Allach/Untermenzing:Die Augen der Würm

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Feier zur Übergabe des Wandgemäldes im Karl-Gayer-Tunnel

Von Anita Naujokat, Allach/Untermenzing

Bäume werden zu Gesichtern und Köpfe zu Fragezeichen: Alina, 14, hat Eindrücke eines Kumpels von einem Leben ohne Gedächtnis umgesetzt, die er ihr von einem Praktikum in der Demenzeinrichtung Rosengarten wiedergegeben hat. Instrumente verwachsen mit Pflanzen und Blüten, Demonstranten hechten in das später dann doch von der Stadt plattgemachte Allacher Sommerbad und kommen am Langwieder See wieder heraus.

Es sind heitere, leichte Szenen, aber auch schweres Geschütz, was seit ein paar Wochen die Karl-Gayer-Unterführung ziert, an der Schnittstelle zwischen Allach und Untermenzing. Aus dem einstigen Arbeitstitel "Sichtkontakt" ist jetzt das Kunstprojekt "Stadtlichtung" geworden, das der Künstler Martin Blumöhr im Auftrag des Bezirksausschusses mit mehr als 40 Schülern entworfen, entwickelt, umgesetzt und ergänzt hat. Zu den Recherchen haben auch die Historiker Walter G. Demmel und Ernst Rudolph mit ihrem Wissen über die Geschichte des Stadtbezirks und ihren Veröffentlichungen beigetragen.

Kinder und Jugendliche aus drei Schulen und den Freizeitstätten haben unter Leitung des Künstlers Martin Blumöhr ein Kunstwerk geschaffen. (Foto: Martin Blumöhr/oh)

Aber die Kinder und Jugendlichen aus den fünften bis elften Klassen des Louise-Schroeder-Gymnasiums, der Carl-Spitzweg-Realschule, der Mittelschule an der Franz-Nißl-Straße und den Freizeitstätten haben ganz eindeutig eben auch ihre eigene Sicht auf das Stadtviertel, haben eigene Erlebnisse und Fantasien. Und es bewegte sie erstaunlich viel Ernsthaftes und Anrührendes, wie das Grab des gestorbenen Kindes mit den Spielzeugautos, ein Unfall auf der Würmbrücke, das brennende Haus, der in Flammen stehende Bus zeigen.

Gemeinschaftswerk: das Wandgemälde "Stadtlichtung" in der Karl-Gayer-Unterführung. (Foto: Martin Blumöhr/oh)

Und durch all diese Erlebniswelt mit den markanten Punkten des Stadtbezirks, in der Vergangenheit und Zukunft, Realität und Träume aufeinanderprallen oder fließend ineinanderübergehen, zieht sich die Würm, deren Augen unter den Wellen blau und grün funkeln, aber auch rot. Rot, wenn sie Blut symbolisiert wie an der Allacher Porzellanmanufaktur. Die Gymnasiastin Lara Herzog hat sie auf dem Wandbild groß in Szene gesetzt, lässt dort KZ-Häftlinge unter Himmlers SS an Nazi-Kitsch arbeiten. Und unter dem Panzer, der Bezug zum örtlichen Rüstungsunternehmen Krauss-Maffei Wegman nimmt, und den Folgen seines Wütens blutet die Würm erneut. Auf den noch nicht zermalmt auf dem Wasser treibenden Blütenblättern ringen gekenterte Flüchtlinge um ihr Leben.

Nach fast eineinhalb Jahren Arbeit wird die Fertigstellung der 350 Quadratmeter großen Open-Air-Galerie am Freitag, 27. Juli, von 15.30 bis 23.30 Uhr gefeiert. Bei zwei Rundgängen erläutern Blumöhr und die Schüler ihre Motive. Zur Eröffnung sprechen Bürgermeister Josef Schmid (CSU), die CSU-Stadträtin und Vorsitzende des Bezirksausschusses Heike Kainz und die Leiterinnen und Leiter der beteiligten Schulen. Außerdem treten der Tenor Luciano Saraceni, DJ Budenbeatz, der bayerische Liedermacher Dane Diredare, die Musikkabarettistin Bettie Berlin und Neustart und Riksha Ride mit Reggae, Funk, Pop, Rock und Hiphop auf.

© SZ vom 26.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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