Der Wanderweg von Limburg nach Bonn führt über den Westerwald und den Rheinsteig. Es geht viel auf und ab, an manch kahlen Feldern vorbei, aber auch durch schattige Wälder und sattgrüne Weinberge. Eine Woche lang ist Beate Gilles diesen Weg gewandert, mit einem Zehn-Kilo-Rucksack auf dem Rücken, um sich innerlich vorzubereiten auf ihre neue Aufgabe: An diesem Donnerstag tritt sie ihre Stelle als Generalsekretärin der Deutschen Bischofskonferenz an. Zum ersten Mal wird dieser Job nicht von einem Geistlichen ausgefüllt. Das an sich ist schon ungewöhnlich genug. Doch die Bischöfe gaben diesen einflussreichen Job auch noch einer Frau. Gilles folgt auf den Jesuitenpater Hans Langendörfer, der das Amt ein Vierteljahrhundert lang innehatte.
Die 51 Jahre alte promovierte Liturgiewissenschaftlerin wird nun in Personalunion auch Geschäftsführerin des Verbands der Diözesen Deutschlands (VDD), des Geschäftsträgers der Bischofskonferenz. Damit ist Gilles künftig die mächtigste Frau in der katholischen Kirche in Deutschland - und in den Vollversammlungen als Frau und Laientheologin alleine unter 68 Bischöfen und Weihbischöfen.
Der Karren steckt tief im Dreck. Also muss eine Frau ran
Frauen dürfen dann ran, wenn der Karren besonders tief im Dreck steckt. Für dieses Phänomen gibt es einen wissenschaftlichen Begriff, die "Glass Cliff Theory". Auch Beate Gilles wird nun auf dieser gläsernen Klippe balancieren müssen - und der Abgrund darunter ist tief. Die katholische Kirche ist in der Krise. Die Missbrauchsaufarbeitung gelingt auch nach elf Jahren immer noch nicht richtig. Viele Gläubige fordern innerkirchliche Erneuerung, fühlen sich von Rom nicht verstanden, und in der Bischofskonferenz klafft eine immer größere Kluft zwischen Bewahrern und Reformern.
Als "spannend" bezeichnet Beate Gilles ihre Aufgabe diplomatisch. Machtgehabe liegt ihr fern, sie tritt zurückhaltend auf, sachlich, aber sie vermittelt auch den Eindruck, genau zu wissen, was sie will. Werden die Bischöfe Gilles wirklich zuhören, oder diente ihre Wahl doch in erster Linie der Imagepflege? Einfach wird es nicht, doch Beate Gilles ist keine Newcomerin. Sie kann mehr als 20 Jahre Führungserfahrung vorweisen - zuerst als Geschäftsführerin des Katholischen Bildungswerks in Stuttgart, dann als Dezernentin für Kinder, Jugend und Familie im Bistum Limburg. In dieser Zeit machte die Finanzaffäre um Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst Schlagzeilen, der sich für 31 Millionen Euro ein Bischofshaus auf den Domberg bauen ließ. Gilles weiß also, was es bedeutet, unter Krisenbedingungen zu arbeiten.
Messdienerin wollte sie werden. Aber es waren schon genug Jungs da
Ihr alter Chef ist nun zugleich ihr neuer Chef: Der Limburger Bischof und Vorsitzende der Bischofskonferenz, Georg Bätzing, nennt sie eine "profunde Theologin, stark in den vielfältigen Strukturen der katholischen Kirche vernetzt und mit besten organisatorischen Fähigkeiten". In seinem Auftrag saß Gilles im Bistum Limburg in einer Arbeitsgruppe, die schon 2019 die Möglichkeiten von Segensfeiern für Homosexuelle sowie geschiedene und wiederverheiratete Paare auslotete.
Auch die Frage nach mehr Verantwortung für Frauen sehen Bätzing und Gilles ähnlich, es sei ein drängendes Thema, sagen beide. Bei ihrer Vorstellung nach der Wahl im Februar sagte Gilles auf die Frage, ob sie sich als Feministin bezeichne: "Ich bin eine selbstbewusste Frau und als diese schon lange in der Kirche unterwegs." Viele der Anliegen der Reformbewegung Maria 2.0 seien auch ihr wichtig: "Das sind Frauen, die die Kirche tragen." Sie selbst wollte als Neunjährige in ihrer Gemeinde in Monheim-Baumberg gerne Messdienerin werden - doch der Pfarrer lehnte ab, er hatte schon genug Jungs.
Gilles hielt das nicht davon ab, ihren Weg durch die katholische Kirche zu gehen. Wie auf ihrem Pilgerweg nach Bonn erlebte sie dabei nicht nur die kahlen Stellen, die Krisen, sondern auch das satte Grün, den reichen Trost, den Seelsorge und Glaube den Menschen geben kann.