Hiva Oa niederließ. Er starb dort 1903, bis dahin wenig erfolgreich. Ganz in seiner Nähe ist Jacques Brel begraben, der sich 1975, an Lungenkrebs erkrankt, auf Hiva Oa niederließ, nachdem ihn, so eine Anekdote, niemand im lokalen Postamt erkannte oder ein Autogramm von ihm wollte. Auf der Insel übernahm der Chansonnier und Schauspieler mit seinem Flugzeug Kurierdienste, transportierte Post und Medikamente. Und er installierte mit zwei 35 mm-Projektoren das erste Freiluftkino auf der Insel.

Tikimania - Bernd Zimmer, die Marquesas-Inseln und der europäische Traum von der Südsee , bis 28. Feb., Museum Fünf Kontinente. Das Künstlergespräch mit Bernd Zimmer am 28.7. ist ausgebucht

© SZ vom 28.07.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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