Asylbewerber:Wie eine Zeitarbeitsfirma Flüchtlinge integriert

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Haushaltswarenkunde: Der Asylbewerber Lewis Mogbeyi aus Nigeria arbeitet als Kommissionierer bei Kustermann. (Foto: Robert Haas)

Bei Social Bee geht es nicht ums knallharte Geschäft, sondern darum, Asylbewerber in kurzer Zeit fit zu machen für den Arbeitsmarkt.

Von Claudia Wessel

Lewis Mogbeyis Sohn Timothy ist zwölf Jahre alt und er spricht nach fast drei Jahren in München viel besser Deutsch als sein 50-jähriger Vater. Seit Februar aber macht Lewis in dem kleinen Wettbewerb mit seinem Sprössling oft einige Punkte gut. Denn er kennt Worte, bei denen Timothy nur erstaunt fragt: "Daddy, was ist das denn?" Frühstücksbrett. Eierhalter. Löffelset. Roll-und Dekorfondant. Grillpfanne. Fußmatte. Pfeffermühle. Sicherheitsbrennpaste fürs Fondueset. Und jeden Tag lernt Lewis weitere dazu.

Seit Februar ist der Nigerianer im Lager der Firma Kustermann beschäftigt, die praktisches und edles Haushaltszubehör anbietet und im Lager im Keller am Rindermarkt rund 25 000 Waren stehen hat. Dort ist Lewis für das Kommissionieren zuständig, das heißt, er sucht die Waren aus den Regalen, die oben im Laden verkauft wurden und wieder aufgefüllt werden müssen.

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Den Job bei Kustermann hat Mogbeyi nicht selbst gefunden, sondern er wurde von Social Bee dorthin vermittelt. Von der Zeitarbeitsfirma nur für Flüchtlinge, die 2016 gegründet wurde, hörte der ausgebildete Schweißer in seinem Deutschkurs. Nachdem er sich beworben hatte, dauerte es nur ein paar Wochen, dann durfte er sich schon bei Kustermann vorstellen.

Bei Kustermann hatte sein Vorgänger, ebenfalls ein von Social Bee vermittelter Flüchtling, gerade aufgehört, weil die Zeitarbeitsfirma für ihn eine Stelle in seinem Beruf als IT-Fachmann gefunden hatte. Kustermann-Geschäftsführerin Bettina Dalm und der Leiter der Logistik, Stefan Kurzeder, hatten sich damals über das Thema Flüchtlinge unterhalten und beschlossen, etwas zu tun.

Kommissionieren - eigentlich der ideale Job für jemanden, der noch nicht perfekt Deutsch spricht. Mag man denken. Doch ganz so einfach ist es nicht. Das System bei Kustermann läuft so: Das Kassensystem meldet per Computer, was im Laufe des Tages verkauft wurde. Abends kommen dann die Kommissionsaufträge im Lager an. Dann gilt es, die Waren zusammenzusuchen.

Weil Mogbeyi all die Fachbegriffe aus dem Haushalt eben noch nicht kannte, war es für ihn am Anfang wesentlich schwerer, den richtigen Artikel zu finden. Jedes Regalbrett hat eine Nummer, etwa 051.02, doch auf diesem Brett stehen bis zu zehn Artikel nebeneinander. Wenn man weiß, was eine Pfeffermühle ist, sieht man sie natürlich sofort. Wenn nicht, muss man nach der Nummer gehen. Also genau den richtigen 13-stelligen EAN-Code (Europäische Artikelnummer) finden, der auf der Liste steht.

"Das braucht natürlich mehr Zeit", sagt Kurzeder. "Da muss man Geduld haben." Die hatte man mit Mogbeyi, auch die fünf Kollegen im Lager, denen ihr Chef die Situation vorher geschildert hatte. Und da sowohl der Wortschatz von Mogbeyi als auch die Erfahrung mit dem Standort der Waren steigt, wird er täglich schneller. Er ist auf jeden Fall eine vollwertige Arbeitskraft, etwas anderes könnte sich Kustermann auch nicht leisten. "Wir sind ein Wirtschaftsunternehmen, wir brauchen die Leistung." Dabei könne man 80 Prozent der notwendigen Leistung akzeptieren, doch keineswegs weniger.

Social Bee ist eine Zeitarbeitsfirma. Das heißt, die Flüchtlinge sind dort angestellt, werden aber an Firmen "verliehen". Diese Unternehmensform sei für sie ein praktisches Konstrukt, sagen die Gründer Zarah Bruhn, 26, und Maximilian Felsner, 27. Zeitarbeitsfirmen seien ja normalerweise "ein knallhartes Geschäft", so Felsner. Bei Social Bee aber habe man sie neu interpretiert. Nicht umsonst ist die Firma mit dem sozialen Namen als gemeinnützig anerkannt, das Unternehmen arbeite ohne Gewinnerzielungsabsicht, der gesellschaftliche Mehrwert stehe im Vordergrund. "Wir sind ein Integrationsdienstleister", betont Bruhn.

Die Flüchtlinge sind bei Social Bee angestellt und verdienen mindestens 9,23 Euro die Stunde, je nach Branche können Zuschläge dazu kommen. Zur Verfügung gestellt werden ihnen ein MVV-Ticket und Sprachkurse sowie eine Sozialpädagogin als Ansprechpartnerin. Den Unternehmen, in denen die Mitarbeiter eingesetzt werden, nimmt Social Bee sämtliche Formalitäten ab, von der Auswahl des passenden Kandidaten über die Arbeitserlaubnis bis zur Motivation.

In einem Personalentwicklungsprogramm etwa lernen die Mitarbeiter alles über Gepflogenheiten in deutschen Betrieben, vom Tonfall dem Chef gegenüber bis zum Du oder Sie. Zur Zeit arbeitet die Firma Social Bee, die aus den beiden Gründern und acht weiteren Teilzeitkräften und Praktikanten besteht, mit neun Firmen zusammen. Die Zahl der angestellten Flüchtlinge sei "zweistellig" und steige wöchentlich, daher möchte man keine genaue Zahl nennen.

Das Ziel ist jedenfalls klar: Die Firma möchte sich bundesweit ausbreiten und noch mehr Personal einstellen. Die Angestellten aber sollen nicht ewig bei ihnen bleiben. "Wir verstehen uns als Sprungbrett", betont Bruhn. Nach eineinhalb Jahren sollen die Mitarbeiter in der Lage sein, auf den regulären Arbeitsmarkt zu wechseln.

Ihre Idee, die Bruhn und Felsner 2015 hatten, bereitet den beiden Studenten - Felsner hat einen Abschluss in Volkswirtschaft und studiert nun Philosophie, Bruhn ist im Master Maschinenbau und Betriebswirtschaft - jedenfalls täglich große Freude. "Wir sehen so viele dankbare Gesichter, es ist eine extrem erfüllende Arbeit", sagt Bruhn strahlend.

Auch Lewis Mogbeyi liebt seine Arbeit. Manchmal besteht im Lager bei allem praktischen Haushaltswaren-Deutschkurs aber auch die Gefahr, dass Mogbeyi Worte lernt, die es gar nicht gibt. So nennt er als Beispiel für sein neues Vokabular "Variabolo". Was um alles in der Welt ist ein Variabolo? Er holt es aus dem Regal. Es ist eine kleine Brotzeitbox, und Variobolo ist nur der Markenname. Aber, gibt Mogbeyi zu, viele der Worte vergisst er ohnehin wieder, sobald er das Lager verlässt. Es sei denn, er merkt sie sich extra, um Timothy zu beeindrucken.

© SZ vom 19.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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