Kenia:Der Rackerer

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Einer, der von ganz unten kommt und eine Marke daraus zu machen weiß: Kenias wahrscheinlicher Wahlsieger William Ruto. (Foto: BAZ RATNER/REUTERS)

William Ruto ist zum Sieger der Wahl in Kenia ausgerufen worden. Über einen ehrgeizigen Populisten, über dem ein düsterer Schatten schwebt.

Von Arne Perras, München

Was das englische Wort "Hustler" bedeutet, lässt sich mit einem einzelnen deutschen Begriff schwer fassen. In Kenia ist es nun sehr populär, und das liegt an einem eloquenten und mit allen Wassern gewaschenen 55-jährigen Mann aus dem kenianischen Hochland: William Ruto.

Vielleicht ist der Hustler am besten beschrieben als ein Mensch, der sich im Leben durchbeißen muss; gegen alle Widrigkeiten, die ihn auch mal zwingen, schlitzohrig vorzugehen, notfalls skrupellos. Schließlich muss man überleben. Dem Hustler wird ja nix geschenkt.

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Ruto nennt Kenia eine "Hustler-Nation". Und die will er nun in eine bessere Zukunft führen, nachdem er Anfang der Woche offiziell zum Sieger der Präsidentschaftswahlen gekürt wurde. Ganz sicher kann er sich seines Triumphes noch nicht sein, denn sein Rivale Raila Odinga fühlt sich betrogen und will das Ergebnis vor Gericht anfechten. Wie weit er damit kommt, weiß man noch nicht.

Er verkaufte Hühner am Straßenrand

Der Biologe Ruto, der Landwirtschaftsminister und zuletzt Vizepräsident war, hat mit dem Hustler ein Schlagwort für sich reklamiert, das verfängt. Dass Ruto längst selbst zu jener reichen politischen Klasse gehört, die er gerne als korrupt, gierig und abgehoben schmäht, ist von Kritikern immer wieder angemerkt worden. Seiner Popularität hat das wenig geschadet, was zählt, ist die Marke Ruto: Er weiß sich als Aufsteiger zu inszenieren.

Dazu gehört, dass er die Erinnerung an Details seiner ärmlichen Kindheit öffentlich sorgsam pflegt. Er hat Mais und Kohl gepflanzt auf dem Feld, Kühe gehütet. Barfuß lief er kilometerweit über staubige Pisten zur Schule, später verkaufte er Hühner am Straßenrand. Ruto, das Kind armer Eltern vom Lande. Kein verwöhnter Sohn einer Dynastie, wie etwa die Kenyattas.

Ruto, vom Volk der Kalenjin, hat seinen Wählern das Gefühl vermittelt: Da weiß endlich mal einer, wovon er redet, wenn es um all die Strapazen des Alltags geht. Das Symbol des Hustlers ist die Schubkarre. Anpacken, rackern. Dann geht schon was. Irgendwie. Natürlich mit William Ruto vorne dran.

Nicht alle hat er überzeugt, vor allem junge Leute blieben der Wahl fern, vielleicht weil sie beiden, Ruto und Odinga, als Vertretern des Establishments misstrauen. Diese Kreise hat auch der Hustler nicht erreicht.

Ein Sozialrevolutionär? Ein Populist?

Das Praktische aber an diesem Schlagwort ist: Man kann es vielfach deuten, jeder kann selbst entscheiden, ob er sich als Hustler sieht, ob er dazu gehören will. Der Boda-Boda-Fahrer, der mit seinem Motorradtaxi Tag und Nacht nach Kunden jagt; die Kleinunternehmerin mit ihrem Kiosk, die Bauern auf ihren Maisfeldern, die Hirten mit ihren Kühen.

Manche sehen in Ruto nun einen Sozialrevolutionär, andere nur den machthungrigen Populisten, der es gut versteht, die Leute zu ködern. Ob er tatsächlich vieles umkrempeln kann? In Zeiten von Dürre, Pandemie und Inflation, die den Kenianern so viel abverlangen, sind seine Möglichkeiten begrenzt. Er will Kleinunternehmer fördern und die Bauern, Entwicklung von unten nach oben. Klingt gut. Aber gehört hat man das auch schon öfter als Vision für Afrika, um aus dem Elend zu kommen.

Es wird zäh, einen solchen Aufbruch zu organisieren. Aber Ruto führt ja eine Nation von Hustlern, wie er sagt. Wer, wenn nicht sie, könnte es schaffen?

Wenn das Gericht resigniert

Vor einigen Jahren sah es gar nicht so aus, als würde Ruto durchstarten, es wurde eng für ihn. Nach den tödlichen Unruhen in Kenia 2008 war er in Den Haag angeklagt worden, als ein mutmaßlicher Drahtzieher. Die Vorwürfe: Anstiftung zu Mord und Verfolgung. Doch das Gericht stellte das Verfahren ein, Zeugen seien eingeschüchtert worden, es habe politische Manipulationen gegeben, die einen fairen Prozess unmöglich machten.

Nun ist Den Haag fern, nun muss er nur noch als Präsident vereidigt werden. Es wäre für kenianische Verhältnisse ein ungewöhnliches Ereignis. Da nimmt jemand einen einzigen furiosen Anlauf - und schon ist er ganz oben. Für die Anhänger Odingas, der es schon fünf Mal versuchte, jedenfalls ein grässlicher Gedanke.

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