Ausstellung:Der Empathische

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Zu dessen 50. Todestag zeigt das Buchheim Museum eine große Retrospektive des Brücke-Malers Erich Heckel

Von Sabine Reithmaier, Bernried

Schon seltsam, eine Ausstellung zu eröffnen, die zwei Tage später wieder schließen wird. Aber Daniel J. Schreiber nimmt es gelassener als im Frühjahr, als er wegen des Lockdowns die lang geplante Ausstellung zu Rahmen und Bildern der Brücke-Künstler aus Kostengründen komplett absagen musste. Dieses Mal ist es günstiger, denn für die aktuelle Erich Heckel-Retrospektive konnte er sich mit dem Bestand des eigenen Hauses begnügen. Gut 500 Werke des Expressionisten lagern im Museum, seitdem der Würzburger Brücke-Sammler Hermann Gerlinger seine Kollektion als längerfristige Leihgabe und perfekte Ergänzung zu Buchheim ins Haus eingebracht hat. 380 davon, überwiegend Arbeiten auf Papier, hat Schreiber für diese gewichtige Retrospektive ausgewählt. "Verdammt viel Stoff", räumt der Museumschef ein.

Anlass der Schau ist der 50. Todestag Heckels in diesem Jahr. Dank des strategischen Sammlers Gerlinger ist das Museum in der Lage, einen großen Bogen zu spannen und Heckels gesamtes Schaffen von 1903 bis 1968 abzudecken. Schreiber hat die Werke chronologisch gehängt. Die früheste Arbeit ist der handabgezogene Holzschnitt "Über den Hügel" aus dem Jahr 1903. Zu dieser Zeit wollte der 20-jährige Chemnitzer Gymnasiast noch Schriftsteller werden, redete sich mit seinem Freund Karl Schmidt (später noch ergänzt durch Rottluff) im Debattierclub "Vulcan" die Köpfe heiß. Erstaunlich ist, wie ihm damals bereits gelang, sein Motiv zu vereinfachen und zu stilisieren. Das Blatt zeigt eine Brücke, die in den Horizont mündet, wirkt dadurch fast wie ein erstes Manifest der "Brücke". Die berühmte Künstlervereinigung gründen die vier Architekturstudenten Heckel, Fritz Bleyl, Ernst Ludwig Kirchner und Karl Schmidt-Rottluff aber erst zwei Jahre später in Dresden - die Werke seiner Kollegen sind in dieser Ausstellung auf die Galerie verbannt.

Die jungen Männer widmen sich im Atelier zunächst bevorzugt weiblichen Akten. Klassisches Posing lehnen sie ab, es entstehen die "Viertelstundenakte", mit schnellen Strichen gezeichnete Blätter, die Heckel in Holzschnitte umsetzt. Gelassen blickt ein Mädchen auf einen Totenschädel, tanzt ein anderes selbstvergessen vor sich hin. Bald kommen die Akte in der Natur dazu, die von 1907 an in den Sommermonaten in Dangast oder an den Moritzburger Teichen entstehen und Badeszenen festhalten. Weder fehlen die berühmten "Fränzi"-Bilder, die die Unbefangenheit der neunjährigen Lina Franziska Fehrmann ästhetisch-erotisch missbrauchen, noch der fantastische "Schlafende Pechstein", den Heckel 1910 in Dangast malt.

Das in Rottönen glühende Bild ist eines der berühmtesten Exponate des Museums. Buchheim hat es im März 1955 im Stuttgarter Kunstkabinett für 1250 Mark ersteigert. Ein echter Coup, denn im Katalog zur Versteigerung angeboten war das Ölgemälde "Frau und Kinder" (1920/21), auf dessen Rückseite, so der Auktionstext, ein im Liegestuhl schlafender Mann abgebildet war. Nur Buchheim checkte, dass es sich dabei um das lang verloren geglaubte Bild des schlafenden Brücke-Mitglieds (seit 1906) handelte. Heckel selbst bestätigte später dessen Authentizität.

Er sei wohl, glaubt Schreiber, "der netteste" der Künstlervereinigung gewesen, ein empathischer Mensch, der sich für das Leid anderer interessierte. Er liest "Die Ballade vom Zuchthaus zu Reading", in der Oscar Wilde die letzten Stunden eines Mörders vor seiner Hinrichtung schildert, und schneidet dazu 1907 eine grandiose Holzschnittfolge, die einzige Literaturillustration Heckels, obwohl sich der Maler lebenslang von Literatur inspirieren ließ.

Später interessieren ihn Stilisierungen weniger, er versucht die Menschen einzufangen. Sehr oft hält er seine Frau Sidi Riha fest. Fröstelnd, in ein Tuch gehüllt, sitzt sie in der Bleistiftzeichnung "1. August 1914" - der Tag, an dem der Erste Weltkrieg ausbrach - an einem Ostseestrand der Flensburger Förde, ein ungeheuer intensives Bild. Da die Hängung zwischendurch von der strengen Chronologie abweicht, lässt sich in der Ausstellung gut verfolgen, wie manche Motive durch die diversen Gattungen wandern. In den ersten Jahren hat der Holzschnitt Pionierfunktion für Heckel, er überträgt dessen Flächigkeit und die scharfen Kontraste auf die Malerei. Später dreht sich das Verhältnis um, er malt zuerst, sticht und druckt später, um Motive zu vervielfältigen.

Den Krieg übersteht Heckel als Sanitätssoldat in Flandern. Dank seines Kompaniechefs, des Kunsthistorikers Walter Kaesbach, bleibt ihm Zeit zum Arbeiten, es entstehen Porträts, Landschaften, Kriegsszenen. Er beginnt, männliche Akte zu zeichnen, hält eng umschlungen tanzende Matrosen fest und malt zur Kriegsweihnacht 1915 die "Madonna von Ostende". Das Gemälde verbrannte 1945. Erhalten hat sich ein Holzschnitt mit einer Madonna, die aussieht wie Sidi.

Erich Heckel. Einfühlung & Ausdruck, 30. / 31. 10., nach dem Lockdown bis 7. März, Buchheim Museum der Phantasie, Bernried

© SZ vom 31.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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