Profil:Cressida Dick

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Bekannteste Polizistin Großbritanniens, nun überraschend zurückgetreten.

Von Michael Neudecker, London

Die Metropolitan Police in London wird in diesem Jahr 193 Jahre alt, berühmt ist sie unter dem Namen "Scotland Yard". Ebendort, in der Straße Great Scotland Yard im Londoner Zentrum, lag einst der Eingang zum Hauptquartier der "Met", wie sie in England heißt. Seit 2016 residiert die Behörde direkt am Westminster Pier an der Themse. Vor dem Haupteingang dreht sich ein schickes Dreieck mit der Aufschrift "New Scotland Yard". Die Buchstaben glänzen, wenn die Sonne scheint.

Die Met ist nicht nur die Polizei für den Großraum London, sondern auch eine nationale Einheit mit Aufgaben wie Terrorbekämpfung, und der mit einem Jahresgehalt von rund 270 000 Euro ausgestattete Commissioner, der Chef der Met, ist im Vereinigten Königreich eine bekannte öffentliche Figur. 188 Jahre lang war der Posten von Männern besetzt, seit 2017 war the Commissioner eine Frau: Cressida Dick, seit 2019 mit dem Titel Dame anzusprechen. Am Freitag war das Foto der 61-jährigen Dame Cressida Dick samt ihrem schwarzen Melonenhut mit dem Karostreifen auf allen Titelseiten, denn sie ist am Donnerstagabend völlig überraschend zurückgetreten. Erst vor ein paar Monaten war ihr Vertrag um zwei Jahre verlängert worden.

Cressida Dick, Tochter eines Philosophieprofessors und einer Historikerin, ist geboren und aufgewachsen in Oxford. Sie studierte am dortigen Balliol College, wie übrigens auch ein gewisser Boris Johnson, wobei Dick 1982 ihren Abschluss machte und Johnson 1983 dort sein Studium begann. Ein Jahr nach ihrem Abschluss trat sie in die Met ein. Sie galt als beliebt in der Einheit, allerdings fallen in ihre Zeit als Chefin auch die größten Skandale in der Geschichte der Met, es geht da um Themen wie Homophobie, Sexismus, Rassismus. Das öffentliche Vertrauen in die Behörde mit den glänzenden Buchstaben hat zuletzt arg gelitten.

Ein Polizist als Frauenmörder

Im Juni 2020 etwa wurden in Nordlondon zwei Schwestern ermordet, die Polizei hatte spät auf die Vermisstenmeldung reagiert, dann kam auch noch heraus, dass zwei Beamte Tatort-Fotos der Leichen in Whatsapp-Gruppen teilten. Im September 2021 wurde ein Met-Polizist für den Mord an Sarah Everard verurteilt, er hatte sie unter falschen Vorgaben auf der Straße festgenommen, vergewaltigt und getötet. Der Fall beschäftigte Großbritannien monatelang, Dick wurde dabei auch für ihren Umgang mit den Folgen kritisiert. Unter anderem hatte sie wenig Verständnis gezeigt, weshalb Frauen sich nun unsicher fühlten, wenn sie von einem Polizisten angesprochen würden. Erst vor ein paar Wochen schließlich kam eine Untersuchung zu dem Schluss, dass in einer Polizeistation in London zwei Beamte befördert wurden, die zuvor durch rassistische Nachrichten aufgefallen waren.

Die Met-Chefin wird formal ernannt von der Queen, die Entscheidung über die Besetzung aber liegt bei ihren eigentlichen Vorgesetzten: dem Bürgermeister von London, Sadiq Khan, und der britischen Innenministerin Priti Patel. Khan soll unzufrieden gewesen sein mit Dicks seiner Meinung nach unzureichendem Plan, wie die Met derartige Vorfälle künftig unterbinden kann. Dick wiederum sagte am Donnerstagabend, es sei ihr klar geworden, dass Khan kein Vertrauen mehr in sie habe, "daher bleibt mir nichts anderes als zurückzutreten".

Jetzt also wird ein Nachfolger gesucht, und die politische Brisanz dieser Suche ist nicht zu unterschätzen. Der Labour-Bürgermeister Sadiq Khan, derzeit beliebtester aktiver Labour-Politiker, und die Tory-Innenministerin Priti Patel, Unterstützerin ihres unter Druck stehenden Premierministers Boris Johnson, suchen nun gemeinsam den Commissioner, der die wahrscheinlich schwierigste Aufgabe der Met seit langer Zeit zu Ende bringen soll - die Ermittlung in Sachen Partygate. Auf das Ergebnis wartet das Königreich seit Wochen, wahrscheinlich hängt davon ja nichts weniger ab als die Zukunft des ultimativen Chefs: des Premierministers.

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