Diskriminierung:Zeit für Hilfe von oben

Teilnehmer einer Kundgebung demonstrieren Anfang Juni in Berlin gegen Rassismus und Polizeigewalt. (Foto: dpa)

Dass es immer mehr Beschwerden über Diskriminierung in Deutschland gibt, ist auch ein gutes Zeichen: Jeder Mensch, der sich gegen Benachteiligung wehrt, ist ein Gewinn für diese Gesellschaft. Doch jetzt muss der Staat handeln.

Kommentar von Constanze von Bullion, Berlin

In einem Nebensatz erzählt das Leben gern die übelsten Geschichten. Da sind die Bewohner eines Seniorenheims, die gepflegt werden möchten, nur halt bitte nicht von einer schwarzen Frau. Da ist der Vermieter, der dem Wohnungssuchenden mitteilt, er solle heimgehen, Syrien aufbauen. Oder die Kopftuchträgerin, die für die Küchenhilfe gehalten wird, obwohl sie Bauingenieurin ist.

3580 Beschwerden sind 2019 bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes eingegangen. Die Zahlen sind erneut angestiegen, vor allem im Bereich Rassismus.

Das aber ist nicht nur ein schlechtes Zeichen. Denn hinter jedem Fall steckt nicht nur ein Mensch, der diffamiert worden ist, oft nur aufgrund diffuser ethnischer Zuschreibungen. Die steigenden Zahlen erzählen auch von Leuten, die sich anhaltende Geringschätzung nicht mehr gefallen lassen. Endlich.

Jede Muslima, die sich nicht wegduckt unterm Kopftuch, all die unterbezahlten Arbeitnehmerinnen und Rollstuhlfahrer, die aufmucken, sind ein Gewinn für eine Gesellschaft, die sich gern offen nennt, es in vielen schlechter beleuchteten Ecken aber nie war.

Gleichstellung ist kein Geschenk, sie musste immer gegen privilegierte Führungsschichten erkämpft werden: von Arbeitern, Frauen, Homosexuellen, Menschen mit dunklerer Haut. Auf Hilfe von oben kann da kaum gezählt werden. Staatliche Diskriminierung, ob in Behörden oder bei der Polizei, kommt im Gleichbehandlungsgesetz nicht einmal vor. Das muss sich ändern. Sonst bleibt das amtliche Bedauern über Benachteiligung Heuchelei.

© SZ vom 10.06.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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Bericht der Antidiskriminierungsstelle
:Mehr Hilferufe wegen rassistischer Diskriminierung

Bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes wurden 2019 etwa 10 Prozent mehr Fälle gemeldet als im Vorjahr - und mehr als doppelt so viele wie 2015. Der Leiter der Behörde fordert Ombudsstellen bei der Polizei.

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