"Antigone" am Schauspielhaus Nürnberg:Theater-Kritik - Sand im Getriebe

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Antigone (Pauline Kästner) ist als Opfer "toxischer" Männlichkeit auf der Bühne stets präsent: Dort beerdigt sie symbolisch den toten Bruder ein ums andere Mal. (Foto: Konrad Fersterer)

Auch Andreas Kriegenburgs aufklärerische Inszenierung der "Antigone" am Schauspielhaus Nürnberg kennt keine befriedigenden Antworten

Von Eva-Elisabeth Fischer

Ein schönes Bild ist das von Anfang an. Sandfarben alles, die losen Kostüme von Andrea Schraad, der Boden, die Holztafeln, aus denen der Regisseur und ausgebildete Modelltischler Andreas Kriegenburg einen gedeckelten Kasten gebaut hat, den Lichtbalken durchschneiden. Dieser Kasten, er öffnet sich am Ende, als das in sich geschlossene Autokratensystem, das ihn behaust, zusammenbricht. Kriegenburgs Raum birgt alle wesentlichen Elemente seiner "Antigone"-Inszenierung: Bildhaftigkeit und Bewegung, immer neu strukturiert von choreografierten, gelegentlich merkwürdig verbogenen Körpern.

Dortselbst schlurft erst einmal in zwei disparaten Viererschlangen der Chor, erzählt in einem Prolog von Ödipus' Geschichte, der unwissentlich mit seiner Mutter vier Kinder zeugte; berichtet vom aufgewirbelten Sand und einer Seuche, von tödlichen Unbilden, die vergehen, als der Verzweifelte das Land verlässt. Die Kinder bleiben. Die Söhne töten einander im Kampf um die Macht. Der eine wird rechtmäßig begraben, dem anderen, dem Staatsfeind, die Beerdigung vom herrschenden Onkel versagt.

Die Sophokleische "Antigone", das ist schon so ein Brocken, an dem man mächtig zu würgen hat. Den verbalen Schlagabtausch zwischen Kreon, diesem staubtrockenen Paragrafenreiter und machistischen Rechthaber mit der ebenso kämpferisch verbohrten Nichte im Zentrum der Tragödie, den hat man schon als zähgraue, unverdauliche Rabulistik erlebt. Bei der Übersetzung von Heinz Oliver Karbus lauscht man gern der erhabenen Poesie einer dabei luziden Argumentation. "Dein Hass ist nicht der meine", kontert hier Antigone schlicht dem Kreon, "und ich muss lieben".

Michael Holstrassers Kreon fühlt sich da noch so sicher in seinem Mann-Götter-Recht, dass er allzeit ganz ruhig und leise bleiben kann. Pauline Kästner in der Titelrolle hingegen wirkt in ihrem Blondchen-Trotz gar nicht so souverän, wie sie gern wäre. Und dennoch bringt auch diese Antigone in ihrer Unbeugsamkeit Sand ins Getriebe, stets in dem Bewusstsein, dass sie sterben muss, wenn sie dem herrscherlichen Gebot zuwider handelt. Bis dahin wird sie, darin wühlend, Sand durch ihre Finger rieseln lassen, als bedeckte sie immer wieder den Leichnam des Bruders damit.

Der Chor, er verkörpert das Volk. Wir sind das Volk? Hier klopfen Männer und Frauen rhythmisch Steine aufeinander. Andreas Kriegenburg, in Magdeburg geboren und im Osten künstlerisch sozialisiert, mag auch anlässlich des 30. Jubiläums der deutschen Wiedervereinigung den politischen Bedeutungswandel dieses vormaligen Schlachtrufs einer friedlichen Revolution mit seiner "Antigone" neu überdacht haben. Denn sind es rechte Wutbürger, die "Wir sind das Volk" brüllen. Und was sagt das Volk in Zeiten von Corona angesichts so manch abstruser Zahlenspiele und hirnrissiger Erlasse? Wie ist es da um so etwas wie Eigenverantwortlichkeit bestellt? Da ist "Antigone" das Stück der Stunde, Ambivalenzen zu reflektieren und offen zu legen. Und das leistet diese nur zweistündige Aufführung vor schütter über den Zuschauerraum verteiltem Publikum glänzend. Kriegenburgs Argument ist die Vernunft. Verkörpert wird sie von der abwägenden Ismene. Anna Klimovitskaya kann mit sicherer Stimmfülle verkünden, was rechtens ist und was falsch. Schon bei Sophokles ist die Sympathielenkung eindeutig, aber Ismene sieht man sonst eher als angepasst, gar windelweich. Kreon ist mehr als angezählt und muss vor dieser Frau seine Schuld eingestehen. Sein Satz zur Antigone: "Ich beug mich keiner Frau, solang ich lebe", ist Schnee von gestern. Es ist Ismene, die am Ende sagt: "Die Zukunft ist kein Mann". Das kann alles Mögliche heißen - und keineswegs zwingend Gutes.

Antigone , nächste Vorstellung: Freitag, 16. Oktober, 19.30 Uhr, Schauspielhaus Nürnberg

© SZ vom 13.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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