Frankreich:"Ich denke in diesem Moment an Édith Cresson"

Lesezeit: 2 min

Élisabeth Borne ist erst die zweite Premierministerin Frankreichs. Vor 31 Jahren hatte Édith Cresson dieses Amt inne, jedoch nicht einmal für ein ganzes Jahr. (Foto: Christophe Ena/AP)

Élisabeth Borne ist erst die zweite Premierministerin Frankreichs. Sie ist keine Revolutionärin, doch bei ihrer Amtseinführung wählt sie wichtige Worte.

Von Nadia Pantel, Paris

Manche Revolutionen sollten eigentlich keine große Sache mehr sein. Die Tatsache zum Beispiel, dass in Frankreich nun eine Frau das Premierministeramt bekommen hat. Ja und? Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist in Frankreich in der Verfassung festgeschrieben, natürlich kann eine Frau Premierministerin werden. Nur wurden sie es eben (fast) nie. Die Ausnahme bildete vor 31 Jahren knapp elf Monate lang Édith Cresson, die 1991 von François Mitterrand zur Premierministerin berufen wurde. Über den ungebremsten Sexismus, mit dem Cresson verunglimpft und angegriffen wurde, spricht die heute 88-Jährige sehr offen. "Anders als die französische Bevölkerung ist die französische Politik immens frauenfeindlich", sagte Cresson am Dienstag dem Wochenmagazin Le Point.

Ob sich nicht doch etwas geändert hat, wird sich in den kommenden Wochen am Beispiel von Élisabeth Borne zeigen. Die 61-Jährige wurde am Montag von Präsident Emmanuel Macron zur Premierministerin ernannt. Und gerade weil sie bei ihrer Amtseinführung wenige Worte verlor, sind die paar Sätze, die sie sagte, umso wichtiger. "Ich denke in diesem Moment an Édith Cresson", so Borne. Und: "Ich widme diesen Moment allen jungen Mädchen", die sich "nie bei der Verwirklichung ihrer Träume bremsen lassen sollten".

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Drei Wochen dauerte es, bis der wiedergewählte Macron seine Entscheidung für Borne fällte. Mit ihr als Premierministerin beginnt seine zweite Amtszeit nun so, wie es Macron gefällt: mit einem mächtigen Symbol. Der selbsterklärte Feminist Macron ernennt keinen Regierungschef, sondern eine Regierungschefin. Jenseits dieses Fortschrittseffekts steht Borne jedoch eher für Kontinuität als für Revolution.

Die Ingenieurin machte Karriere als Spitzenbeamtin

Borne gehört von Anfang an, seit Mai 2017, zu Macrons Regierungsmannschaft. Erst im Verkehrsministerium, dann als Umweltministerin, seit 2020 schließlich als Arbeitsministerin. Sie zählt im Team Macron zu den "Technokraten", zu denjenigen also, die ohne viel mediale Aufmerksamkeit ihre Mission erfüllen. Die Ingenieurin und Elitehochschulabsolventin Borne kann auf eine Ausnahmekarriere als Spitzenbeamtin und Managerin zurückblicken. Sie arbeitete im Beraterstab des sozialistischen Premierministers Lionel Jospin, sie leitete für die Umweltministerin Ségolène Royale von 2014 an deren Mitarbeiterstab. Sie war Strategiedirektorin des staatlichen Bahnunternehmens SNCF und Chefin des Pariser Verkehrsverbunds RATP.

Auch wenn Borne durch ihre Arbeit für die Sozialisten zum linken Flügel der Macronisten gezählt wird, fiel sie bislang weniger durch ideologische Überzeugungen auf, denn durch Fleiß, Zähigkeit und Härte. Auch die reformbereiten Gewerkschaften, die mit ihr als Verkehrsministerin über die Bahnreform verhandelten, bezeichnen ihren Umgangston als "rau". Borne zwang als Verkehrsministerin die SNCF, trotz eines Rekordstreiks, den Schienenverkehr für die europäische Konkurrenz zu öffnen. Als Arbeitsministerin verschärfte sie die Bedingungen für Arbeitslose. Beim hoch umstrittenen Thema der Rente plädiert Borne, zur Empörung der Linken und der Rechtsextremen, für einen Anstieg des Renteneintrittsalters auf 65 Jahre.

In den kommenden Tagen wird Borne gemeinsam mit Präsident Macron ihre Regierungsmannschaft aufstellen. Der Linke Jean-Luc Mélenchon ätzt, es werde sich nur um eine "Übergangsregierung" handeln. Im Juni stehen Parlamentswahlen an. Der bei der Präsidentschaftswahl Drittplatzierte Mélenchon hofft darauf, durch die neue links-grüne Allianz "NUPES" eine Mehrheit der Sitze zu erringen. Bislang hält Macrons La République en Marche sie. Erste Umfragen sehen zwar einen deutlichen Zugewinn für die linken Parteien, rechnen jedoch auch mit einem starken Abschneiden Macrons. Seine Entscheidung für Élisabeth Borne als Premierministerin begründet Macron damit, dass sie die Richtige sei, um eine entschlossenere ökologische Wende umzusetzen.

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