Pop:Rätselhafter Eigensinn

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Die musikalische Sozialisation der Bandmitglieder von "Anne" ist so vielfältig wie ihr Sound. (Foto: Wilfried Petzi)

Die Münchner Band "Anne" legt mit ihrem zweiten Album "Elis" ein wundersames Werk voll überraschender Wendungen vor.

Von Martin Pfnür, München

Am Anfang ist da erst mal nur diese sehr eigene Stimme, der mit ein paar wenigen Bildern das Kunststück gelingt, sogleich die ganze poetisch verdichtete Rätselhaftigkeit dieser wundersamen Platte vorwegzunehmen. Man hört also von einem "Zelt mit schwarzem Dach", von einem "Falter in der Nacht" und von einem lyrischen Ich, das in "den Schacht der Bauern" stürzt, bis schließlich mit einem kleinen verhexten Geräusch auch die Band zu spielen anhebt, und "Die Felder", über die das besagte Ich alsbald zu fliegen beginnt, in ein immer wärmer strahlendes Licht taucht.

"Die Felder", so heißt denn auch der kontemplativ-chansoneske Auftakt eines Albums, mit dem die Indie-Band Anne dem vergleichsweise dürren Münchner Pop-Jahr noch einen späten Höhepunkt aus der Underground-Nische beschert. Lag dem damals innerhalb von zwei Stunden im Probenraum eingespielten Debüt "Flamingo" von 2019 noch eher der Charme des Unfertigen zugrunde, wirkt "Elis" wie eine elaboriertere und feiner getupfte Fortentwicklung des Anne-Sounds. "Wir wollten diesmal schon etwas mehr Pop machen", sagt Sänger und Texter Johannes Lotz, der sowohl als Maler als auch als Musiker tätig ist. "Gleichzeitig war es uns aber auch wichtig, uns dabei noch genügend Ecken und Kanten zu erhalten und ein gewisses musikalisches Risiko einzugehen."

Das Album lebt von den Brüchen und Kontrasten darin

Gemessen an den neun Songs auf "Elis" ist der Plan vollumfänglich aufgegangen. Denn tatsächlich liegt der eigenwillige Zauber der Platte neben den assoziativen Funkenschlägen von Lotz' surreal anmutenden Lyrics vor allem auch im Zusammenwirken von Melodie und Krach, von musikalischer Struktur und deren Auflösung. Kathartische Qualitäten erster Güte hat das, wie die vier etwa eine anfangs noch ebenso basselastisch wie euphorisch dahingroovende Nummer wie "Die Sonne" in ein Säurebad aus Gitarren- und Synthie-Effekten tauchen; wie sie das zu Beginn noch feierlich getragene "Allein" langsam aber stetig zur instrumentalen Noise-Walze mutieren lassen; oder wie der wavige "Zug" mit jedem Takt ein bisschen mehr in Richtung Dunkelheit und Disharmonie rast. Und doch ist da bei aller lustvollen Zerfaserung eben auch dieser Pop-Appeal, wenn Lotz immer wieder mit flatternder Stimme ins tiefe Crooner-Register herunterschaltet, in "Freunde der Nacht" gar zum windschiefen Morrissey-Gedenkjodler ansetzt, oder im drumcomputerbasierten "Herz" auf elegant abstrahierte Weise von Liebesleiden singt.

"Wir haben ziemlich unterschiedliche musikalische Sozialisationen, die sich alle im Sound niederschlagen", sagt er, angesprochen auf die Brüche und Kontraste innerhalb des Albums, das in Berlin von Multiinstrumentalist Tobias Siebert (And The Golden Choir) produziert wurde. Während es bei ihm selbst, aufgewachsen in einem frankophilen Elternhaus, vor allem die Spannweite zwischen französischem Chanson und dem Indie-Rock seiner Jugend sei, die ihn präge, schlägt das Herz von Schlagzeugerin Sandra Hilpold, die auch bei der derzeit ruhenden Münchner Indie-Institution Candelilla trommelt, bis heute für den Mainstream-Pop der Achtziger. Und dann sind da ja auch noch Gitarrist Dr. Tosh, der sich gleichermaßen für alte Krautrock-Platten wie für die Schlagersängerin Alexandra erwärmen kann, sowie der neu dazugekommene Bassist Boris Saccone, dessen Affinität wiederum primär dem Post-Punk- und New-Wave gilt.

Saccone, der auch das Plattencover zu "Elis" gestaltete, studiert übrigens in der Münchner Akademie-Klasse des Künstlers Gregor Hildebrandt, der als langjähriger Freund von Johannes Lotz einst das Label "Grzegorski Records" ins Leben rief, auf dem auch die beiden Anne-Alben zuhause sind. Zur Band stieß Saccone dennoch auf ganz anderem Wege und ohne das Wissen, dass sein Professor in Zukunft auch sein Label-Chef sein würde: auf eine geschaltete Anzeige hin. Wie der Zufall manchmal so spielt.

" Elis" ist via anneband.bandcamp.com/album/elis auf Vinyl bestellbar.

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