Ausstellung:Am Puls des Kapitalismus

"Ausweitung der Marktzone" im Ismaninger Kallmann-Museum

Von Sabine Reithmaier, Ismaning

Irgendwo quäkt in unregelmäßigen Abständen eine Frauenstimme. Nur allmählich erschließt sich, was sie sagt: "There is no such thing as society." Doch erst am Ende des Ausstellungsrundgangs entdeckt man das riesige Megafon, aus dem Thomas Weinberger und Benjamin Zuber die Stimme Margaret Thatchers ertönen lassen. Der Spruch der ehemaligen konservativen britischen Premierministerin, eine Absage an die Gesellschaft und damit auch an die Verantwortung fürs Allgemeinwohl aus dem Jahr 1987, ist eine feine Erinnerung an die Zeiten, als der Neoliberalismus sich zu entfalten begann und der Staat seine Aufgaben lieber dem "Markt" übergab. Was passiert, wenn Individuen sich zu Marktteilnehmern wandeln, für ihren Erfolg, Glück und letztlich ihr Überleben selbst verantwortlich sind, lässt sich gut in der Ausstellung "Ausweitung der Marktzone" studieren.

Rasmus Kleine, Leiter des Ismaninger Kallmann-Museums, ist es gelungen, eine ebenso amüsante wie kluge Ausstellung zusammenzustellen und eine Fülle an künstlerischen Positionen - Fotoarbeiten, Grafiken, Filme, Installationen - zu vereinen. Manche Künstler nähern sich dem Thema ganz spielerisch an. Jochen Höller stapelt in "Boom" jede Menge Bücher, die den todsicheren Weg zum leichten Geldverdienen weisen, einschließlich des Bands "Richtig in Kunst investieren". Jede Sekunde könnte der schwankende Stapel umfallen, was im Boom-Pendant "Crash" schon passiert ist. Die Bestseller, allesamt mit Krisen und Börsencrashs beschäftigt, ergießen sich wie eine Flut vom Sockeltisch auf den Boden. Die dritte Arbeit "Pulse" sieht aus wie eine Herzfrequenzkurve, bildet aber die Kursverläufe von extremen Börseneinbrüchen und -erholungen ab. Ein gelungenes Bild für den Herzschlag unserer Zeit.

Daneben liegt in einer Vitrine ein Barren aus 1000 Gramm Feingold, seines auratischen Glanzes allerdings beraubt, weil ihn Tom Früchtl mit Goldfarbe bemalt hat. Macht ihn das jetzt wertvoller oder nicht - die Antwort liefert allein der Marktwert des Künstlers. Witzig auch Christian Jankowskis Videoarbeit "Die Jagd", die ihn in den frühen Neunzigerjahren schlagartig in der Kunstszene bekannt machte. Eine Woche lang erbeutete er mit Pfeil und Bogen in den Supermärkten Joghurtbecher, Brot, Margarine - eine wunderbar absurde Aktion in den ordentlichen Einkaufsläden.

Kallmann Museum

Börsenabstürze und -erholungen hat Jochen Höller in "Pulse" (2016, Edelstahl, vergoldet) festgehalten.

(Foto: Jochen Höller)

Beate Passow ließ in "Trade Made" Kreditkartenauszüge der Deutschen Bank in monumentaler Größe auf weiße Seide sticken. Die Zahlen zeichnen das Bild einer Kunstsammlerin, die 2009 auf Kunstmessen unterwegs war. Verzeichnet sind nicht nur die Preise für die erworbenen Werke, sondern auch die lästigen Nebenkosten von Flug und Hotel bis hin zu Friseur und Abendessen. Der Kreditkartenauszug als Statussymbol - das Aufhängen von Kunst kann sich dann manch einer sparen.

In einer Welt, in der der Einzelne für sein Glück selbst verantwortlich ist, sind Motivationstrainer gefragte Persönlichkeiten. Zwölf hat Sven Johne an einer Porträtwand vereint. Professionell gut gelaunt strahlen sie unter ihren Leitsprüchen den Besucher an. Die Botschaft: Erfolg hängt von der individuellen Bereitschaft ab, stetig an sich zu arbeiten. Bleibt er trotzdem aus, liegt das an der mangelnden Kampfkraft, nicht an gesellschaftlichen Bedingungen. Selbstzweifel haben Platz in Stefanie Unruhs Installationen. Ihr an der Wand hängender Rucksack klagt "Ich kenne kein weekend", vermutlich weil er ständig Laptops transportieren muss, Symbole einer Arbeitswelt, in der die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verwischen.

Andere Arbeiten erzählen, wie globale Märkte funktionieren. Julian Röders Fotografien berichten von der größten Rüstungsmesse der Welt in Abu Dhabi. Der österreichische Künstler und Filmemacher Oliver Ressler befasst sich in seinem Film "The Visible and the Invisible" mit dem internationalen Rohstoffhandel, der diskret über die Schweiz abgewickelt wird, ohne dass die Rohstoffe jemals Schweizer Boden berühren. Verblüffend, wie unauffällig die Konzerne agieren, untergebracht in oberen Stockwerken von Genfer Bürogebäuden. Die Konzernzentralen im Film sind hinter weißen Schwaden nur vage erkennbar genauso wie die Förderanlagen, die Fabriken oder die Arbeiter in Sambia.

Kallmann Museum

Eine Aufnahme Julian Röders aus der Serie"World Of Warfare" (Abu Dhabi, 2011).

(Foto: Julian Röder/Galerie Russi)

Um den zum Bauen notwendigen Rohstoff Sand geht es in Stefanie Zoches Videoinstallation "Fortuna Hill" ( 2015). Ihre Reise startet an einem ungenutzten Flughafen in Spanien. Vorbei geht es an schier endlosen Bauruinen von Hotels oder Reihenhaussiedlungen. Die Fahrt endet im Nichts an einem von Büschen überwucherten Kreisverkehr. "You have reached your destination", sagt die Stimme aus dem Navi. Was für diejenigen, die damit irgendwann viel Geld verdient haben, vermutlich schon gestimmt hat.

Ausweitung der Marktzone - Künstlerische Fragen an den heutigen Kapitalismus, bis 6. September, Kallmann-Museum Ismaning

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