Andererseits setzt die Vielfalt unter Bewohnern und Mitarbeitern auch voraus, dass man mehr voneinander weiß. Kultursensible Pflege bedeutet, dass man die Grundbegriffe verschiedener Kulturen kennt, wie etwa das Wissen über religiöse Rituale und Symbole oder über Sterberituale. Neue Mitarbeiter erhalten deshalb eine Einführung in die Geschichte der Stadt bei einer Stadtrundfahrt und einem Besuch im NS-Dokuzentrum.
Interkulturelle Öffnung bedeutet eine doppelte Aufgabe. Zum einen muss für die Bewohner gesorgt werden: Liegt der Ausländeranteil bei den 65- bis 74-Jährigen noch bei 23,1 Prozent, beträgt er bei den 75- bis 84-Jährigen 11,7 Prozent. "Zug um Zug werden also mehr in das Alter kommen, in dem sie Pflege benötigen", sagt Strobl. "Deshalb müssen wir die Häuser so gestalten, dass sie sich wohlfühlen." Die Ansätze in den drei Häusern sind unterschiedlich, um Vielfalt zu schaffen. Heilig Geist setzt auf mediterranes Flair, Farben und Bilder erinnern an die ersten Reisen in den Süden.
Vielfalt und Verständnis bieten die Münchenstift-Mitarbeiter (von links) Sanel Kadric, Endira Avdic, Jeannette Lucas, Sandy Zimmenmann und Cvjetko Prodanovic.
(Foto: Stephan Rumpf)Das Hans-Sieber-Haus in Allach-Untermenzing will ältere Menschen muslimischen Glaubens mit einem Wohnbereich, der einen Gebetsraum und eine Teestube bietet, ansprechen. Auf Wunsch gibt es dort Halal-Kost. Im Haus an der Rümannstraße in Schwabing wurde das kultursensible Einarbeitungskonzept entwickelt, von dem alle Mitarbeiter profitieren - und damit auch die Bewohner.
Auch in den anderen Münchenstift-Häusern soll deshalb nach und nach die interkulturelle Öffnung vollzogen werden. Denn manchmal kann etwas, was für den einen eine unbedeutende Kleinigkeit zu sein scheint, für den anderen große Tragweite haben. Als Fall von Gewalt in der Pflege war Benker ein Vorfall gemeldet worden, bei dem ein Bewohner aus Afghanistan aus dem Rollstuhl gerutscht war. Der Mitarbeiter setzte ihn zurück in den Rollstuhl und legte ihm die Schuhe, die ausgezogen daneben standen, mit der Sohle nach oben auf den Schoß. Der Bewohner schrie daraufhin - wie sich später herausstellte, weil Schuhsohlen, die einem vor das Gesicht gehalten werden, in seiner Kultur als schwere Missachtung gelten. Waren anfangs manche deutsche Bewohner noch skeptisch, was ihnen die interkulturelle Öffnung bringt, hat sich diese Haltung gewandelt.
"Die Bewohner und Angehörigen haben für sich realisiert, dass ihnen nichts weggenommen wird", erklärt Thomas Ziller, Hausleiter von Heilig Geist. Stattdessen wissen fast alle die größere Vielfalt zu schätzen. Sie habe sich "noch nicht ganz eingelebt", sagt Albina Karl, 83. Aber sie sei auch erst sechs Wochen im Haus. Klara Scherer macht ihr Mut, sie empfindet es als ein "Zuhause", lobt den Zusammenhalt. Auch Erika Mader schätzt die Atmosphäre. Und preist den Service: "Man wird bedient, wie in einem Hotel. Was will man mehr?"