Natürlich klingt das erst einmal gut, wenn Frauen und Männer in der Schweiz von nun an im gleichen Alter in Rente gehen - und nicht die Schweizerinnen ein Jahr früher, wie bisher. Doch das ist eine ziemlich oberflächliche Analyse des Abstimmungsergebnisses vom Sonntag, denn in Wahrheit hat das Land erneut gezeigt, dass es sich nur dann für die Gleichstellung der Geschlechter interessiert, wenn es um die Verteilung der Lasten geht.
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Nach wie vor ist externe Kinderbetreuung in dem Land ein Luxus, den sich die meisten Familien nur an wenigen Tagen die Woche leisten können. Den Rest übernehmen nach wie vor meist die Frauen. Das Schweizer Steuersystem setzt noch stärker als in Deutschland Anreize für das alte Versorgermodell, weil es das zweite Einkommen einer Familie hoch besteuert - ein Grund mehr, warum viele Frauen ihre Erwerbsarbeit zugunsten der Familie reduzieren. Am Ende erhalten Schweizerinnen nur knapp 67 Prozent einer durchschnittlichen Männerrente.
Und da hat man viele andere haarsträubende Dinge noch gar nicht erwähnt. Dass Schweizerinnen bis zur Geburt arbeiten müssen zum Beispiel, weil es keinen Mutterschutz gibt. Oder dass die ersten Frauenjahrgänge, die nun länger arbeiten müssen, gerade mal zehn Jahre alt waren, als ihr Land - oder eher: die stimmberechtigten Männer - das Frauenwahlrecht einführte. Die Feministin Franziska Schutzbach fordert allein für diesen "historischen Menschenrechtsbruch" Reparationszahlungen an die Schweizerinnen. Doch davon könnte das Land nicht weiter entfernt sein. Die Frauen schultern stattdessen nun die Sanierung der ersten Rentensäule.
Selber schuld, könnte man einwenden, immerhin haben auch sie abgestimmt. Aber, Ironie der Geschichte: Laut Umfragen im Vorfeld hat eine überwältigende Mehrheit der Männer für die Erhöhung gestimmt, und fast zwei Drittel der Frauen dagegen. Am Ende gaben 0,57 Prozent der Stimmen den Ausschlag. Ein bitterer Geschlechterkampf.