Ausstellung:Die neuen Götzen

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Was glauben wir, wen beten wir an? Die Künstlerin und Architektin Bianca Artopé fordert im Pasinger Rathaus zur Auseinandersetzung mit Ersatzreligionen und Scheinwelten heraus

Von Jutta Czeguhn

Ein feste Burg ist unser Gott. Der Machtanspruch von Päpsten und Kirchenfürsten, der sich über viele Jahrhunderte in architektonischen Allmachtsfantasien manifestierte, ist längst erodiert. Kathedralen sind zu Museen geworden und überwältigen allenfalls mit ihrer kunstgeschichtlichen Bedeutung. Neue Weltpriester sind auf den Plan getreten, sie regieren hegemonial von den himmelstürmenden Superbauten großer Banken und Konzernzentralen aus. Und auch sie haben sich der eigentlichen Gottheit unserer Zeit unterworfen: Big Data, das in gigantischen Serverräumen wabert.

Hybride Kathedrale: Der Altar der Münchner Asamkirche und Wände aus Server-Schränken, wie sie in den riesigen Daten-Zentralen des Silicon Valley stehen. (Foto: Bianca Artopé)

Man steht mit leichtem Schaudern vor Bianca Artopés Werk, das diese Gedankenkette im Hirn triggert: Im Zentrum der Altar der Münchner Asamkirche, der mit seinem goldverschnörkelten Barockprunk fast ein wenig lächerlich wirkt und immer weiter in der Tiefe des Bildes zu verschwinden scheint. Verdrängt von den Seitenwänden des Kirchenschiffs, einer gigantischen Phalanx aus Server-Schränken, die monoton und beziehungslos blinkend nun die Heiligen Hallen bilden. "A matter of belief V" nennt die Pasinger Kunstpreisträgerin 2018 diese Collage. Sie stammt aus einer Serie, die auch ihrer aktuellen, ersten großen Einzelausstellung im Rathaus an der Landsberger Straße den Titel gibt.

Sie hätte ihre Schau auch "eine Frage des Glaubens" nennen können, sagt Bianca Artopé. Doch schien ihr das Deutsche mit seiner Präzision in diesem Fall zu fokussiert auf theologische Aspekte. Das Englische eröffne da mehr interpretatorischen Spielraum, denn "matter" lasse sich auch mit "Materie" übersetzen. Was sind heute die Trägersubstanzen und Steuerungsmechanismen unseres Glaubens? Der Konsum, digitale Technologien? Das sind Fragen, die Artopé weitergibt, indem sie in ihrem Bildkosmos sakrale Räume mit profanen überblendet, und Grenzziehungen nicht mehr möglich scheinen.

"A matter of belief IV": Sakrale und profane Räume verschwimmen. (Foto: Bianca Artopé)

Möglich macht diese Grenzauflösung und Tiefgründigkeit auch jene besondere Technik, welche die Pasinger Künstlerin entwickelt hat. In ihrem Atelier in der Gautinger Reismühle hat sie viel mit Materialien experimentiert, bis sich eine aufwendige Methode herauskristallisiert hat: Mit Gesso, einem Gemisch aus Kreide, weißem Farbpigment und einem Bindemittel, grundiert sie die Leinwand in mehreren Schichten. Mit dem Spachtel, denn dieses malerische Element in ihrer Arbeit ist ihr enorm wichtig. Dann bringt sie großflächig Schlagmetall auf, Aluminiumplättchen dünn wie Blattgold. Diese silberglänzende, organische Oberfläche, auf die dann in einem nicht minder aufwendigen Verfahren computergenerierte Collagen gedruckt werden, bringt ein unglaubliches Leuchten in die Farben. "Wenn das Licht im richtigen Winkel einfällt, dann ist es tatsächlich so, dass viele Leute denken, ich würde mit Leuchtkästen arbeiten", erzählt die Künstlerin. Denn der perlmuttartige Effekt des Aluminiums wird noch durch eine spezielle Oberflächenversiegelung verstärkt. Bianca Artopé gießt ihre Bilder millimeterdünn in Epoxidharz, wodurch sich wiederum eine ungewöhnliche Tiefenwirkung einstellt.

Bianca Artopés Werke haben etwas Unergründliches, glaubt man eine Architektur, eine Landschaft, eine Situation ausgemacht zu haben, dann genügt oft ein Schritt zur Seite, eine Drehung des Kopfes, und eine neue Bedeutungsschicht drängt in den Vordergrund. Alles erscheint trügerisch, erfordert einen zweiten, dritten Blick. Das ist in den Kirchen-Collagen so, aber auch in den Tableaus, wenn die Künstlerin Hightech-Glitzerfassaden über Favela-Blechhütten legt. Oder wenn sie historische Landschaftsmalerei überblendet mit zerstörerischer Industriearchitektur.

Da ist dieser sehr kundige Blick für Struktur und Statik. Bianca Artopé, Jahrgang 1974, hat als Architektin gearbeitet, ehe sie sich für einen anderen Weg als freischaffende Künstlerin entschied. Ein Weg, der ihr Raum öffnete für Experimente. "Kunst darf im Gegensatz zur Architektur zweckfrei sein", sagt sie. Anders als das enge Korsett der Architektur erlaube die Kunst ihr nun die Freiheit, eigene Themen zu suchen, die durchaus auch gesellschaftspolitische sein können. Wie in dieser Pasinger Ausstellung zu sehen. Denn Ausgangspunkt für ihr künstlerisches Arbeiten ist für Bianca Artopé eine im Grunde ziemlich simple, zutiefst humane Frage: Wie können wir eine Welt aushalten, in der, zu jeder Minute, in der Stunde, jeden Tag unglaubliches Elend und obszönster Parallel-Reichtum existieren? Mit ihren Bildern, die nie nur eine Realität darstellen, fordert sie, dass wir uns dieser Tatsache stellen. Hinsehen.

"A matter of belief", Ausstellung von Bianca Artopé, Bürgerzentrum Rathaus Pasing, Landsberger Straße 486, Eingang Rathausgasse, bis 12. Januar, Öffnungszeiten: Montag und Mittwoch, 8 bis 16 Uhr, Dienstag, 8 bis 18 Uhr, Donnerstag, 8 bis 17 Uhr, Freitag, 8 bis 13 Uhr. Eintritt frei.

© SZ vom 30.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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