Fotografie:Die Sinnlichkeit der Illusion

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"Matter I #21" nennt Ann Mandelbaum ihre Arbeit aus dem Jahr 2000. (Foto: Ann Mandelbaum / E.Feldman)

Die New Yorker Fotografin Ann Mandelbaum spielt geschickt mit Körperlichkeit - auch in dem Konvolut, das sie soeben dem Münchner Stadtmuseum geschenkt hat.

Von Evelyn Vogel

Kann man hier überhaupt von Schwarz-Weiß-Fotografie sprechen? Klänge es nicht so negativ, müsste man bestimmte Teile des Werks der amerikanischen Fotografin Ann Mandelbaum wohl eher als eine Welt in Grau bezeichnen. Doch dies würde womöglich den Verdacht nahelegen, dass die Aufnahmen trist seien. Und wenn die oft surreal und mitunter skulptural anmutenden, extrem komponierten, oft mehrfach belichteten Fotografien Ann Mandelbaums eines nicht sind, dann trist. Im Gegenteil: Das Werk der 77 Jahre alten Künstlerin ist so aufregend, vielschichtig und hoch emotional, dass es seinesgleichen sucht.

Dass das Münchner Stadtmuseum nun 88 Originale von Ann Mandelbaum aus der Zeit zwischen 1989 und 2022 als Schenkung erhält und damit die Lücke im Bereich der zeitgenössischen Fotografie in der Sammlung - die ja vor allem auf einem historischen Fundament ruht - ein weiteres Stück weit schließen kann, ist Ulrich Pohlmann zu verdanken. Man kann es als letzte große Tat des bisherigen Sammlungsleiters bezeichnen, denn Pohlmann verabschiedet sich Ende des Jahres nach drei Jahrzehnten in den Ruhestand. Doch schon Ende der Neunzigerjahre hatte er eine Ausstellung mit fotografischen Arbeiten von Ann Mandelbaum ins Stadtmuseum geholt und damit den Grundstein für eine jahrzehntelange Verbundenheit der international renommierten Fotografin aus New York mit dem Münchner Museum gelegt.

"Die Kamera ist wirklich ein magisches Werkzeug, mehr als jedes andere Medium", sagt Ann Mandelbaum, die künstlerisch von der Malerei und der Bildhauerei kommt. Diese "Magie" entspricht ihrem künstlerischen Ansatz eines gefühlsmäßigen Arbeitens - was bei einer Künstlerin, die mehrere Jahrzehnte als Professorin für Fotografie gelehrt hat, nachgerade erstaunt. Seit vier Jahrzehnten arbeitet sie mit der Kamera und plastischen Materialien, lässt daraus ihre skulpturalen Arbeiten entstehen. Dem analogen Fotografieren folgte eine kurze Epoche mit digitalen Kompaktkameras. Mittlerweile ist das Smartphone ihr Werkzeug, wie sie bei einem Gespräch anlässlich der Schenkungsübergabe im Stadtmuseum verriet. Aber was heißt schon Werkzeug? Wo doch die Techniken wie Bildhauerei, Collage und Zeichnung, Fotogramm und Mehrfachbelichtung Hand in Hand gehen? Und seit sie digital arbeitet, hat auch ein wenig Farbe Einzug in ihre Bildwelten gehalten.

Mandelbaum benutzt die Kameralinse wie das Auge eines Liebhabers: erforschend, zärtlich, liebevoll. Und egal ob sie Teile des Körpers wie Augen, Lippen, Hände, Füße, einen Nacken-, Haar- oder Kinnansatz, Haut, Falten und intime Zonen fotografiert oder Insekten und Gegenstände arrangiert, mit Latexabgüssen spielt - immer muss man genau hinschauen, um zu erkennen, was da eigentlich zu sehen ist. Immer stecke ein kleines Stück Realität in ihren Bildwerken, sagt sie. Aber der wohl größte Teil ihres Arbeitens sei vom Wegnehmen und Weglassen geprägt. Und von vielen Gegensätzen. Da trifft sanft auf hart, innen auf außen, intim auf öffentlich, real auf surreal, figurativ und gegenständlich auf abstrakt. Daraus entstehen sinnliche Illusionen, die anfangs große Irritationen bei ihm auslösten, wie Ulrich Pohlmann sich an seine erste Begegnung mit dem Werk Ann Mandelbaums erinnert. Während die zeitgenössische Fotografie sich so sehr auf das Dokumentarische konzentriert, nimmt Ann Mandelbaums Hingaben an die Illusion eine Sonderstellung ein. Doch die Fotografin ist überzeugt: Wir alle sind fasziniert von der Illusion. Vermutlich auch die, die es ungern zugeben.

Zur Schenkung ist das Künstlerbuch "Matter" im Verlag Hatje Cantz erschienen (53 Euro).

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