Tattoos:Eine Tätowierung ist wie ein Trip in die Folterkammer

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Eine schmerzhafte Angelegenheit: das Stechen eines Tattoos. (Foto: picture alliance / dpa)

Hunderte Euro, damit eine Portion Tinte unter die Haut fließt: Unser Autor aus Nigeria fragt sich, warum sich die Menschen hier so etwas antun.

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Die Sache hat einen Haken, wie ein Schlachter ihn verwendet, um tote Tiere aufzuhängen. Ansonsten ist es hier eher wie in einer Schreinerei, wo Nägel in Bretter gestoßen werden, wo geschnitzt und gefeilt wird. Nur dass man hier nicht mit Holz hantiert, sondern mit Haut. Mit einer kleinen Pistole werden lauter kleine Nägelchen in die Haut geschossen. Die Werkzeuge in der Toolbox schauen mich an wie schuldbewusste Täter auf einer Anklagebank. Alle warten, bis der Richter sie zur Strafbank führt.

Der Richter ist ein Mann mit Tätowiergerät. Und die Strafbank ein Tattoostudio in München. Vielleicht war ich zu unvorbereitet auf das, was mich hier erwartete. Ich kam mir hier vor wie auf einer menschlichen Baustelle. Und doch sind offenbar alle freiwillig hier. Ich sehe einem Kunden dabei zu, wie er zuckt und vibriert. Wahrscheinlich erträgt er gerade Höllenqualen. Der Handwerker mit der Tätowierpistole lässt sich aber nicht beirren und hantiert weiter auf dem Oberkörper herum. Sein Kunde schaut hilflos an die Decke und raucht mit der freien Hand eine Zigarette.

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Sportwetten sind in der nigerianischen Heimat unseres Autoren nicht sonderlich beliebt. Auch in München sind ihm die Wettbüros suspekt - er geht lieber in eine Fußballkneipe.

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Warum tun sich die Menschen hier so etwas an? Hunderte von Euro, damit eine Portion schwarze Tinte unter die Haut fließt. Manche Kunden, speziell Frauen, haben ein Faible dafür, dass ihre Schamzone unter die Pistole kommt. Manche wollen sich gar den Namen ihres Partners in diese Gegend tätowieren lassen. Der Mann mit der Pistole nimmt sie dann mit in sein privates Behandlungszimmer.

Das mit dem Partner-Tattoo will gut überlegt sein. Gerade in München, wo die jungen Leute ihre Partner wechseln wie ihre Strumpfsocken. Man kann davon ausgehen, das so gut wie jeder Inhaber eines solchen Tattoos irgendwann wieder in einem Behandlungsraum steht - bei einem Experten, der den Schriftzug verschwinden lässt. Menschen, die sich ihre politische Haltung oder ihren Glauben tätowieren lassen, sind vielleicht etwas besser dran. Doch auch da kann sich im Laufe eines Lebens vieles ändern. Verschont werden nur Zunge und Lippen. Sie werden stattdessen mit anderen Folterwerkzeugen durchbohrt, sodass Ringe so groß wie Fahrradreifen und Nadeln in Speergröße drin Platz haben.

Es ist Sommer in der Stadt. Viele Münchner stolzieren mit ihre tätowierten oder durchlöcherten Körpern durch die Straßen. Mich erinnert das an ein Ritual, dass viele nigerianische Kinder ertragen mussten: die Skarifizierung. Neugeborene wurde ein Stammesmal ins Gesicht geschnitten, die Narbe ist dann für immer sichtbar - als Förderung der eigenen Identität, so dachte man. Eine barbarische Marke, die für immer bleibt. Zum Glück ist dieses Ritual in Nigeria heute kaum mehr verbreitet.

Früher hatten Tattoos dort ganz andere Zwecke. Etwa zu der Zeit, als in Nigeria Sklavenhandel betrieben wurde. Damals wurden bei den Menschen wegen der drohenden Verschleppung Name, Nachname, Herkunft und Familienstamm eingraviert - auf dem Oberkörper oder auf dem Arm: weil es kein Datensystem gab. Der Pass war auf dem Körper. Wer aus der anonymen Sklaverei befreit wurde, konnte so zurückverfolgen, wo er herkommt, und wer er ist.

Zugegeben: Man sieht auch Münchner und Münchnerinnen, die Tattoos tragen können. Manchmal ist es den Schmerz vielleicht tatsächlich wert. Man sagt ja, wer schön sein will, muss leiden. Ich verurteile niemanden, der sich freiwillig in die modernen Folterkammern begibt. Ich wundere mich nur, dass Menschen im 21. Jahrhundert für Schmerz so viel Geld ausgeben, wo früher viele gerne darauf verzichtet hätten, aber keine Wahl hatten.

© SZ vom 11.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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