Giuseppe Conte wandelt sich gerade zur tragischen Figur. Was für eine Parabel! Wenn man einmal nach einer Persönlichkeit suchen sollte, die diese denkwürdige Legislaturperiode in der sonst schon episodenreichen Geschichte italienischer Legislaturperioden idealtypisch verkörpert, kommt man wohl nicht vorbei am Anwalt aus Apulien. Und das, noch bevor der Epilog bekannt ist.
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Das Sommerdrama der römischen Regierung, diese Krise in der Not, aber ohne wirkliche Not - sie ist zu einem wesentlichen Teil dem Werk und vor allem dem Unvermögen von Giuseppe Conte, 57, als Chef der Cinque Stelle geschuldet. Er wog sich im Glauben, Mario Draghi, seinen Nachfolger im Amt als Regierungschef, vorführen, ihn auch ein bisschen vor sich hertreiben zu können. Er ließ sich dabei von den Rebellen in der Partei anfeuern. Das Spiel ging gründlich schief. Und da die Italiener gemeinhin dazu neigen, hart über politische Dilettanten zu urteilen, gerade über solche, die unnötige Brüche herbeiführen, wird es Conte doppelt treffen. Der "Anwalt des Volkes", wie er sich einmal selber betitelte, als ihn noch niemand kannte, verliert nun wahrscheinlich sein Volk.
Er rühmte sich, ein Populist zu sein. Und verkam zur Marionette
Conte trat 2018 völlig überraschend ins Leben der Italiener. Die Fünf Sterne hatten die Wahlen gewonnen, brauchten aber Alliierte, um regieren zu können. Es brauchte jemanden, der als Notar zwischen den Cinque Stelle und der rechtspopulistischen Lega fungieren konnte. Dafür holten sie diesen Rechtsanwalt mit den schönen Anzügen und dem vierzackigen Einstecktuch, der in Florenz dozierte und in Rom praktizierte. Conte war kein Mitglied der Partei, er hatte überhaupt keine politische Erfahrung: Er war nur ein guter Freund des späteren Justizministers. Der schlug ihn als Premier vor, einfach so, einen Herrn Niemand. Conte rühmte sich, ein Populist zu sein, weil das ja von "Volk" komme. Es hörte sich schon damals wie eine Forcierung an. Der Notar verkam zur Marionette der beiden Parteichefs, den Vizepremiers Luigi Di Maio und Matteo Salvini. Auch diese Konstellation hatte es noch nie gegeben. In dieser Zeit stand Rom plötzlich Peking und Moskau näher als Brüssel, Berlin und Paris. Eine kolossale Achsendrehung, er drehte mit.
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Dann stolperte Salvini über sein eigenes Ego, und Conte regierte jetzt eben mit den Sozialdemokraten. Der Wechsel gelang fliegend. Die Achse wurde wieder zurechtgerückt. Man hatte unterdessen erfahren, dass Conte früher sozialdemokratisch gewählt hatte. Er sei ein linker Christdemokrat, hieß es, mit guten Kontakten in den Vatikan. Aber richtig fassbar wurde er trotzdem nicht. Als Italien im Winter 2020 als erstes Land im Westen vom Coronavirus getroffen wurde, wuchs Conte fast über Nacht zum Staatsmann. Er entschied mutig, als es noch keine Blaupause gab für den Umgang mit der Pandemie, wenigstens nicht aus einem demokratischen Land: Lockdown, Shutdown, alles hart. Das Volk aber folgte ihm, er trug es, seine Popularität stieg rapide. Die Sozialdemokraten fanden, Conte sei eine "Referenz für das ganze progressive Lager".
Nun, solche Prädikate altern in Italien nie gut. Als Conte im Februar 2021 Draghi Platz machen sollte, dachte man eine Weile, er kehre zurück zu seiner Professur, zurück ins Niemandsland. Dann aber kam der Lockruf der Cinque Stelle. Die erhofften sich viel von Contes Bonus beim Volk: nicht weniger als eine Wiederauferstehung. Er erlag der Umgarnung und versuchte, aus der erratischen Bewegung des Komikers Beppe Grillo eine ernsthafte Partei zu formen. Grillo erzählte schon bald herum, Conte habe keine Vision, er sei kein Manager, Innovation gehe ihm ganz ab. Sie trafen sich zu Fisch und Wein am Meer, um sich zu versöhnen.
Aber echt fühlte sich das nie an. Überhaupt hat man bei Giuseppe Conte immer das Gefühl, dass er für ein Stück gecastet würde, für das man ihm kein Drehbuch mitgab. Etwas zwischen Tragödie und Komödie. Und so war es ja auch.