Teuerung:Der heikle Tanz um Lohn und Inflation

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Die IG Metall verlangt deutlich mehr Geld. Trotzdem muss die größte Tarifrunde des Jahres keine Lohn-Preis-Spirale auslösen, wenn alle Akteure richtig handeln.

Von Alexander Hagelüken

Was Deutschlands größte Gewerkschaft an diesem Montag verkündet, wird viele Bürger bewegen - und manche aufregen. Es zeichnet sich ab, dass der Vorstand der IG Metall für vier Millionen Industriearbeiter mehr als sieben Prozent mehr Lohn vorschlagen wird. Setzt die wichtigste Tarifrunde des Jahres also eine Lohn-Preis-Spirale in Gang, die in Deutschland eine dauerhaft hohe Inflation zementiert? Die Antwort ist: Nein - aber nur wenn Arbeitgeber, Gewerkschaft und Politik jetzt richtig handeln.

Es stimmt ja, dass die aktuelle Inflation nicht die größte Gefahr ist. Was gerade die Preise hochtreibt, sind Faktoren wie Lieferengpässe und Kriegsfolgen, die absehbar an Bedeutung verlieren könnten. Am gefährlichsten wäre, wenn die Deutschen zu glauben beginnen, dass die Preise sowieso immer weiter klettern - und deshalb stets viel mehr Lohn fordern.

In den 1970er-Jahren gab es solche Lohn-Preis-Spiralen, die die Inflation zementierten. Italien ruinierte so seine Lira, zur Freude deutscher Urlauber. In der Bundesrepublik boxte Heinz Kluncker 1974 für den öffentlichen Dienst einen Lohnaufschlag von elf Prozent durch. Willy Brandt machte diesen Tarifabschluss für seinen Rücktritt als Bundeskanzler mitverantwortlich.

Heute aber ist die Gefahr von Lohn-Preis-Spiralen geringer, weil die Gewerkschaften verantwortungsvoller handeln. Seit die Inflation hochschoss, gab es zwei große Tarifabschlüsse, für die Chemiebranche und den öffentlichen Dienst. Beide blieben äußerst maßvoll. Die Metall-Forderung von mehr als sieben Prozent widerspricht dieser Feststellung nur auf den ersten Blick. Denn sie bezieht sich auf zwei Jahre, weil für 2022 noch fast nichts ausgehandelt wurde. Dazu kommt: Fordern die Metaller über sieben Prozent, gestehen die Arbeitgeber allerhöchstens fünf bis sechs Prozent zu. Dividiert man das durch zwei Jahre, wird der Lohnabschluss von Klunckers elf Prozent meilenweit entfernt sein. So entsteht jedenfalls kein Inflationstreiber. Dass die IG Metall relativ moderat agiert, zeigt eine weitere Rechnung: Wollte sie die vorhergesagte Inflation für 2022 und 2023 ausgleichen, müsste sie 15 Prozent fordern.

Trotzdem hat ihre aktuelle Forderung Wucht. Das ist kein Zufall. Die Gewerkschaft verzichtete im ersten Corona-Jahr 2020 auf ein dauerhaftes Lohnplus, weil die Wirtschaft einbrach. Sie begnügte sich auch vergangenes Jahr mit Einzelzahlungen, um Jobs in den Betrieben zu sichern. Die letzte dauerhafte Lohnerhöhung datiert von 2018. Weil acht Prozent Inflation auch Industrie-Beschäftigten ein Loch ins Portemonnaie frisst, kann die IG Metall nach vier Jahren Pause kaum anders, als jetzt deutlich mehr Geld zu fordern. Sie opfert sich sonst aus schierer Rücksichtnahme auf die Firmen. Wer zahlt Mitgliedsbeiträge an eine Gewerkschaft, die nicht mal bei der stärksten Teuerung seit 50 Jahren für mehr Lohn sorgt?

Das ist auch eine Lehre aus dem berüchtigten Kluncker-Abschluss 1974, über die selten geredet wird. Als in den 1960er-Jahren das Wirtschaftswunder endete, stimmten die Gewerkschaften auf öffentlichen Druck besonders niedrigen Lohnabschlüssen zu. Bis ihre Mitglieder mit wilden Streiks demonstrierten, dass sie sich von den Gewerkschaftsbossen verraten fühlten. Der übertriebene Kluncker-Abschluss war auch eine Reaktion darauf. Zu bescheidene Gewerkschaften nützen also niemandem. Denn dann schlägt das Lohnpendel später zu weit in die Richtung aus, die eine Inflation wirklich betoniert.

IG-Metall-Chef Jörg Hofmann will das verhindern - und gleichzeitig mit einer wuchtig wirkenden Forderung erreichen, dass ihm nicht die Mitglieder weglaufen. Das ist ein Balanceakt. Damit bei den Bürgern nicht das fatale Gefühl entsteht, dass die Preise sowieso immer weiter steigen, muss Hofmann eine gesellschaftliche Aufgabe erfüllen: Er muss immer wieder klarstellen, dass die angepeilte Lohnerhöhung sich auf 2022 und 2023 bezieht - er also nicht jedes Jahr sieben Prozent verlangen wird.

Eine gesellschaftliche Verpflichtung haben auch die Firmen. Nachdem die IG Metall jahrelang auf ihre Corona-Probleme Rücksicht nahm, dürfen die Arbeitgeber ihr Klagelied nun einstellen. Die Wirtschaft wächst, viele Betriebe erzielen Rekordgewinne. Zeit, die Beschäftigten mit höheren Löhnen zu beteiligen, statt sie zu teuren Streiks zu provozieren. Für den Ausnahmefall, dass die Wirtschaft etwa wegen eines Gas-Lieferstopps doch noch einbricht, signalisiert die IG Metall ohnehin Kompromissbereitschaft.

Auch die Regierung kann etwas tun. Entlastet sie die Bürger durch ein weiteres Paket, müssen die Gewerkschaften weniger Lohnerhöhung verlangen. Und finanzieren lässt sich diese Entlastung auch: Durch eine Sondersteuer für Ölmultis und andere Firmen, die schamlos Preise erhöhen, um ihre Gewinne zu maximieren. Diese Art der Preiserhöhung ist übrigens ein Inflationstreiber, der in Deutschland anders als Lohn-Preis-Spiralen kaum diskutiert wird.

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