Am Hart:Sichtbares Zeugnis

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Am Denkmal in der Troppauer Straße sollen zusätzlich Info-Tafeln an die Deportation jüdischer Mitbürger erinnern

Von Lea Kramer, Am Hart

Es ist ein Dienstag im Herbst, an dem Karla Adler das Barackenlager an der Knorrstraße 148 betritt. Die 39-jährige Münchnerin ist berufstätig. Sie arbeitet als Privatsekretärin und wohnte bislang in einer Wohnung an der Giselastraße, wo sie wohl ein Zimmer gemietet hatte. Dann kommt der 30. September 1941. Karla Adler wird mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses abgeholt und nach Milbertshofen gebracht. Sie alle sind Münchner jüdischen Glaubens. Ein Großteil von ihnen wird die folgenden Monate nicht überleben. Damit ihre Geschichte im kollektiven Gedächtnis bleibt, setzen sich Lokalpolitiker dafür ein, dass dort, wo einst "Judenlager Milbertshofen" existierte, über ihr Schicksal informiert wird. Ein Vorhaben, das nicht so einfach zu verwirklichen ist.

In zwei Monaten, am 20. November, jährt sich die Deportation von Karla Adler und 998 anderer Juden zum 80. Mal. Es ist der erste Deportationszug aus München, einer der ersten Züge aus ganz Deutschland und der Start für eines der größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte, dem innerhalb weniger Jahre mehr als sechs Millionen Menschen zum Opfer fallen werden. Fünf Tage nach der Abfahrt vom Güterbahnhof im Münchner Norden kommen die Wagen auf einem Gleis im litauischen Kowno (Kaunas) an. Gemeinsam mit Hunderten anderen Gefangenen aus Berlin und Frankfurt werden die Münchner Deportierten kurz nach ihrer Ankunft ermordet. In den kommenden vier Jahren wird es 41 weitere Transporte geben.

Das Lager in Milbertshofen-Am Hart spielte eine maßgebliche Rolle bei der Verfolgung der Münchner Juden. Zunächst war es als Ghetto für die jüdische Stadtbevölkerung konzipiert worden, das diese selbst errichten mussten. Die Baracken dienten als Sammelunterkünfte, auch weil diese Menschen keine Bleibe mehr hatten, ihre Wohnungen wurden spätestens seit dem Gesetz über Mietverhältnisse mit Juden aus dem Frühjahr 1939 systematisch an NSDAP-Mitglieder oder andere nicht-jüdische Bürger vergeben.

Auf dem Gelände des ehemaligen Sammellagers befindet sich heute das Forschungs- und Innovationszentrum der BMW AG. 1982 wurde eine Plastik in Gestalt eines Baumes an der Ecke Troppauer Straße/Knorrstraße installiert, geschaffen vom Architekt und Bildhauer Robert Lippel. Die Inschrift lautet: "Für viele jüdischen Mitbürger begann in den Jahren 1941/43 der Leidensweg in die Vernichtungslager mit ihrer Einweisung in das Münchner Sammellager hier an der Knorrstraße 148".

Das fast vierzig Jahre alte Denkmal wollten die Grünen im Bezirk Milbertshofen-Am Hart durch Informationstafeln ergänzen. Ein entsprechender Antrag ist vom Bezirksausschuss (BA) bereits 2020 beschlossen worden. Die Antwort darauf aus dem Kulturreferat sorgt allerdings für Ernüchterung. 2002 habe der Stadtrat festgelegt, dass bei neuen Denkmälern oder Tafeln immer die sogenannte "AG Gedenktafel", ein Gremium aus Fachleuten der Referate sowie Vertretern der Stadtratsfraktionen, angehört werden müsse. Im Fall des Sammellagers habe man sich gegen neue Infotafeln ausgesprochen. Wohl auch, weil es nach Angaben des Kulturreferats bereits das Lippel-Denkmal mit seiner Inschrift sowie den Kulturgeschichtspfad gibt, in dem das "Judenlager" Milbertshofen thematisiert wird. Es sei geplant, die Broschüre für den Pfad zu aktualisieren und ein Foto des Mahnmals aufzunehmen. Zudem habe der BA signalisiert, "lebendige Formate zur künftigen Erinnerung im Stadtteil" zu entwickeln.

Damit ist eine Veranstaltung gemeint, die das Gremium zum 80. Jahrestag der Deportation diesen November plant. Den Grünen reicht das aber nicht. "Wir wollten ja eine erklärende Tafel vor Ort zu dem Mahnmal und kein neues Denkmal", sagt Fraktionssprecherin Nicole Riemer-Trepohl. Die Broschüre sei ebenfalls nicht im Stadtbild sichtbar, findet sie. Einen neuen Vorstoß bei der Verwaltung will der BA aber erst mal nicht wagen. "Vielleicht kann man ja mit BMW noch mal reden, ob die Interesse haben, dort etwas zu machen. Jetzt ist das Denkmal ja eher ein Radlparkplatz", sagt Mathias Kowoll (SPD).

Karla Adler wird mit ihrer Schwester Ella verschleppt. Kurz vor der Deportation schreiben sie an eine gemeinsame Bekannte: "Meine liebe Frau Küffner! Nun ist leider das Gefürchtete eingetreten. Am 19. ds. geht unser Transport ab, unbestimmt wohin. Ist das nicht schrecklich?"

© SZ vom 16.09.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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