Allach/Untermenzing:Banger Blick in die Zukunft

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Das geplante Neubaugebiet "Hirmerei" findet Zustimmung, weckt aber auch massive Befürchtungen. Wie sich bei einer Online-Erörterung zeigt, treiben die Verkehrsbelastung und drohende Hochwasserschäden die Anwohner um

Von Anita Naujokat, Allach/Untermenzing

Die Meinungen über das Neubaugebiet "Hirmerei" gehen weit auseinander. Das zeigte sich nicht zuletzt bei der digitalen Erörterungsveranstaltung als Bestandteil der öffentlichen Beteiligung. Lehnten die einen im Bürgerchat das gesamte Vorhaben rigoros als "Neuperlach-Brutalismus" ab oder fühlten sich eher an eine "Justizvollzugsanstalt" als an Wohnbauten erinnert bis hin zum Ruf nach einem Bürgerentscheid, gab es Kompromissbereite, die für einen kleineren Maßstab plädierten, aber auch lobende Worte. Gemessen an der schwierigen Aufgabe und Ausgangssituation sei die Architektur gelungen, so eine Stimme. Und eine andere: "Schade, dass hier fast nur Bedenken geäußert werden ..."

Große Sorgen bereitet vor allem den Anwohnern die Verkehrssituation und -belastung, die ein Chaos und einen Verkehrskollaps befürchten, aber auch die Kompaktheit der Bebauung. Dort, wo an der nördlichen Eversbuschstraße heute noch Ackerland vor ihrer Tür ist, sehen sie sich mit drei- bis viergeschossigen Gebäuden konfrontiert, die sich in Richtung Bahn auf bis zu sechs Geschosse staffeln werden. Rund 230 Wohnungen plant die Hirmer-Gruppe, daher der Name "Hirmerei", auf 1,6 Hektar zwischen Eversbusch-, Otto-Warburg-Straße und den Bahngleisen unweit des S-Bahnhofs Karlsfeld. Dazu kommen in dem autofrei konzipierten Quartier 180 Tiefgaragenstellplätze, eine viergruppige Kindertagesstätte, Gastronomie und Gemeinschaftsräume, öffentliches Grün im Norden und Süden. Grundlage der Planungen ist der Siegerentwurf von Palais Mai Architekten aus München, zusammen mit den Landschaftsarchitekten und Stadtplanern Grabner Huber Lipp aus Freising, aus dem vorausgegangenen Realisierungswettbewerb.

Stoßstange an Stoßstange stehen die Autos im Berufsverkehr auf der nördlichen Eversbuschstraße in Allach, im Vordergrund der Acker, auf dem das neue Wohngebiet entstehen soll. (Foto: privat/oh)

Im Vergleich zum Wettbewerbsentwurf habe man nach Gesprächen mit Nachbarn die Hauslänge an der Eversbuschstraße von ursprünglich 100 auf 74 Meter reduziert, die Öffnung verbreitert, kleinteiligere Vorsprünge geschaffen und sei deutlich von der Eversbuschstraße abgerückt, erklärte Architekt Peter Scheller, der auch den krankheitsbedingt entschuldigten Investor Christian Hirmer virtuell vertrat. Ein umfassendes Verkehrskonzept, zumal auch die jahrelange Sanierung des Allacher Autobahntunnels mit Sperrungen und Schleichverkehr von dort bevorsteht, ist indes nicht in Sicht. Man arbeite derzeit an einem Konzept für das ganze Stadtgebiet, aber nicht an kleinräumigeren oder speziell für Allach, erklärte Jonas Wurtz vom Mobilitätsreferat. Ein solches dürfte sich nicht nur auf Allach beschränken, sondern müsste auch das Umliegende einbeziehen, insistierte Bezirksausschuss-Chef Pascal Fuckerieder (SPD), der die Veranstaltung moderierte.

Was wiederum Fragen aufwarf, inwieweit die bauliche Entwicklung der Nachbargemeinde Karlsfeld - dort entsteht unter anderem gemeinsam mit München an der Stadtgrenze ein neues Gymnasium - oder der geplante Nordring über den S-Bahnhof Karlsfeld in den Prognosen und Untersuchungen berücksichtigt sei. Wurtz zufolge beruht die Analyse auf Zählungen von 2018, die in enger Abstimmung mit Karlsfeld erfolgt seien, wie seinerzeit auch für den Schulbau. Einbezogen seien alle Bauentwicklungen und das Bevölkerungswachstum, versicherte er. "Machen wir uns nichts vor", chattete ein Teilnehmer, ein Verkehrskonzept ändere die Situation nicht, die Eversbuschstraße sei nicht verbreiterbar. Verbreitert wird sie, aber nicht unbedingt für den Verkehr, sondern zugunsten eines Gehwegs und Baumgrabens auf der Neubauseite.

So manchen Anlieger treibt auch der hohe Grundwasserstand um. "Wer bezahlt uns die Wasserschäden im Keller?", wurde mehrmals gefragt. Von solchen geht die Stadt allerdings nicht aus. Die Thematik sei bekannt, sagte Armin Ant vom Planungsreferat. Die Untersuchungen gingen vom "Worst Case" aus, bezögen sowohl die nahe Würm als auch den A 99-Ausbau ein, würden ergänzt, fortgeschrieben und bei allen Unterbauten berücksichtigt.

Zweieinhalb Stunden Fragen, Antworten, Vorwürfe, Forderungen, ironische Kommentare, aber auch Lob und Dankesworte für die Veranstaltung und die ausführlichen Entgegnungen. Das Planungsreferat zählte an die 200 Beiträge im Chat. Wie viele Bürger letztlich eingeloggt waren, konnte auch die städtische Behörde am Ende nicht sagen, weil nur registriert worden sei, wer den Cookies zugestimmt habe, mit denen Benutzer einer Webseite identifiziert werden können, was die wenigsten täten. Die auf Video aufgezeichnete Erörterung samt Chats ist für jedermann dauerhaft noch bis 15. Juni abrufbar unter der Adresse https://t1p.de/hirmerei. Auf der Seite beim Text "Teilnahme" einfach auf das Wort "hier" klicken.

© SZ vom 31.05.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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